In den Phase-3-Studien ULTIMATE I und II wurde der in der EU seit 2023 zugelassene monoklonale Antikörper Ublituximab (450 mg i.v. alle 24 Wochen) mit dem Immunsuppressivum Teriflunomid (14 mg 1x/d) verglichen. Bewertet wurden die jährliche Schubrate und die radiologische Krankheitsaktivität, die, wie sich im Ergebnis zeigte, unter der Antikörpertherapie niedriger waren. Eine gepoolte Post-hoc-Analyse (Kongress-Abstract I-112, DOI 10.1212/WNL.0000000000206441) untersuchte nun, ob sich der Therapievorteil auch bei therapienaiven Patientinnen und Patienten zeigte, bei denen das Auftreten erster MS-Symptome weniger als drei Jahre zurücklag. Nach 96 Wochen hatte sich der Wert auf der „Expanded Disability Status Scale“, einem Skalensystem zur systematischen Erfassung neurologischer Behinderungen, in der Ublituximab-Gruppe signifikant verbessert (-0,16 vs. 0,02; p=0,0068). Auch der Anteil der Patientinnen und Patienten mit „confirmed disability improvement“ (CDI) war in der mit dem Antikörper behandelten Gruppe signifikant höher (14,4 % vs. 3,6 %; p=0,0015), ebenso wurden Verbesserungen im „Multiple Sclerosis Functional Composite“ (MSFC)-Score häufiger beobachtet.
„Wir sehen in dieser Studie, dass Betroffene bereits von einem frühen Einsatz des Antikörpers im Hinblick auf den Behinderungsgrad profitieren. Das ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Strategie ‚hit hard and early‘ bei der Behandlung der MS vielversprechend ist“, erklärte Prof. Dr. med. Sven Meuth (Düsseldorf), Präsident des DGN-Kongresses 2024.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die Zwischenauswertung einer Real-World-Studie zur Beurteilung der Wirksamkeit und Sicherheit des Immunmodulators Ozanimod bei Patientinnen und Patienten mit aktiver schubförmigen Multiplen Sklerose (RMS) (Kongress-Abstract Abstract I-111, DOI 10.1177/13524585241269220). Von den 389 Studienteilnehmenden (durchschnittliches Alter: 40,2 Jahre) hatten 42 % die MS-Diagnose erst max. 2 Jahren vor Therapieinitiierung erhalten und 36 % waren therapienaiv. In dieser Kohorte mit dem relativ hohen Anteil an Patientinnen und Patienten im frühen Krankheitsstadium war die Therapie mit Ozanimod mit einer geringen Schubrate, stabilen Behinderungsgrad und verbesserter kognitiver Verarbeitungsgeschwindigkeit assoziiert. „Es handelt sich erst um die 1-Jahres-Daten, aber diese geben Anlass zur Hoffnung“, so Meuth.
Remyelinisierung lädierter Myelinscheiden?
Bei der Therapie mit B-Zell depletierenden Antikörpern stand bislang die Befürchtung im Raum, dass im Langzeitverlauf gerade bei älteren Patientinnen und Patienten unerwünschte Nebenwirkungen häufiger auftreten oder womöglich neue Sicherheitssignale beobachtet werden könnten. Eine in Deutschland durchgeführte nicht-interventionelle Studie (Kongress-Abstract I-70) wertete Real-World-Daten von 2267 Patientinnen und Patienten mit aktiver schubförmigen Multiplen Sklerose (RMS) und 505 mit primär progredienter Multiple Sklerose (PPMS) aus, die mit dem monoklonalen Antikörper Ocrelizumab oder anderen krankheitsmodifizierenden Therapeutika (DMT) behandelt worden waren. Wie sich zeigte, kam es in den älteren Patientengruppen nach 48 Monaten weder zu einem Anstieg der Nebenwirkungsrate noch wurden neue Sicherheitssignale beobachtet. Bei der Mehrheit der RMS-Betroffenen kam es unter der Therapie nicht zu einer Veränderung des Behinderungsgrad und die jährliche Schubrate (ARR – „annual relapse rate“) war niedrig. „Das heißt, die Therapie blieb über vier Jahre wirksam, ohne dass es zu mehr oder neuen Nebenwirkungen kam, und zwar auch bei älteren Menschen“, erklärte Meuth. „Insgesamt lässt sich konstatieren, dass wir heute mehr Optionen haben, um den MS-Krankheitsverlauf zu kontrollieren und die neuen Therapien nach aktueller Datenlage mit tolerierbaren Nebenwirkungsprofilen einhergehen.“
Ein Thema, das in den zahlreichen MS-Session des diesjährigen DGN-Kongresse auftauchte, ist die Zukunftshoffnung auf eine Remyelinisierung lädierter Myelinscheiden bei MS. Hierzu gibt es schon länger ermutigende experimentelle und präklinische Studien. Aktuell wird sogar für eine erste klinische Phase II-Studie rekrutiert (NCT06083753, „VISTA-Studie“). Der dabei eingesetzte Wirkstoff PIPE-307 ist ein selektiver Muskarinrezeptor-Antagonist (M1-Rezeptoragonisten hemmen die Oligodendrozytendifferenzierung).
Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern. In der Mehrzahl erfolgt die Diagnose in einem frühen Stadium, so dass die Heilungsaussichten sehr gut sind. Bei lokal begrenzten Prostatakarzinomen gibt es mehrere Behandlungsoptionen, die „Active Surveillance“, die Operation oder die Strahlentherapie. In den aktuellen Leitlinien wird immer die Operation an erster Stelle genannt, obwohl bereits verschiedene große Metaanalysen gezeigt haben, dass die prostatakrebsspezifische Mortalität bei allen drei Optionen vergleichbar ist. „Doch häufig wird die erstgenannte Therapieoption von den Patienten als die beste bzw. an erster Stelle empfohlene Therapie missverstanden“, erklärt Prof. Dr. med. Stephanie E. Combs, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO).
„Angesichts der Ergebnisse der randomisierten PACE-A-Studie ist das besonders problematisch, es wäre nun an der Zeit, die Strahlentherapie in der Auflistung der Empfehlungen nach vorn zu stellen.“ Denn die aktuelle Studie zeigt, dass die Strahlentherapie im Hinblick auf Sexualfunktion und Kontinenz der Operation überlegen ist.
Eingeschlossen wurden Männer mit histologisch bestätigtem, lokal begrenztem Prostatakrebs mit niedrigem bis mittlerem Risiko (cT1c bis cT2c N0/X M0/X und Gleason Score ≤ 3+4 und PSA ≤ 20 ng/m). Der Zeitraum zwischen Biopsie und Randomisierung betrug max. 18 Monate. Die Patienten erhielten entweder eine stereotaktische Bestrahlung (SBRT) mittels CyberKnife oder Linearbeschleuniger (Linac) in einer Dosis von 5x7,25/8 Gy oder eine chirurgische Prostataentfernung, die in der Mehrzahl der Fälle (84 %) roboterassistiert (mit DaVinci-Roboter) erfolgte. „Es handelt sich somit um die erste Studie, die in beiden Armen modernste Behandlungsoptionen des Prostatakarzinoms miteinander vergleicht, das macht sie so wertvoll und praxisrelevant“, betont Prof. Dr. med. Jürgen Dunst, Direktor der Klinik für Strahlentherapie am Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.
Insgesamt wurden 123 Männer von August 2012 bis Februar 2022 randomisiert (60 erhielten eine Prostatektomie, 63 eine SBRT, die alle planmäßig nach 5 Fraktionen endeten). Das mediane Alter lag bei 65,5 Jahren und der mediane prostataspezifische Antigen (PSA)-Wert bei 7,9 ng/ml; 92 % hatten eine Erkrankung mit mittelschwerem Risiko (gemäß Bewertungssystem des National Comprehensive Cancer Network).
