Adipositas ist eine der größten medizinischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Aufgrund der damit einhergehenden Risiken für Morbidität und Mortalität hat der Deutsche Bundestag im Juli 2020 Handlungsbedarf gesehen und die Bundesregierung zu einer Verbesserung der Versorgungssituation für Menschen mit Adipositas aufgefordert. DER PRIVATARZT GYNÄKOLOGIE beschreibt die aktuellen Möglichkeiten der Abrechnung und gibt einen Ausblick auf kommende Entwicklungen.
Nach Definition der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) ist Adipositas „eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts. Berechnungsgrundlage für die Gewichtsklassifikation ist der Body-Mass-Index (BMI), der Quotient aus Gewicht und Körpergröße zum Quadrat (kg/m2)“[1]. Nach Angaben der DAK leiden in Deutschland 23,3 % der Männer und 23,9 % der Frauen an einer Adipositas [2]. Aufgrund der mit Adipositas einhergehenden Risiken für Morbidität und Mortalität hat der Deutsche Bundestag im Juli 2020 Handlungsbedarf gesehen und die Bundesregierung zu einer Verbesserung der Versorgungssituation für Menschen mit Adipositas aufgefordert [3].
Aktuell besteht eine Diskrepanz zwischen der Kostenübernahme einer Adipositastherapie durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im ambulanten und stationären Sektor. Im Krankenhaus ist primär alles erlaubt, was der Krankenbehandlung dient, also Erfolg verspricht und den Regeln der ärztlichen Kunst folgt. Allerdings können nach Prüfung konkrete Behandlungsmaßnahmen hinterher ausgeschlossen werden, ein sogenannter Verbotsvorbehalt. Im ambulanten Sektor gilt dagegen ein Erlaubnisvorbehalt, d. h. es wird nur das bezahlt, was nach vorheriger Prüfung als sinnvoll erachtet und genehmigt wurde. Diese Prüfung erfolgt in Deutschland durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Erst wenn dieser eine positive Entscheidung getroffen hat und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht innerhalb von 6 Monaten widerspricht, kann eine Behandlung der Adipositas zu Lasten der GKV erfolgen. Damit ist bisher auch eine medikamentöse Behandlung der Adipositas zu Lasten der GKV nicht erlaubt, was sich im § 34, Abs. 1 Satz 8 SGB V niederschlägt [4].
Die Leistungen zur Adipositasberatung und -betreuung werden aktuell von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet, weil sie im GKV-Katalog (definiert im Leistungskatalog des EBM) [5] nicht enthalten sind. Alle IGe-Leistungen müssen medizinisch notwendig und vertretbar sein. Es sollte in der Regel eine medizinische Indikation vorliegen, wobei auch bei einer Beratung zur Adipositas eine solche als therapeutische, aber auch präventive Maßnahme vorliegt. Therapeutische Leistungen sollten in ihren Ergebnissen möglichst durch Studien abgesichert sein. Die Aufklärung sollte immer zweigleisig erfolgen: medizinisch über Ziel, Wirksamkeit, eventuelle Nebenwirkungen und Risiken (§ 8, Satz 4 MBO-Ä) und wirtschaftlich über die zu erwartenden Kosten (§ 630c Abs. 3 BGB sowie nach § 12 Abs. 5 MBO-Ä) [6, 7]. Dabei sollte darauf hingewiesen werden, dass die Kosten von der GKV nicht übernommen werden.
Für GKV-Patienten schreibt der Bundesmantelvertrag/Ärzte (§ 18 Abs. 8) [8] zwingend einen schriftlichen Behandlungsvertrag vor, also auch bei einer geplanten Adipositasbetreuung. Der Vertrag muss die Personalien des Patienten sowie die einzelnen GOÄ-Leistungen mit den Gebühren- und Steigerungssätzen enthalten. Oftmals nicht beachtet wird, dass ein solcher Behandlungsvertrag auch bei Privatpatienten sinnvoll ist, und zwar vor allem dann, wenn alternative Methoden oder medizinisch nicht notwendige Maßnahmen durchgeführt werden. Bei diesen kann der Arzt bzw. die Ärztin nicht immer davon ausgehen, dass sie durch die Versicherung des Patienten/der Patientin gedeckt sind. Somit wissen die Patienten von vornherein, dass sie evtl. selbst für die Kosten aufkommen müssen.
