Auf die gesellschaftliche Dimension des ärztlichen Handelns verwies Prof. Dr. med. Verina Wild, Forschungsschwerpunkt Ethik der Medizin (Augsburg). Zu handeln, wann immer das Wohlergehen der Patienten bedroht ist, sei ein Gebot der Ethik, besonders bei vulnerablen Gruppen. Ziel sei es, in der Praxis Kohlendioxid einzusparen und weniger Medikamente zu verordnen. Um der Verantwortung angesichts des Klimawandels gerecht zu werden, sollten populationsbezogene Dimensionen in das ärztliche Handeln integriert werden. Das bedeute, weg von der individualistischen Ebene hin zu „public health“, der Gesunderhaltung aller und der Schadensminimierung für alle, wobei auch die gesundheitliche und soziale Ungleichheit zu beachten sei. Mit diesem biopsychosozialen Modell von Krankheit sei eine Verschiebung hin zur Prävention und einem globalen Gesundheitsverständnis möglich. Beachte man wissenschaftliche Erkenntnisse und nutze diese proaktiv, würde das Neutralitätsgebot nicht verletzt. Das sei ebenso für Pandemien, antimikrobielle Resistenzen und Fragen der Gesundheitsförderung und Prävention relevant, auch im Hinblick auf Digitalisierung und Big Data.
Viele Menschen haben Angst vor einem Schlaganfall oder auch vor einer Durchblutungsstörung der Beine, die zu einem offenen Beingeschwür bis hin zu einer Amputation führen kann. Unglücklicherweise, so bemängelte Prof. Dr. med. Sebastian Schellong (Dresden), Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 2020/2021, machen Patienten i. d. R. Durchblutungsstörungen an sichtbaren Krampfadern fest, deren Schadenspotenzial jedoch gering sei. Zudem würden sie glauben, mit Vorsorgeuntersuchungen wie einer Ultraschalluntersuchung der Halsschlagadern am meisten für ihre Gesundheit zu tun. Hier gelte es, das Bewusstsein und die Motivation der Patienten in die richtige Richtung zu lenken. So sei die allerhäufigste Ursache für einen Schlaganfall die Hypertonie. Sinnvoll sei daher, dass Menschen sich bereits im jungen Erwachsenenalter ab und an den Blutdruck messen lassen. Bei Feststellen eines Bluthochdrucks müsse dieser energisch behandelt werden. Eine echte Minderdurchblutung der Beine entsteht durch Zigarettenrauchen. Hier warnen belastungsabhängige Muskelschmerzen und Ruheschmerzen in der Nacht. Nur bei diesen Symptomen sei eine Untersuchung notwendig, im Vorfeld würde sie hingegen nichts nutzen. Engstellen und Verschlüsse der Beinarterien lassen sich effektiv mit Kathetereingriffen therapieren. Zudem sei ein Rauchstopp zu empfehlen.
Viele Patienten mit einer chronischen internistischen Erkrankung weisen psychische und/oder psychosomatische Erkrankungen auf. Das zeigt sich auch bei COVID-19 – unabhängig von der Schwere des Verlaufs, erläuterte Prof. Dr. med. Hans-Christoph Friedrich (Heidelberg). Dabei wird das seelische Befinden einerseits durch die unterschiedlichen Auswirkungen der Infektionskrankheit und andererseits durch die gravierenden psychosozialen Einschränkungen der Pandemie negativ beeinflusst. Und nicht wenige entwicklen im Anschluss an die Infektion noch Monate später eine heterogene Symptomkonstellation einschließlich psychosomatischer Beschwerden wie Fatigue.
Daher sei eine Verzahnung mit der interdisziplinären Etablierung von Post-COVID-Ambulanzen anzustreben, aber es sollten auch von Anfang an somatische und psychosoziale Aspekte simultan diagnostiziert werden, empfahl Friedrich. Dafür müssten allerding nicht nur alle Berufsgruppen offen sein, sondern auch eine entsprechende Finanzierung bereitgestellt werden.
Chronische Niereninsuffizienz kann zu einer Vernarbung der Niere mit Vermehrung des Bindegewebes, einer Nierenfibrose, führen. Auf der Suche nach Ansatzpunkten für eine Therapie der Nierenfibrose analysierte Prof. Dr. med. Rafael Kramann (Aachen) die zellulären Unterschiede zwischen gesunden und fibrotischen Nieren. Mithilfe von Einzelzell-RNA-Sequenzierungen und einer exakten Kartierung der Nieren gelang es, die Zellen zu ermitteln, die eine Nierenfibrose verursachen, und ihre Regulation zu charakterisieren: fehlgesteuerte Perizyten und spezifische Fibroblasten. Die genaue Kartierung der Niere ermöglichte es zudem, nach molekulare Strukturen für potenzielle Therapieansätze für die Nierenfibrose zu fahnden. Hier konnte das Protein NKD2 identifiziert werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin verlieh für diese aktuellen Erkenntnisse Kramann und seinem Team den Theodor-Frerichs-Preis 2021 für die beste vorgelegte klinisch-experimentelle Arbeit auf dem Gebiet der Inneren Medizin.