Bestrahlung erhält die Kontinenz
Zu Studienbeginn, in den Wochen 4 und 12 sowie in den Monaten 6, 9, 12 und 24 erfolgte eine Erhebung patientenberichteter Endpunkte (PROs) anhand von Fragebogen. Als koprimärer Endpunkt wurde die Zahl der Inkontinenzeinlagen/Tag erfasst. Nach 2 Jahren benutzten 16/32 (50 %) der operierten und 3 von 46 (6,5 %) bestrahlten Patienten eine oder mehrere Einlagen täglich (p < 0,001); der nach Strahlentherapie beobachtete Wert entspricht etwa dem Normalwert in dieser Altersgruppe, d. h., die Bestrahlung hatte praktisch keine Auswirkungen auf die Kontinenz. „Das macht einen großen Unterschied für die Lebensqualität der Patienten. Inkontinenz ist schambesetzt und noch immer ein großes Tabuthema, Betroffene ziehen sich häufig zurück in eine soziale Isolation, oft sind Einsamkeit, ein geringes Selbstwertgefühl und sogar Depression die Folgen“, erklärt der Kieler Experte. „Der Erhalt der Kontinenz ist daher für viele Prostatakrebspatienten ein wichtiges Kriterium für die Therapieentscheidung.“
Unter Strahlentherapie bleibt häufiger die sexuelle Funktion erhalten
Mindestens ebenso bedeutsam für die Lebensqualität ist der Erhalt der sexuellen Funktion - und auch diesbezüglich profitierten die Patienten der Studie deutlich von der Strahlentherapie. Die operierten Männer bewerteten diesen Lebensbereich deutlich schlechter als die bestrahlten Männer (median 19 Punkte vs. 62,5 Punkte). Der Anteil der Männer, die über mäßige bis schwere sexuelle Probleme berichteten, betrug 10 von 30 (33 %) in der Prostatektomie-Gruppe und 8 von 45 (18 %) in der Strahlentherapiegruppe.
Einen Vorteil für die OP gab es nur im Hinblick auf die Darmfunktion, ebenfalls erfasst mit dem EPIC-Score. Die operierten Patienten gaben im Median einen Wert von 100 an, die bestrahlten von 87,5, der Unterschied war statistisch signifikant. Dunst bewertet ihn dennoch als „insgesamt klein für die Behandlungsrealität“. Denn moderate oder schwere Beeinträchtigungen wurden bei keinem von 31 prostatektomierten Patienten und bei nur einem von 48 bestrahlten Patienten (2,1 %) gesehen. Die fäkale Inkontinenzrate unterschied sich nach 24 Monaten zwischen den Gruppen nicht.
Veränderungen des Beratungsgespräches gefordert
„Wir wissen aus der Behandlungsrealität, dass für die Therapieentscheidung die Faktoren Kontinenz und Sexualfunktion ausschlaggebend sind – und die vorliegenden Daten zeigen, dass die moderne Strahlentherapie hier der modernen roboterassistierten OP überlegen ist. Nun müssen die Betroffenen im Aufklärungsgespräch auch über diese Aspekte aufgeklärt werden, als Fachgesellschaft werden wir uns aktiv dafür einsetzen“, erklärt der Generalsekretär der DEGRO, Prof. Dr. med. Wilfried Budach.
Eine Vitamin D-Einnahme könnte die Krebssterblichkeit in der Bevölkerung um zwölf Prozent reduzieren - vorausgesetzt, das Vitamin wird täglich eingenommen. Dies hatte kürzlich eine am DKFZ durchgeführte Metaanalyse aller aussagekräftigen klinischen Studien zu dieser Frage ergeben (DOI 10.1016/j.arr.2023.101923). Vitamin-D-Mangel ist weltweit verbreitet und kommt besonders häufig bei Krebspatienten vor. Über das Jahr gemittelt, liegen die Vitamin D-Blutwerte bei rund 15% der deutschen Erwachsenen unter dem Schwellenwert für einen ausgeprägten Vitamin D-Mangel*. Nach derzeitiger Studienlage schützt eine Vitamin D-Einnahme zwar nicht davor, an Krebs zu erkranken, könnte aber die Wahrscheinlichkeit senken, an einer Krebserkrankung zu versterben. Die Voraussetzung dafür ist, dass das Vitamin täglich in niedriger Dosierung eingenommen wird.
Kritiker einer Vitamin D-Supplementierung betonen potentielle Risiken einer Überdosierung mit dem Vitamin, besonders bei unkontrollierter Einnahme ohne ärztliche Verordnung. Im Mittelpunkt ihrer Befürchtungen steht die bekannteste Funktion des Vitamins, die Steigerung der Aufnahme von Kalzium aus dem Darm. Eine Hyperkalzämie könnte Nierensteine sowie auch Atherosklerose zur Folge haben.
