Bei der Verabreichung der COVID-19-Impfstoffe kann eine Anaphylaxie auftreten. Dies wird zwar eher sehr selten beobachtet, dennoch müssen Ärzte und Impfteams sich des Anaphylaxierisikos bewusst sein, um im Ernstfall beim Auftreten von Symptomen schnell reagieren zu können.
Eine gründliche Anamneseerhebung ist eine wichtige Voraussetzung, um schwere Anaphylaxien beim Impfen zu vermeiden. Reaktionen auf Polyethylenglycol (PEG) in z. B. Abführmitteln, Gelen, Wundauflagen, Lotionen, Zahnpasta, Mundspülungen, Kosmetika und Shampoos müssen erfragt werden. Bei Patienten mit erhöhter basaler Serumtryptase und/oder Mastozytose kann die Anaphylaxie besonders schwerwiegend sein. Allergietests sollten in spezialisierten Allergiezentren durchgeführt werden. Wenn eine PEG-Allergie bestätigt werden kann, sollte ein Notfallset verschrieben und Informationen über die PEG-Allergie bereitgestellt werden.
Auch Trometamol kann anaphylaktische Reaktionen auslösen. Trometamol als Kontaktsensibilisator wird normalerweise epikutan auf allergische Reaktionen vom verzögerten Typ getestet. Bei Verdacht auf Typ-1-Reaktionen kann ein Hautpricktest (Konzentration 1:1) mit anschließender intradermaler Testung mit Verdünnungen von Trometamol von 1:1 000–1:10 durchgeführt werden. Obwohl allergische Reaktionen auf mRNA-1273-Komponenten wie PEG und Trometamol nicht häufig berichtet wurden, ist allein durch die hohe Zahl an Impflingen bei Verabreichung der Impfstoffe für COVID-19 mit Anaphylaxien bei Personen zu rechnen, die zuvor auf die Komponenten der Impfstoffe sensibilisiert wurden, insbesondere auf PEG, PEG-Analoga und kreuzallergene Substanzen (v. a. Polysorbat) sowie auf Trometamol im Fall von mRNA-1273. Nach eventuellen Prodromalzeichen manifestieren sich kutane Reaktionen in Form von Juckreiz, Rötung („flush“), Quaddelbildung und/oder Schwellungen (Angioödem) an expositionsfernen Regionen. Auch die Schleimhäute können betroffen sein. Erstes Anzeichen eines Larynxödems kann eine heisere Stimme sein, eine Zungenschwellung kann sich durch kloßige Sprache bemerkbar machen. Asthmatische Symptome treten als Folge der Bronchokonstriktion auf. Gastrointestinale Symptome manifestieren sich als krampfartige Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu unwillkürlicher Defäkation. Bei urogenitalen Manifestationen können Uteruskrämpfe, Harndrang und unwillkürlicher Harnabgang auftreten. Mediatorbedingte Permeabilitätsstörung und Vasodilatation führen zu Blutdruckabfall und Pulsbeschleunigung. Im dramatischsten Fall ist ein Herz-Kreislauf-Stillstand die Folge. Eine ZNS-Beteiligung kann in Form von Unruhe, Aggressivität, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen bis hin zu Krämpfen und Bewusstlosigkeit auftreten.
Schwere systemische allergische Reaktionen erfordern die zügige Gabe von Adrenalin. Adrenalin ist das einzige Medikament, welches gegen Beschwerden an allen betroffenen Organsystemen wie Haut, Atemwege, Herz-Kreislauf und Gastrointestinaltrakt wirkt. Gemäß aktueller Leitlinie wird die Gabe von Adrenalin ab einem Anaphylaxie-Schweregrad II (nach Ring und Messner) empfohlen. Bei vielen anaphylaktischen Reaktionen ist die intramuskuläre Applikation die Therapie der Wahl: einerseits ist eine i. m.-Applikation einfach in der Anwendung, andererseits ist das Risiko schwerer kardialer Nebenwirkungen im Vergleich zur i.v.-Gabe deutlich geringer. Darüber hinaus wirkt intramuskulär verabreichtes Adrenalin – im Gegensatz zur subkutanen Applikation – ohne zeitliche Verzögerung, weshalb eine subkutane Applikation nicht mehr empfohlen wird. Die empfohlene Einzeldosis Adrenalin bei Einsatz durch Fachpersonal beträgt, unabhängig von der Applikationsform, 10 μg/kg KG (= 0,01 mg/kg KG). Die i.m.-Injektion erfolgt in die Außenseite des Oberschenkels in einer Dosierung von 0,01 mg/kg KG. Bei ausbleibender Wirkung kann die Injektion alle 5–10 Minuten wiederholt werden.
Das Impf-Team sollte über die Akutbehandlung der Anaphylaxie geschult sein. Die entsprechenden Medikamente und Hilfsmittel sollten vor Ort verfügbar sein, insbesondere Adrenalin-Autoinjektoren.
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