Die Endometriose ist nach Myomen die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung. Die Ursachen für die Entstehung sind jedoch nach wie vor nicht vollständig geklärt. Wir stellen die wichtigsten Erklärungsmodelle vor und werfen auch einen Blick auf die immunologischen Aspekte.
Nach verschiedenen Schätzungen liegt die Prävalenz der peritonealen Endometriose junger Frauen in Höhe von etwa 10–15 %,[1,2] in Deutschland erkranken demnach jedes Jahr etwa 40.000 Frauen.
Die Ursachen für die Entstehung der Endometriose sind nach wie vor nicht vollständig geklärt, entsprechend viele Erklärungsmodelle gibt es, die jedoch allesamt auch Schwächen haben. Vor allem die Tissue Injury And Repair(TIAR)-Theorie hat in den vergangenen Jahren viele Argumente auf sich vereinen können. Demnach führt eine gesteigerte Peristaltik der Gebärmuttermuskulatur zur Autotraumatisierung. Im Reparationsmechanismus werden lokal Estrogene freigesetzt, welche wiederum die Peristaltik verstärken. Daraus könnte ein Teufelskreis entstehen. Keine der vorliegenden Theorien kann jedoch bislang das komplexe Bild der Endometriose erklären. Vielmehr muss man ein multimodales Konzept aus den bisher bekannten Theorien annehmen, in dem eine Vielzahl von verschiedenen Faktoren zusammenwirkt.
Die Endometriose ist in ihrer Pathogenese Ausdruck einer gestörten Wundheilung nach mechanischem Trauma. Während der fortpflanzungsfähigen Phase ist der Uterus ständigen mechanischen Belastungen ausgesetzt.[3] Dazu gehören die andauernde peristaltische Aktivität für den gerichteten Spermientransport und die hohe fundale Implantation der Blastozyste sowie die Kontraktionen am Ende eines Zyklus zur Externalisierung des menstruellen Debris. Diese mechanischen Aktivitäten stellen eine chronische Belastung des Gewebes dar.
Im verletzten Gewebe werden mesenchymale Stammzellen (MSC) über die Wirkung von Zytokinen durch Zellkontakt in endometriale (archimetrale) Stammzellen (ESC oder ASC) umgewandelt und proliferieren als Zellen des Gastgewebes. Da die Autotraumatisierung oder die Folgen eines iatrogenen Traumas persistieren können, resultiert daraus ein chronischer Proliferationsprozess. In der frühen und mittleren Proliferationsphase ist die Frequenz der peristaltischen Wellen bei Frauen mit Endometriose gegenüber gesunden Kontrollen verdoppelt.[4]
Auf molekularer Ebene gilt die lokale Bildung von Estrogenen als elementar für das Verständnis der Pathophysiologie des Krankheitsbildes.[5] Estradiol spielt eine zentrale Rolle bei der Wundheilung – eine evolutionär alte Funktion, die im Wesentlichen über den Estrogenrezeptor beta (ER-beta) entfaltet wird. Eine durch Interleukin-1 induzierte Aktivierung der Cyclooxygenase-2 (COX-2) führt zur Produktion von Prostaglandin E2 (PGE2), das seinerseits StAR (steroidogenic acute regulatory protein) und die P 450 Aromatase aktiviert.
TIAR ist demnach ein nicht organspezifischer Prozess, der im Bindegewebe bei Wundheilung aktiviert wird. Die Übereinstimmung der Molekularbiologie von TIAR in verschiedenen Geweben nach Verletzung[6] mit den molekularbiologischen Phänomenen bei Endometriose,[7] legen die Vermutung nahe, dass TIAR auch in der Pathophysiologie der Endometriose von fundamentaler Bedeutung ist (Abb. 1).[8]
Unter Vermittlung des ER-beta fördert Estradiol am Ort der Verletzung die Expression des Chemokins CXCL12, das als Ligand eine Verbindung mit dem entsprechenden Rezeptor, CXCR4, eingeht. Dieses Protein wird auf der Oberfläche von mesenchymalen Stammzellen (MSC) exprimiert, sodass die MSC, die über das Blutversorgungssystem an den Verletzungsort gelangen, dort festgehalten werden.[9]
Mesenchymale Stammzellen (bone marrow-derived stem cells, MSC) sind eine heterogene Population von Zellen, die nur etwa 0,01 % des Knochenmarks ausmachen. Sie lassen sich heute aus fast allen Geweben, z. B. Fettgewebe, isolieren und sind durch bestimmte Kriterien definiert.[10] Unter bestimmten Umständen können sie in verschiedene Vorläuferzellen wie Osteoblasten, Chondrozyten, Myozyten und Adipozyten ausdifferenzieren. Dieser Differenzierungsprozess kommt u. a. durch Zellkontakt, Wachstumsfaktoren und Zytokine zustande. Die mesenchymalen Stamm/Stromazellen exprimieren an ihrer Oberfläche den Rezeptor CXCR4.