Abrechnungsgrundlage ist immer die GOÄ (§ 1 Abs. 1 GOÄ) [9]. Damit gelten alle Vorschriften der GOÄ bei IGe-Leistungen ebenso wie bei der kurativen oder präventiven Behandlung von Privatpatienten. Auch Pauschalen sind somit nicht erlaubt. Da aber gerne runde Beträge angeboten werden, was auch die Zahlung bei Barkasse erleichtert, sind entsprechende Multiplikatoren zu wählen (Beispiel: Nr. 3, 30 Euro, Faktor: 3,432). Steigerungen über den Schwellensatz hinaus bedürfen auch bei IGe-Leistungen einer Begründung. Ähnliche Vorgaben gelten für die Rechnung, die zwingend erforderlich ist. Diese sollte den Vorgaben des § 12 GOÄ entsprechen, wenn sie justiziabel sein soll [9]:
• Datum der Leistungserbringung
• Nummer und Bezeichnung der einzelnen Leistung
• Art und Betrag von Entschädigungen und Auslagen nach den §§ 7 bis 10 GOÄ
War bis vor einigen Jahren der Body-Mass-Index das entscheidende Kriterium, um eine Adipositas zu definieren und zu diagnostizieren, hat sich zuletzt der Bauchumfang und hier insbesondere der Quotient aus Taillen- und Hüftumfang als der prognostisch entscheidendere Parameter herausgestellt, die „waist-to-hip-ratio“ (WHR). Die Beurteilung eines erhöhten kardiovaskulären Risikos aufgrund des WHR-Index beträgt nach den Angaben der WHO für Europa bei Frauen > 0,85 (Männer > 0,90). Für die offizielle Kodierung von Krankheiten ist aktuell der ICD-10-GM in der Version 2021 gültig [10]. Bei allen Kodierungen (E66.0 bis E66.9) ist die fünfte Stelle für das Ausmaß der Adipositas entsprechend dem individuellen BMI-Wert reserviert. Beispiel: E66.01 Adipositas Grad II (BMI 35 bis unter 40) durch übermäßige Kalorienzufuhr. Eine Abklärungsdiagnostik bei Adipositas ist in der Regel zu Lasten der GKV nach EBM möglich. So ist u. a. eine Hypothyreose oder ein Diabetes mellitus auszuschließen. Für die Abrechnung einer Beratung und Betreuung bei Adipositas bleibt meist lediglich eine Abrechnung nach GOÄ als Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) bzw. als Wunschleistung durch den Patienten selbst. Infrage kommen Lebensstilintervention, medikamentöse Therapie und bariatrische Chirurgie. Dabei bietet sich eine Therapieeskalation an. Neben den eigentlichen Beratungen und Untersuchungen können auch Laboranalysen, die Erstellung von Ernährungs- und Fitnessplänen sowie therapeutische Maßnahmen abgerechnet werden. Zu Letzteren gehören auch verhaltenstherapeutische Sitzungen oder Entspannungsübungen, soweit eine entsprechende Qualifikation vorhanden ist. Auch die ersten ein bis zwei Injektionen bei einer geplanten Liraglutid-Behandlung und ggf. anfallende Laborkontrollen vor und unter der Behandlung.
Wenn eine Praxisbesonderheit Erfolg haben soll, müssen bestimmte Voraussetzungen, die zu einem funktionierenden Praxismanagement gehören, erfüllt sein. Dazu sollte z. B. die Frage geklärt sein, ob das Patientengut für diese Besonderheit in der Praxis vorhanden ist. Beim Thema Adipositas dürfte das in den meisten Frauenarztpraxen der Fall sein. Grundwissen sollte nicht nur beim Arzt, sondern auch beim Praxispersonal vorhanden sein oder gelernt werden. Dies kann während einer Praxisbesprechung stattfinden, aber auch durch externe Fortbildungen. So gibt es z. B. ein Fortbildungs-Curriculum der Bundesärztekammer (BÄK) zum Thema „Ernährungsmedizin“ für Ärzte [11] und für MFA [12], die von den Landesärztekammern angeboten werden. Ernährungskurse bzw. -schulungen der Praxis können dabei sehr gut auch an Mitarbeiterinnen delegiert werden, ebenso wie u. U. auch Bewegungstreffs. Der Ablauf solcher Kurse sollte besprochen und am besten im Qualitätsmanagement-Handbuch fixiert sein. Dazu gehören auch Fragen wie: Gibt es für die Maßnahmen bestimmte Sprechstunden? Müssen die Patienten bestimmte Dinge vorab berücksichtigen? Behandlungsvertrag? Information über die zu erwartenden Kosten.
