Die Impfung gegen das humane Papillomavirus (HPV) bewährt sich einigen neuen Studien zufolge nicht nur gegen verschiedene Krebsformen, sondern auch gegen Genitalwarzen. Eine therapeutische Impfung gegen Letztere ist bisher jedoch nicht vorgesehen. Ob sie wirken könnte, diskutierten Fachleute auf dem EADV-Kongress.
Über 200 Typen des humanen Papillomavirus (HPV) wurden bis heute identifiziert. Einige verursachen harmlose Warzen auf der Haut, andere gehören zu den global am häufigsten sexuell übertragenen Viren. Meist ist eine HPV-Infektion nach 2 Jahren nicht mehr nachzuweisen. Bei 10 % der Betroffenen persistiert sie jedoch, wobei Tabakkonsum, ein geschwächtes Immunsystem, Koinfektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern und höheres Alter dies zu begünstigen scheinen [1].
Gehören die persistierenden Viren zu den 12 Hochrisiko(HR)-Typen, können sie die Entstehung präkanzeröser Läsionen auslösen und dann in manchen Fällen Krebs. Weltweit beruhen nahezu alle Zervixkarzinome auf einer HPV-Infektion. Sehr viele Vulvakarzinome (30 %) und Oropharynxkarzinome (50 %) lassen sich darauf zurückführen sowie die meisten Vaginal- und Analkarzinome (70 bzw. 90 %).
Niedrigrisiko(LR)-HPV-Typen verursachen 90 % der anogenitalen Warzen. Sie sind hochinfektiös, bilden sich 3 Wochen bis 6 Monate nach Infektion aus und das Lebenszeitrisiko für eine Erkrankung wird auf 5–10 % geschätzt. Männer im Alter zwischen 25 und 29 Jahren sind am häufigsten betroffen [2,3].
Gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) sollen in Deutschland seit 2007 zunächst nur Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren geimpft werden. Seit 2018 gilt die Empfehlung für Mädchen und Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren (vor dem ersten Sexualkontakt), Nachholimpfungen sollen möglichst bis zum 17. Lebensjahr erfolgen. Die zugelassene tetravalente Vakzine deckt die HR- HPV-Typen 16 und 18 ab, die für 70 % der Zervixkarzinome verantwortlich sind, sowie die LR-HPV-Typen 6 und 11, die 90 % der Genitalwarzen auslösen, der neunvalente Impfstoff schützt außerdem gegen die Typen 31, 33, 45, 52 und 58.
Laue Lust auf Impfen
Nach einem suboptimalen Impfstart meldete das RKI 2021 eine Durchimpfungsrate bei 15-jährigen Mädchen von 54 %, bei den gleichaltrigen Jungen von 26,5 %, die Rate begonnener Impfserien lag Studien zufolge bei 69 bzw. 44 % [2,4,5]. Einige europäische Länder hatten hingegen bereits 2018 bei 15-jährigen Mädchen Durchimpfungsraten von über 80 %, zum Teil nachdem sie Schulimpfprogramme eingeführt hatten [1]. Eine Modellrechnung aus 2024 weist darauf hin, dass die COVID-19-Pandemie den deutschen Impfraten nachhaltig geschadet haben könnte: Ihr zufolge unterschritten die Impfraten bei Mädchen in den Jahren 2020 bis 2023 den Wert von 2019 um 7–21 % [6]. Diese Situation entfernt Deutschland von den Zielen der WHO, die Ausbreitung der Genitalwarzen einzudämmen und eine Bevölkerungsimmunität zu erreichen, um das Zervixkarzinom zu eliminieren [7].
Die Impfung vor dem ersten Erregerkontakt beugt Genitalwarzen, die in der sexuell aktiven Bevölkerung mit einer Prävalenz von 1 % auftreten, effektiv vor [8]. Müssen sie chirurgisch-ablativ und/oder mit lokalen immunmodulatorischen Verfahren behandelt werden, kostet das Zeit und ist für die Betroffenen oft belastend [1]. Laut Leitlinienempfehlungen sollte die Impfung bei bereits bestehenden Läsionen bisher nicht als therapeutischer Ansatz durchgeführt werden. Aber wäre dies überhaupt ein Ansatz?
