Ein Pilotprojekt des Gesundheitsdepartements Basel-Stadt, des Basler Gefängnisses und eines Teledermatologie-Anbieters macht es möglich: Gefangene mit Hautbeschwerden werden digital begutachtet und dermatologisch versorgt. Das spart Zeit, schont die Budgets und hat damit für alle Beteiligten Vorteile.
Wenn Menschen ein Hautproblem haben, möchten sie am liebsten sofort einen Spezialisten konsultieren; das gilt natürlich auch für Gefängnisinsassen. Doch der Gang zum Facharzt ist mit einem großen organisatorischen Aufwand verbunden: unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in einem Spezialtransporter, in Begleitung von Polizisten. An Fachärzte wird deshalb nur überwiesen, wenn die Diagnose nicht eindeutig ist oder die Therapieoptionen ausgeschöpft sind. Neue Wege geht man in der Dermatologie: Die in Basel zuständigen Amtsärzte haben gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Alexander Navarini, Chefarzt Dermatologie am dortigen Universitätsspital, und dem Teledermatologie-Unternehmen derma2go ein Pilotprojekt lanciert. So wird seit August 2021 die Teledermatologie im Basler Gefängnis getestet. Hautkrankheiten, besonders auch ansteckende Infektionen wie die Krätze, sind weitverbreitet, so Navarini.
Das Teledermatologie-Unternehmen wurde im Jahr 2018 vom Oberarzt der Dermatologischen Klinik am Universitätsspital Zürich, Dr. Christian Greis, gegründet – aus einem akuten Bedarf heraus: „Mich erreichten immer wieder Bilder von Freunden mit der Bitte, einen Blick auf die fotografierte Hautstelle zu werfen. Auch Patienten zeigten mir immer öfter per Handykamera dokumentierte Hautveränderungen.“ Das Start-up-Unternehmen kooperiert mit führenden Ärzten und Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Bereich der Dermatologie.
Begleitet wird die virtuelle Sprechstunde von dem ärztlichen Personal des Gefängnisses. Wenn die Ärzte bei einer dermatologischen Fragestellung unsicher sind, senden sie Bilder von Hautveränderungen an die dermatologischen Kollegen im Universitätsspital, und erhalten innerhalb von 24 Stunden eine Diagnose mit Behandlungsplan. Durch das virtuelle dermatologische Konsil können in rund 80 % der Fälle Diagnosen gestellt und die Erkrankungen erfolgreich therapiert werden. Die dermatologische Betreuung via Internet kann sofort nach dem Auftreten der Erkrankung begonnen werden, was viel Zeit spart. So wird das Risiko einer Weiterverbreitung eines Krankheitserregers innerhalb des Gefängnisses deutlich reduziert. Außerdem werden finanzielle Ressourcen geschont. So hat nämlich rund ein Drittel der Häftlinge in Schweizer Gefängnissen keine Krankenversicherung. Daher müssen die Kantone oder Gemeinden die Behandlungskosten für diese Menschen übernehmen.
Teledermatologie allgemein nachgefragt
Seit der Corona-Pandemie werden digitale Angebote in der Dermatologie vermehrt in Anspruch genommen. So wurde in der Schweiz über die vergangenen zwei Jahre eine deutliche Zunahme der Online-Konsultationen verzeichnet. Auch international ist die Schweiz auf diesem Gebiet Vorreiter, dank einer liberalen Gesetzgebung und der Bereitschaft der Patienten, für die Behandlungskosten selbst aufzukommen. Die Dermatologie ist besonders prädestiniert für Online-Angebote, da die Diagnosen meist über eine visuelle Begutachtung der Haut erfolgen. So bieten in der Schweiz fast alle großen dermatologischen Kliniken über ihre Webseiten Online-Sprechstunden an, ebenso wie ein Großteil der niedergelassenen Dermatologen. Solche digitalen Services als Teil der ärztlichen Behandlung wünschen sich 76 % der Patienten in der Dermatologie, so eine aktuelle Auswertung von derma2go. Die Befragung von April 2020 bis Januar 2021 zeigte auch, dass die potenziellen Teledermatologie-Patienten mehrheitlich zwischen 25 und 45 Jahren alt, berufstätig und digitalisiert sind. Die eingesparte Zeit spiele eine zentrale Rolle. Mit der dermatologischen Online-Konsultation zeigten sich rund 85 % der Patienten zufrieden, wobei vor allem die schnelle Rückmeldung und die verständliche Kommunikation hervorgehoben wurden. Auch bei den Ärzten sei die Zufriedenheit groß, denn es werde eine Fallabschlussquote von 85 % erreicht. Dazukommt die große Zeitersparnis auch für den Dermatologen: Er hat bereits im Vorfeld des Gesprächs viele Informationen über einen vom Hausarzt ausgefüllten Fragebogen und muss weniger Zeit für eine strukturierte Anamnese aufwenden. So benötigt eine Online-Konsultation im Durchschnitt fünf bis sieben Minuten. Zudem ist der Arzt räumlich unabhängig und kann die Anfragen auch von unterwegs bearbeiten. In Zeiten eines starken Fachärztemangels kann die Teledermatologie damit eine wichtige Lenkungsfunktion einnehmen.
Unterstützung durch Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz (KI) wird bisher nur in Pilotprojekten eingesetzt, beispielsweise bei der automatischen Qualifizierung und Quantifizierung von Muttermalen. Bei der Hautkrebserkennung ist das Risiko einer Fehldiagnose jedoch groß und kann fatale Folgen nach sich ziehen. Verdächtige Muttermale müssen deshalb immer von einem Arzt mit einem Dermatoskop begutachtet werden, ein Einsatz von KI allein kann in diesem Bereich nicht realisiert werden. Die häufigsten Online-Diagnosen sind Akne, Rosazea und Ekzem. Besonders gut eignet sich die Teledermatologie auch zur Diagnose von Schuppenflechte. Zukünftig werden Anwendungen erwartet, die die Diagnosefindung von Nichtdermatologen, beispielsweise von Hausärzten, unterstützen und die bei der Differenzialdiagnostik helfen. „Aktuell ist es noch so, dass jeder Patient von einem Facharzt beurteilt wird“, so Greis. „Ich bin aber überzeugt, dass KI in ein paar Jahren die dermatologische Telemedizin unterstützen wird.“ Das könnte in der Form geschehen, dass Krankheitsbilder bereits durch KI vorselektiert werden, sodass vom (Haus-)Arzt entsprechend schneller eine Diagnose ausgesprochen und mit einer Behandlung begonnen werden kann. Nach Einschätzung Greis’ werden sich solche hybriden Konstellationen durchsetzen (> eHealth).
FAZIT:
Spätestens seit der Corona-Pandemie werden digitale Angebote in der Dermatologie vermehrt in Anspruch genommen. Telemedizinische Behandlungen sind gerade in der Dermatologie gut möglich, da Diagnosen hier häufig mittels visueller Begutachtung gestellt werden. Die Teledermatologie kann unter anderem an schwer zugänglichen Orten und bei Fachkräftemangel vor Ort großen Nutzen bringen. Für die Zukunft wird auch ein vermehrter unterstützender Einsatz von KI in der Teledermatologie erwartet.
Die Autorin
Dr. rer. nat. Christine Reinecke
70378 Stuttgart
dres.reinecke@t-online.de
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Dr. Christine Reinecke ist promovierte Diplom-Biologin und seit über 25 Jahren freiberufliche Autorin zahlreicher Publikationen der Naturheilkunde, Medizin und Pharmazie