Da Australien seine Grenzen bis Ende 2021 geschlossen hält, musste der ursprünglich in Sydney geplante Weltkongress ins Internet ausweichen. Sieben Tage lang diskutierten Frauenärzte aus der ganzen Welt, aber auch andere Gesundheitsexperten und Politiker, die drängenden Fragen der Frauengesundheit.
Der FIGO 2021 war ein echter Weltkongress. Das Scientific Program Committee unter Leitung von Prof. Dr. med. Frank Louwen hatte aus der Not eine Tugend gemacht und ein denkwürdiges Programm über drei Zeitzonen präsentiert. Die Vorträge waren vorab aufgezeichnet, um Wartezeiten und technische Probleme zu vermeiden, Moderation und Fragerunde gab es dann live – ein Kongress-Modell mit Vorbildcharakter.
Auf dem FIGO kamen alle Themen der Frauengesundheit ausführlich zur Sprache, darunter auch zwei Schwerpunkte zu Adipositas (mehr dazu auf Seite 26) und den Folgen des Klimawandels für die Frauengesundheit. Auch politische Themen wurden angefasst. So präsentierten Dr. Sima Samar und Dr. Monika Hauser, beide Trägerinnen des Alternativen Nobelpreises, wie die Lage in Afghanistan für women‘s health and rights ausschaut und was Medizin, Wissenschaft und Politik jetzt tun können und tun müssen. Dr. Samar und Dr. Hauser waren bis September 2021 vor Ort.
Kernstück des FIGO waren selbstverständlich die traditionellen FIGO Sessions, in denen Frauenärzte aus allen Kontinenten ihre jeweilige Sicht zu Themen wie „Gynecologic Oncology“, „Clinical Obstet-rics“ oder „Reproduction“ vorstellten. Dazu kamen die Sessions der FIGO Committees und Working Groups, die seit Jahren die FIGO guidelines, recommendations und classifications erarbeiten. Alle Sessions sollen auch in den Monaten nach dem Kongress noch zugänglich sein und zeigen ein lebendiges Bild der Frauenheilkunde und Geburtshilfe weltweit.
Pränatalmedizin
Zu den Highlights gehörte auch der KEYNOTE-Vortrag von Dr. Diana Bianchi zum Thema „the earlier the better: The Case for Fetal Precision Medicine“. Dr. Bianchi demonstrierte die Nützlichkeit der zellfreien RNA im Fruchtwasser für die pränatale Medizin. Dr. Bianchi betonte dabei ausdrücklich, dass die Erkenntnisse aus diesen Arbeiten nicht nur in den reichen Regionen wie Europa zur Prävention von Frühgeburten angewendet werden können, sondern auch in ressourcenarmen Umgebungen.
Prof. Beverley Vollenhoven beleuchtete in ihrem Vortrag „Maternal Fetal Medicine and Reproductive Medicine – The Crosstalk between the Subspecialties“ die Bedeutung der Kommunikation zwischen den Reproduktionsmedizinern und den weiterbehandelnden Frauenärzten. Professor Vollenhoven nutzte diesen Vortrag zu unterstreichen, dass die Frauen schon in der Kinderwunschbehandlung für die Erfahrungen und Risiken während der Schwangerschaft und im Wochenbett sensibilisiert werden sollten.
In der Session „Fetales Wachstum: Best Practice und Game Changer“ ging es um die Vorhersage und Prävention von fetaler Wachstumsbeschränkung (FGR) in Ländern mit niedrigem mittlerem Einkommen und in Ländern mit höherem Einkommen. Die Referenten hoben insbesondere medizinische Komorbiditäten, Biomarker und ultraschallbasierte Marker als Schlüsselelemente bei der Vorhersage von FGR hervor. Neue Technologien und Werkzeuge, die helfen können, zwischen FGR und kleinen Föten im Gestationsalter (SGA) zu unterscheiden, wurden vorgestellt, ebenso die neuesten FIGO-Best-Practice-Ratschläge in Form eines praktischen Leitfadens für die Vorhersage, Prävention und Behandlung von FGR.