PRO: Therapeutische Impfung bei Genitalwarzen – eine Frage der Technik
Gängige Impfstoffe könnten sehr wohl gegen bereits bestehende Genitalwarzen helfen, allerdings brauche es neue Anwendungsformen, erklärte Prof. Errol Prens (Rotterdam). Ein wichtiger Aspekt sei der Applikationsort der Impfung. HPV gelange über eine verletzte Basalmembran in das Epithelium und dringe in die Basalzellen ein. Diese Epithelien seien nicht vaskularisiert und damit immunologisch schlechter überwacht, stellte Prens fest. Die HP-Viren seien in den Keratinozyten getarnt und schafften ein lokal immuntolerantes Mikroumfeld. Hierfür induzierten sie eine umfangreiche Hyperkeratose, in deren äußerem Bereich die beiden Late(L)- oder Kapsid-Proteine exprimiert würden, im basalen Bereich die HPV-Early(E)-Proteine.
Weiter erklärte er, dass die beiden Proteine E6/E7 den Antigenpeptid-Transporter TAP1 sowie den MHC-Klasse-1-Komplex herunterregelten und damit die Antigen-Präsentation HPV-infizierter Zellen. Außerdem regulierten sie die Expression der immunsuppressiv wirkenden Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO) sowie die Entwicklung regulatorischer T-Zellen hoch [9]. Die Bildung von CD8+-Zellen hingegen werde unterdrückt, ebenso die Expression des Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) sowie dendritische Zellen, die Gewebe überwachen und eine spezifische Immunantwort induzieren können (Abb. 1). Durch HPV-induzierte Ausweichmanöver der Keratinozyten erfolge weder Erkennung noch Immunantwort. Die angeborene und die erworbene Immunantwort, die über NK- und CD8+-T-Zellen infizierte Keratinozyten zerstören könnten, fielen praktisch aus (Abb. 2) [10,11]. Gleichzeitig sei die Antikörperreaktion schwach und die per intramuskulärer Impfung induzierten neutralisierenden Antikörper fingen die reifen Viruspartikel erst nach deren Freisetzung ab. Dies schütze nur vor der Verbreitung des Virus im eigenen Körper und der Ansteckung Dritter.
Eine Überlistungsstrategie mit Adjuvans
Für eine therapeutische Impfung müssten T-Zellen in das Epithelium gelangen, um die HPV-infizierten Keratinozyten zerstören zu können. Tatsächlich lasse sich die Migration von T-Zellen in die Haut programmieren und hierfür seien dendritische Zellen (DC) essenziell [12]. Für das Verhalten der DC und die Prägung des Immunsystems spiele das DC-Ausgangsgewebe eine entscheidende Rolle [13]. Deshalb müsse man die Virusantigene intrakutan statt intramuskulär präsentieren, um T-Zellen zu erzeugen, die sich in der Haut ansiedeln und dafür kutane Homing Receptors bräuchten [14]. Die Wahl des Gewebes, in das geimpft werde, wirke zusammen mit der Applikation des Immunmodulators Imiquimod wie ein Adjuvans und leite die Immunantwort zum Virus.
Dieses Prinzip, wie sich Antigene mutierter Zellen exponieren lassen, habe man am Beispiel der aktinischen Keratose lernen können. Bei dieser Präkanzerose führten p53-mutierte Zellen zur Bildung von Plattenepithelzellkarzinomen. Auch hier würden Proteine präsentiert und erkannt, indem man mit dem auf die Läsionen aufgetragenen Immunmodulator Imiquimod eine starke Immunantwort induziere.
Inzwischen gebe es viele Optionen, um Impfstoffe intrakutan zu applizieren: (Mikro-)Injektion, nadelfreie Injektion, Tätowierung sowie Partikel-vermittelte oder transfollikuläre Verfahren. Dies werde die Zukunft für Impfungen gegen Epithel-assoziierte Erkrankungen sein, zeigte sich Prens überzeugt.