Die DKFZ-Wissenschaftler Sha Sha, PD Dr. Ben Schöttker und Prof. Dr. med. Hermann Brenner untersuchten nun erstmals systematisch die Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen Vitamin D-Serumspiegeln und gesundheitlich relevanten Aspekten des Kalziumstoffwechsels. Die Forschenden konnten dazu auf die UK Biobank zugreifen, die Gesundheitsdaten von etwa einer halben Million Briten im Alter von 40 bis 69 Jahren enthält. Etwa 4 von 100 Biobank-Teilnehmer berichteten, dass sie regelmäßig Vitamin D-Präparate einnehmen und ca. 20 von 100 gaben an, täglich Multivitaminpräparate einzunehmen, die niedrig dosiertes Vitamin D enthalten.
Mit Vitamin D-Einnahme assoziierte Hyperkalzämie keine Ursache für Atherosklerose oder Nierensteine
Ein hoher Vitamin-D-Serumstatus (25-Hydroxyvitamin D-Serumkonzentration ≥100 nmol/L) an sich war nicht mit erhöhten Blut-Kalziumwerten verbunden. Doch bei Einnahme von Vitamin-D- oder Multivitaminpräparaten beobachteten die Forschenden eine signifikant gesteigerte Wahrscheinlichkeit für eine Hyperkalzämie (46 bzw. 11 Prozent). Aber: die Personen mit erhöhten Kalziumspiegeln erkrankten nicht häufiger an Atherosklerose oder an Nierensteinen.
Um herauszufinden, ob die Hyperkalzämie durch eine Überdosierung von Vitamin D verursacht worden sein könnte, verglichen die Forschenden die Verteilung der Vitamin D-Spiegel unter den Nutzern von Vitamin D-Präparaten mit und ohne Vorliegen einer Hyperkalzämie. Dabei kam kein statistisch signifikanter Zusammenhang mit den Blutkalziumspiegeln zutage. Das bedeutet, dass die Hyperkalzämie wahrscheinlich nicht durch die Einnahme der Vitaminpräparate ausgelöst wurde, sondern andere Ursachen, evtl. erbliche Faktoren, eine Rolle spielen.
„Die Studienergebnisse zeigen, dass die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten in der britischen Bevölkerung als sicher angesehen werden kann. Diese Ergebnisse sind auf Deutschland übertragbar. Das ist für uns nicht überraschend, zu einer Überdosierung von Vitamin D kommt es erst bei Einnahme von extrem hohen Dosen über eine längere Zeit. Die übliche Vitamin D-Dosierung liegt in der EU zwischen 400 und 4.000 internationalen Einheiten (I.E.) pro Tag. Unerwünschte Wirkungen einer Überdosierung wurden dagegen in klinischen Studien erst ab einer Tagesdosis von 10.000 I.E. beobachtet“, sagt Studienautorin Sha.
Weltweit größte Studie zu Dosis-Wirkungs-Beziehungen von Vitamin D
„Dies ist die weltweit bislang größte Studie, in der Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen Vitamin D-Konzentrationen im Blut, Vitamin D Supplementierung und Sicherheitsaspekten des Kalziumstoffwechsels untersucht wurden. Erfreulicherweise konnten wir dabei keinen Zusammenhang mit Erkrankungen feststellen, die auf eine erhöhte Kalziumkonzentration im Blut zurückzuführen sind“, fasst Schöttker zusammen. „Diese Ergebnisse sind für die Abwägung von Nutzen und Risiken einer Vitamin D-Supplementierung hoch relevant, denn eine dem Bedarf angepasste Vitamin D Supplementierung in maßvoller Dosierung könnte einen wichtigen und sehr kostengünstigen Beitrag zur Prävention von Krebstodesfällen und verschiedenen Erkrankungen leisten“, ergänzt Brenner.
* Als Schwellenwert für einen Mangel des 25-Hydroxyvitamin D im Blut gilt 30 nmol/L (= 12 ng/ml). Zählt man Personen mit einer weniger gravierenden Vitamin D-Unterversorgung (25-Hydroxyvitamin D-Spiegel im Blut < 50 nmol/L (= 20 ng/ml)) hinzu, weisen etwas mehr als die Hälfte der Deutschen zumindest eine Unterversorgung auf.