Corona ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hängt damit zusammen, wie wir mit Tieren und der Natur umgehen, betonte Dr. med. Eckhard v. Hirschhausen, Gründer der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“. Die größte Gesundheitsbedrohung ist und bleibt jedoch die Klimakrise, das sei Konsens von Weltärztebund (WMA), Weltgesundheitsorganisation (WHO), Lancet Climate Countdown und Leopoldina. Die Aufmerksamkeit, die Corona erhält, sollte daher um den Aspekt der „Triple Crisis“ erweitert werden: Infektionen, Artensterben und Klimaerwärmung hängen eng zusammen und müssen gemeinsam angegangen werden. Am besten funktioniere das über eine werteorientierte und evidenzbasierte Kommunikation. Dazu können Ärzte als angesehene Multiplikatoren im Gesundheitswesen beitragen. Die Gesundheitsperspektive sei umgänglicher und weniger abstrakt als physikalische Begriffe und lasse sich positiver beschreiben („es gibt noch Hoffnung“). Der Fokus sollte dabei auf „public health“ liegen, nicht auf der Gesundheit des Einzelnen.
Der stetige Wandel der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 spiegelt sich auch in aktuellen Leitlinien wider:
Neben Blutzuckersenkung und Vermeidung von Hypoglykämien rückt die Reduktion des kardiovaskulären Risikos
als Therapieziel in den Vordergrund. GLP-1-Rezeptoragonisten und Insuline behalten ihren Stellenwert.
Um spezifischere Therapien zu ermöglichen, schlugen Forscher für Diabetes mellitus folgende Subgruppen vor, so Dr. med. Markus Menzen (Bonn):
• SAID (Severe Autoimmune Diabetes): früher Krankheitsbeginn, niedriger Body-Mass-Index (BMI), Insulinmangel, hoher HbA1C, Glutamat-Decarboxylase(GADA)-positiv, (6 % Auftreten),
• SIDD (Severe Insulin-deficient Diabetes): GADA-negativ, sonst wie SAID, (18 %),
• SIRD (Severe Insulin-resistant Diabetes): älter, hoher BMI, Insulinresistenz, niedriger HbA1C, (15 %),
• MOD (Moderate Obesity Diabetes): jünger, hoher BMI, weniger Insulinresistenz, niedriger HbA1C, (22%) und
• MARD (Moderate Age-related Diabetes): älter, geringer BMI, sonst wie MOD, (39 %).
Des Weiteren sollen Ärzte gemeinsam mit Patienten realistische Therapieziele formulieren, die bestmöglich zur Lebenssituation und den Bedürfnissen der Betroffenen passen, forderte Dr. med. Martina Lange (Rheinbach). Dies spiegelt auch der Algorithmus der neuen Nationalen VersorgungsLeitlinie
zur Behandlung des Typ-2-Diabetes wider [1]. So solle das kardiovaskuläre Risiko bei der Therapiewahl berücksichtigt werden: Liegt keins vor, wird eine Monotherapie mit Metformin empfohlen.
Haben Patienten eine relevante kardiovaskuläre Erkrankung, kommt eine Kombination aus Metformin und SGLT2 (Sodium dependent glucose co-transporter2)-Inhibitor oder GLP-1-RA (Glucagon-like Peptide-1-Rezeptoragonisten) infrage. Letztere steigern die Insulinsekretion sowie die Ansprechempfindlichkeit der Betazellen und unterdrücken die hepatische Glucosefreisetzung; Energieaufnahme, Nahrungskonsum und Körpergewicht werden
reduziert.
Manche GLP-1-RA, z. B. Semaglutid, verringern darüber hinaus die Atherogenese. Studien zeigen, dass Semaglutid unter einem intravenösen Glucosetoleranztest die erste und zweite Phase der Insulinsekretion und gegenüber Placebo im Arginin-Stimulationstest die maximale Kapazität der Insulinsekretion steigert [2]. Zudem waren Energieaufnahme und -verbrauch unter Semaglutid vs. Placebo reduziert [3], betonte Dr. med. Marcel Kaiser (Frankfurt/Main).