In hypoestrogenen Situationen, z. B. in der späten Postmenopause oder nach Ovarektomie sowie bei schwerer hypothalamischer Ovarialinsuffizienz, wird die für die Gewebsregeneration notwendige Inkorporation von CXCR4 markierten MSC in das Gewebe durch eine reduzierte Expression von CXCL12 eingeschränkt. Auch die Qualität der Stammzellen selbst ist offenbar in solchen Situationen vermindert.[11] Der TIAR-Prozess kann demnach als eine physiologische Notfallmaßnahme betrachtet werden, die den Heilungsprozess durch vermehrte Inkorporation von MSC beschleunigt.
Bei der Endometriose besteht als Folge des TIAR-Prozesses und der konsekutiven lokalen Produktion und parakrinen Wirkung von Estradiol eine dramatisch erhöhte Expression von CXCL12 im glandulären Epithel und somit über das System der Blutversorgung eine entsprechend verstärkte Anziehung und Anlagerung von MSC. Die Einschleusung von Stammzellen führt jedoch zu keiner Heilung, sondern zu einem chronischen Proliferationsprozess.
Zwei Aspekte des Verhaltens von Endometriosezellen ähneln dem maligner Tumoren: Invasivität und Metastasierung (Abb. 2). Eine Erklärungsmöglichkeit besteht in der modulierten Expression des Adhäsionsmoleküls N-Cadherin und den fehlenden E-Cadherin-Expression. Durch die gestörte Gewebeintegrität können sich Zellen aus dem Gewebeverband lösen.
In der tiefsten Schicht des Endometriums existierende Stammzellen sind für die monatliche Regeneration verantwortlich. Nach dem Abbluten der Functionalis müssen komplexe Reparaturmechanismen die Schleimhaut mit Stroma, Drüsen, Gefäßen und Nerven neu aufbauen. Durch die lokale Aromataseexpression während der TIAR könnte es nun zum Abschilfern stammzellhaltiger Basalisanteile kommen, die über die Tuben in den Bauchraum und somit auf das Peritoneum gelangen, wo sie sich weiterentwickeln.
Für das Gestagen Dienogest wurde gezeigt, dass es in der Lage ist, die Proliferation von Läsionen aus Endometriosezysten, deren endogene Aromataseexpression und die Angiogenese zu reduzieren, während die Apoptose gleichzeitig zunahm.[12]
Auch immunologische Mechanismen scheinen an der Entstehung einer Endometriose beteiligt, denn die Endometriumzellen werden offensichtlich nicht vom Immunsystem attackiert. Dies wird auf Veränderungen im originären Endometrium oder im peritonealen Kompartiment zurückgeführt. Hier können verschiedene Zytokine (z. B. IL-1, IL-6, IL-8 und IL-11, TNF-α, NF-KB u. a.) eine Rolle spielen.
SERIE: Endometriose
>> Teil I: Pathologie und molekulare Grundlagen der Endometriose <<
Teil II: Klinische Diagnose der Endometriose
Teil III: Therapie der Peritonealendometriose
Teil IV: Therapie der Ovarialendometriose
Teil V: Therapie der tiefinfiltrierenden und extragenitalen Endometriose
Der Autor
Prof. Dr. med. Thomas Römer
Chefarzt der Frauenklinik in Köln-Weyertal
Herausgeber des Journals DER PRIVATARZT GYNÄKOLOGIE
[1] Bulun SE. N Engl J Med 2009; 360: 268–279
[2] Burney RO et al., Fertil Steril 2012; 98: 511–519
[3] Leyendecker G in Ebert AD: Endometriose. De Gruyter 2019
[4] Leyendecker G et al., Hum Reprod 1996; 11: 1542–1551
[5] Leyendecker G et al., Hum Mol Biol Clin Invest 2011; 5: 125–142
[6] Mirzatoni A et al., Neurotrauma 2010; 27: 1875–1882
[7] Bernardi LA et al., Reprod Sci 2018; 26: 60–69
[8] Leyendecker G et al., Arch Gynecol Obstet 2009; 280: 529–538
[9] Lander AD et al., BMC Biol 2012; 10: 19
[10] Hocking HM. Adv Wound Care 2015; 4: 623–630
[11] Gargett CE et al., Hum Reprod Upd 2016; 22: 137–163
[12] Miyashaki M et al., Gynecol Endocrinol 2014; 30: 644–648
Bildnachweis: TarapongS Medizinserie (iStockphoto)