Frauengesundheit und Klimawandel
Die Rolle der Health Professionals bei der Reaktion auf die Klimakrise war Schwerpunkt am Tag 4. Die Session „Putting Out the Fire“ beleuchtete die Bewältigung der Risiken für die Gesundheit von Müttern und Neugeborenen aufgrund des Klimawandels, vor allem in Afrika. Epidemiologische Daten bildeten die Grundlage der Ausführungen, anschließend wurden die physiologischen Auswirkungen extremer Hitze auf Mutter und Kind präsentiert. Es folgten praktische Ratschläge, wie die klinische Versorgung angepasst werden kann, um Frauen und Neugeborene während Hitzewellen zu schützen und die wichtigsten Ergebnisse der Lancet-Umfrage „Views of Health Professionals on Climate Change and Health: a Multinational Study“. Den Abschluss der Sitzung bildete eine Podiumsdiskussion mit der Teamleiterin für Klimawandel und Gesundheit bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Dr. Diarmid Campbell-Lendrum, der Präsidentin des Internationalen Hebammenbundes Dr. Franka Cadée und der neuen FIGO-Präsidentin Dr. Jeanne Conry. Fazit: Es ist allerhöchste Zeit, sich diesem Thema nachhaltig zu widmen.
Präkonzeptionelle Beratung
Die Gesundheit der Mutter vor und während der Schwangerschaft beeinflusst das uterine Milieu und damit das Risiko der Kinder, im Erwachsenenalter nicht übertragbare Krankheiten zu entwickeln. Das Bewusstsein für diesen Zusammenhang ist jedoch gering. Weltweit sind mehr als 40 % der Schwangerschaften ungeplant, daher kommen bei einem großen Prozentsatz wesentliche Gesundheitsmaßnahmen zu spät. Was helfen kann sind Maßnahmen, die darauf abzielen, die präkonzeptionelle Beratung für alle Frauen im gebärfähigen Alter zu einem Muss zu machen. Zu diesem Zweck hat die FIGO ein Positionspapier herausgegeben.
Die präkonzeptionelle Beratung sollte medizinische, verhaltensbezogene und soziale Gesundheitsinterventionen für Frauen und Paare vor der Schwangerschaft umfassen. Ziel sollte es sein, Mütter- und Kindersterblichkeit und -morbidität zu verhindern. Zum Beispiel reduziert präkonzeptionelle körperliche Aktivität das Risiko für Schwangerschaftsdiabetes und Präeklampsie, eine Senkung des präkonzeptionellen Body-Mass-Index ist mit weniger schwangerschaftsbedingten Komplikationen verbunden, eine ausgewogene Ernährung mit einem reduzierten Risiko für Schwangerschaftsdiabetes. Ein rechtzeitiger Rauchstopp verringert vorzeitige Todesfälle und plötzlichen Kindstod.
COVID-Impfung
Und natürlich durfte auch die COVID-19-Pandemie nicht fehlen. Ein Live-Panel, das von der Bill and Melinda Gates Foundation zum Thema COVID organisiert wurde, gab einen Überblick über die aktuellen Erkenntnisse und Leitlinien zur Sicherheit und Wirksamkeit der Impfung schwangerer Frauen gegen COVID-19. Die Redner hoben unisono hervor, dass die Impfungen effizient und sicher sind und dass sowohl die teilweise Impfzurückhaltung in den reichen Ländern als auch die weltweite Impfungleichheit zwischen reichen und armen Ländern unnötig Menschenleben kosten. Die Experten diskutierten dabei auch die entscheidende Bedeutung der Kommunikation – von der Impfkampagne über die sozialen Medien bis zur Frauenarztpraxis, der letztlich die Betreuung der Schwangeren vor Ort unterliegt – auch bei der wichtigen Frage der COVID-19-Impfung.