„Erstmals ermöglicht die Leitlinie, die Therapie nicht nur zu eskalieren, sondern auch zu deeskalieren“, lobte Prof. Dr. med. Jens Aberle (Hamburg). Eine Insulintherapie kann im Verlauf jedoch auch als Mono- oder Kombinationstherapie intermittierend oder dauerhaft indiziert sein. Laut Lange z. B., wenn der HbA1C-Wert nicht in den individuellen Zielbereich zu senken ist, Antikörper gegen Glutamat-Decarboxylase vorliegen oder Kontraindikationen gegen andere Antidiabetika bestehen bzw. deren Therapie versagt. Für Insulin degludec bestätigt die DEVOTE-Studie die kardiovaskuläre Sicherheit. Zudem war die Häufigkeit schwerer Hypoglykämien um 40 % geringer als unter Insulin glargin; nächtliche schwere Unterzuckerungen sogar um 53 % seltener [4].
1 www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/diabetes-mellitus/diabetes-2aufl-vers1.pdf, Stand: 20.04.2021
2 Kapitza C et al., Diabetologia 2017; 60: 1390–1399
3 Blundell J et al., Diabetes Obes Metab 2017; 19: 1242–1251
4 Marso SP et al., N Engl J Med 2017; 377: 723–732
Industriesymposium „TALK Diabetes – Eine Diskussionsrunde zur (erfolgreichen) Umsetzung von Leitlinien sowie
zu Kontroversen in der Therapie des Typ-2-Diabetes“ (Veranstalter: Novo Nordisk Pharma GmbH)
Viele Menschen leiden an Refluxbeschwerden. Wenn diese nicht auf Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) ansprechen, ist das nicht gleichzusetzen mit PPI-refraktärer Refluxkrankheit. Vielmehr sollte interdisziplinär die richtige Diagnose evaluiert werden. Beispielsweise wird häufig die eosinophile Ösophagitis als Erkrankung übersehen.
Einer großen Online-Umfrage aus den USA mit mehr als 70 000 Personen zufolge klagt jeder zweite über Refluxbeschwerden und nimmt täglich Protonenpumpen-Inhibitoren. Doch diese haben Grenzen bei der Therapie des Sodbrennens, der Regurgitation und insbesondere bei atypischen Symptomen. Woran liegt das? Nach Ansicht von Prof. Dr. med. Joachim Labenz (Siegen) u. a. an der Pathophysiologie dieser Erkrankung, die sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt. Daher sei es sinnvoll, die Refluxkrankheit in unterschiedliche Syndrome aufzuteilen, denn PPI hemmen lediglich den Säurereflux und wirken nicht bei den anderen pathophysiologischen Komponenten. In Übereinstimmung mit der in der Überarbeitung befindlichen, konsentierten Leitlinie „Gastroösophageale Refluxkrankheit“ sollte man Labenz zufolge bei PPI-refraktärem Sodbrennen nach acht Wochen schauen, ob Alarmsymptome nicht auf eine andere Erkrankung hinweisen. Wenn das nicht der Fall ist, sollte der PPI zweimal täglich eingenommen oder auf einen anderen PPI umgestiegen werden. Erzielt man nach weiteren acht Wochen keine Erfolge, ist der PPI abzusetzen und drei bis vier Wochen zu pausieren. Eine Endoskopie sollte dann klären, ob eine schwere Refluxösophagitis, ein Barrett-Ösophagus oder etwa eine eosinophile Ösophagitis vorliegt. Gibt es hier keine Hinweise, sollte eine hochauflösende Manometrie eine Motilitätsstörung abklären. Letztlich kann noch eine 24-Stunden-Impedanz-pH-Metrie zur Diagnose beitragen bzw. die Patienten einer von drei Gruppen zuordnen: 1. Patienten mit pathologischem Säurereflux, die eine Optimierung der Therapie bis hin zu einer Antireflex-Operation benötigen. 2. Patienten mit normalem Säurereflux, der mit Beschwerdesymptomen assoziiert ist, was als hypersensitiver Ösophagus bezeichnet wird. 3. Die Beschwerden haben nichts mit einem Säurereflux zu tun, der Patient leidet an funktionellem Sodbrennen.
Die eosinophile Ösophagitis (EoE) wird zu selten diagnostiziert, was u. a. daran liege, dass Symptome wie retrosternales Brennen und Dysphagie auch bei der Refluxkrankheit auftreten und zu Fehldiagnosen führen, so Labenz. Nur die Bolusobstruktion sei charakteristisch für die EoE. Zudem würden Gastroenterologen oft zu wenig biopsieren. Idealerweise seien sechs oder mehr Biopsien aus verschiedenen Stufen des Ösopahgus zu entnehmen, um die Erkrankung nicht zu übersehen. Topische Steroide sind die Erstlinientherapeutika. Eine Langzeittherapie ist immer erforderlich, um Rückfälle mit progressiver Fibrose der Speiseröhre zu vermeiden.
Symposium „Gastroenterologie 2021 – Neues und Obsoletes; Vortrag Prof. Dr. med. Joachim Labenz: Ösophagus und Magen“