Keine Praxisbesonderheit führt zum Erfolg, wenn sie nicht beworben wird. Werbung für IGeL-Angebote sind durchaus erlaubt (MBO-Ä § 27 Abs. 1) [6]. Sie darf aber nicht anpreisend oder irreführend sein und es darf keine mit Mitanbietern vergleichende Werbung sein. Es ist also durchaus erlaubt, auf eine Adipositasberatung und -betreuung mit Handzetteln, Aushängen oder auf der Website hinzuweisen. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass alle Mitarbeiter der Praxis auch voll über diese Leistungen informiert sind, also auch zumindest orientierend über Risiken oder Preise Auskunft geben können. Möglichkeiten zur Darstellung z. B. einer Adipositassprechstunde gibt es viele: Aushänge, Handzettel, Hinweis auf der Visitenkarte der Praxis, Hinweistext am Ende einer Arztrechnung u. v. a. Wichtig ist in vielen Fällen auch die persönliche Ansprache durch das Praxisteam.
Wie sieht die Zukunft der ambulanten Betreuung adipöser Menschen in Deutschland aus? Nachdem der Bundestag die Bundesregierung zur Verbesserung der Versorgungssituation für Menschen mit Adipositas aufgefordert hat, stellte das BMG im Oktober 2020 in Aussicht, den Gemeinsamen Bundesausschuss mit der Entwicklung eines Disease-Management-Programms (DMP) Adipositas zu beauftragen. Diese Empfehlung wird Teil des „Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ (GVWG) sein, das in einem Kabinettsbeschluss vom 16.12.2020 [13] vorliegt. Nach den Erfahrungen mit DMP wird es aber sicherlich noch einige Jahre dauern, bis es dann gelebte Realität sein wird. Der Bedarf nach einer professionellen Adipositassprechstunde auf Seiten Ihrer Patientinnen ist sicher aber schon heute groß – gerade bei Patientinnen mit Adipositas als Auslöser für unerfüllten Kinderwunsch. Red.
FAZIT:
Vor Durchführung einer Beratung zur Adipositastherapie sollte mit der Patientin immer ein schriftlicher Behandlungsvertrag abgeschlossen werden, um somit die eventuelle Einklagbarkeit des Honorars zu gewährleisten. Behandlungsverträge sind bei nicht schulmedizinischen oder medizinisch nicht notwendigen Leistungen auch bei Privatpatientinnen sinnvoll. Im Behandlungsvertrag sollten die Kosten jeder einzelnen Leistung spezifiziert dargestellt werden.
1 adipositas-gesellschaft.de/ueber-adipositas/ definition-von-adipositas/ *
2 www.dak.de/dak/download/versorgungsreport- adipositas-pdf-2073766.pdf *
3 adipositasspiegel.de/politik/2020/adipositas-als- krankheit-anerkannt/ *
4 www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__34.html *
5 www.kbv.de/html/ebm.php (EBM) *
6 www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MBO/MBO-AE.pdf *
7 www.gesetze-im-internet.de/bgb/__630c.html *
8 www.kbv.de/media/sp/BMV-Aerzte.pdf *
9 www.aerztekammer-bw.de/10aerzte/42goae/ volltext.pdf (GOÄ) *
10 www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2021/block-e65-e68.htm *
11 www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/ downloads/pdf-Ordner/Fortbildung/Ernaehrungsmedizin.pdf *
12 www.fortbildung-mfa.de/fortbildungscurricula-im- portrait/ernaehrungsmedizin/ *
13 www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/G/20-12-16_GVWG_Kabinett.pdf*
*Stand: 12.02.2021
Pflichttext siehe Anzeige Seite 25.
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