Mit GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) und deren Kombination mit GIP-RA (Twinkretine) lassen sich bei Adipösen annähernd so gute Ergebnisse bzgl. einer Gewichtsreduktion erreichen wie durch die bariatrische OP. Damit stellt sich die Frage nach unerwünschten Nebenwirkungen, u. a. durch den Verlust an Muskelmasse.
Menschen mit Adipositas haben i. d. R. mehr Muskelmasse als Normalgewichtige, und bei einer Gewichtsreduktion nimmt diese ebenfalls ab. Mit GLP-1-RA und Twinkretinen können Betroffene deutlich Gewicht verlieren, wodurch Bedenken aufkamen, ob sich dies schädlich auf die Muskulatur auswirke – insbesondere bei vulnerablen Patientinnen und Patienten. Wichtig ist hier zu unterscheiden, ob sich der Verlust an Muskelmasse, z. B. durch GLP-1-RA, maladaptiv oder adaptiv auf die Muskulatur auswirkt oder dies die Muskelgesundheit/-funktion sogar verbessert. Diesen Fragen gingen wir nach, indem wir aktuelle Erkenntnisse zusammentrugen und zusätzlich entsprechende Studien auswerteten, in denen mittels Magnetresonanztomografie (MRT) die Veränderungen der Skelettmuskulatur gemessen worden waren [1].
Muskelqualität
Verglichen mit Normalgewichtigen weisen Adipöse zwar eine größere Muskelmasse auf, in Relation ist diese jedoch schwächer und von geringerer Mobilität und Funktion. Ein nachhaltiger Gewichtsverlust von 5–10 % erhöht die Muskelproteinsynthese, was nahelegt, dass der Muskelmasseverlust eher auf einer verstärkten Muskelproteolyse beruht. Das anabole Hormon Insulin kann die Muskelproteolyse unterdrücken und somit zu einer Zunahme an Muskelprotein führen. Eine Verbesserung der Insulinsensitivität durch Gewichtsverlust trägt somit zu einem adaptiven Prozess bzgl. Muskelmasse/-funktion bei.
In Studien zur Gewichtsreduktion wird häufig keine akkurate Messung der Muskelmasse vorgenommen, sondern der absolute und relative Verlust der Magermasse beobachtet. Diese kann aber nicht die Muskelmasse charakterisieren und nicht herangezogen werden, um Veränderungen der Muskelzusammensetzung und -funktion zu bestimmen. Forschungen zufolge variiert die Korrelation zwischen Magermasse und Körpergewicht bei verschiedenen Individuen stark. Zudem kann adipöses Gewebe aus bis zu 15 % Magermasse bestehen.
Und so lauten die Empfehlungen zur Identifikation einer Sarkopenie denn auch, den Fokus nun auf die Muskelstärke und -funktion zu legen.
Score für das Muskelvolumen
Für eine genauere Beschreibung der Muskelmasse eignen sich personalisierte Muskelvolumen-Z-Scores, die unabhängig von Geschlecht, Körpergröße, Gewicht und BMI sind. Sie liefern Hinweise darauf, inwieweit sich das Muskelvolumen eines Individuums vom Durchschnitt einer Gruppe bei gleichem Geschlecht und gleicher Größe unterscheidet. Der Muskelvolumen-Z-Score ermöglicht eine bessere Assoziation zwischen Muskelvolumen, Muskelfunktion und Mobilität sowie zu Morbidität und Mortalität.
Neuere Studien zu den GLP-1-RA Liraglutid und Tirzepatid, die mittels MRT die Muskelzusammensetzung quantifizierten und die Veränderungen im Muskelvolumen-Z-Score berechneten, zeigten, dass die beobachteten Abnahmen des Muskelvolumens mit den Werten übereinstimmten, die unter Berücksichtigung des Alters, des Krankheitsstatus und der erzielten Gewichtsabnahme zu erwarten sind.
Ergebnisse
Insgesamt scheint unseren Auswertungen zufolge die Abnahme der Muskelmasse unter der Behandlung mit GLP-1-RA ein normaler, adaptiver Prozess zu sein. Dafür spricht nicht nur, dass die Veränderungen im Muskelvolumen-Z-Score anzeigen, dass das Muskelvolumen unter Berücksichtigung von Alter, Krankheitsstatus und erreichtem Gewichtsverlust erwartbar abnimmt, sondern auch, dass Verbesserungen bzgl. Insulinsensitivität und Muskelfettinfiltration beobachtet werden können. Dies steigert die Muskelqualität und geht mit einem geringeren Risiko für Kraft- und Funktionsverlust einher.
Darüber hinaus sollten aber dennoch mit Blick auf eine Sarkopenie Faktoren wie höheres Alter und Vorstufen zur Gebrechlichkeit bei der Auswahl des Therapeutikums bedacht werden. Insbesondere für diese Personengruppe befinden sich mehrere Maßnahmen zum Erhalt oder gar zur Erhöhung der Muskelmasse in Kombination mit einer GLP-1-RA-basierten Therapie in der Entwicklung.
Der Muskelmasseverlust unter GLP-1-RA scheint ein adaptiver Prozess zu sein, der die Muskelgesundheit verbessert. Für die weitere Entwicklung Inkretin-basierter Therapien und die Optimierung personalisierter Behandlungen ist die Einführung objektiverer und umfassenderer Methoden zur Bestimmung der Muskelgesundheit wichtig. Bedeutsam können auch direkte Vergleiche verschiedener Dosierungen oder Pharmaka bzw. von Pharmaka mit bariatrischer Operation oder Lebensstilinterventionen sein.
Der Autor
Prof. Dr. med. Andreas Birkenfeld
Ärztlicher Direktor Klinik für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie
Universitätsklinikum Tübingen
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