Erste Erfolge
Am Erasmus Center für Medical Treatment Rotterdam habe man rund 30 Patientinnen mit hartnäckigen vulvären und zervikalen intraepithelialen Neoplasien (VIN / CIN) konventionell therapiert. Die ebenfalls vorliegenden Genitalwarzen seien oberflächlich mit dem Laser behandelt worden, um Vernarbungen zu vermeiden. Anschließend sei Imiquimod für 6 Wochen lokal angewendet worden. Zusätzlich habe man beidseits der Vulva jeweils 4-mal intrakutan mit der neunvalenten Vakzine geimpft, um die regionalen Lymphknoten zu erreichen. Bisher sei bei den über 30 Fällen nur ein kleines Rezidiv aufgetreten. Die Läsion habe erfolgreich mit dem Laser und Imiquimod therapiert werden können. Sonst seien die Patientinnen seit bis zu 7 Jahren rezidivfrei. Die Fälle sind noch nicht publiziert.
CONTRA: Existierende Impfstoffe sind keine Therapie gegen Genitalwarzen
Die Datenlage zur Fragestellung sei mager, argumentierte Prof. Dr. Maarten Schim van der Loeff (Amsterdam). Ein systematisches Review von 2024 habe lediglich 2 Fallstudien, 3 Fallserien und je eine nicht randomisierte und eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) berücksichtigen können. Das Autorenteam habe das Verzerrungsrisiko als hoch eingeschätzt und letztlich geschlussfolgert, dass HPV-Vakzine eine Rolle für die Therapie von Genitalwarzen spielen könnten [15]. Ein anderes Team habe jedoch gefordert, die Fragestellung in RCT weiter zu untersuchen [16]. Eine deutsche Studie sei zudem vorzeitig abgebrochen und zurückgezogen worden, da die Rezidivrate 6 Monate nach der dritten Verum- oder Placebo-Impfung vergleichbar hoch war und die Patientenrekrutierung schleppend verlief.
Unpassende Wirkmechanismen gängiger Impfstoffe
Die verfügbaren Impfstoffe stießen die Bildung von Antikörpern an, betonte Schim van der Loeff. Das HP-Virus enthalte eine zirkuläre doppelsträngige
DNA, die 7 Early(E)- und 2 Late(L)-Proteine kodierten. Die virusähnlichen Partikel der Vakzine seien zusammengesetzt aus L1-Proteinen, enthielten kein genetisches Material und induzierten nach intramuskulärer Injektion Anti-L1-Antikörper. Diese könnten Viren erkennen und neutralisierten, bevor sie in die Basalzellen der Schleimhaut gelangen, nicht jedoch HPV-infizierte Basalzellen. Denn sie präsentierten L1 nicht auf ihrer Oberfläche. Zytotoxische T-Lymphozyten (CTL) dagegen könnten die auf der Oberfläche proliferierender Basalzellen präsentierten Antigene E6 und E7 erkennen. Doch induzierten die aktuellen Impfstoffe eben keine CTL-Antwort gegen E6/E7.
Entsprechend sei der neunvalente Impfstoff ausschließlich zur Prophylaxe zugelassen, und nicht zur Therapie aktiver HPV-Infektionen oder etablierter klinischer Erkrankungen, also von Karzinomen oder hochgradigen dysplastischen Läsionen der Vulva, Vagina, Zervix oder des Anus oder von Genitalwarzen. Hätte sich für die Vakzine ein therapeutischer Effekt nachweisen lassen, müsse man davon ausgehen, dass der Hersteller eine entsprechende Zulassung beantragt hätte, argumentierte Schim van der Loeff.
Bisher nur ein Hinweis
Wahr sei allerdings, dass gängige Impfstoffe möglicherweise Rezidiven vorbeugten, wenngleich auch hier die endgültige Evidenz fehle. Und: Eine britische faktorielle RCT an 22 Kliniken weise auf eine Wirksamkeit der therapeutischen Impfung hin [17]. In der Studie seien die lokale Anwendung von 5 % Imiquimod und 0,15 % Podophyllotoxin verglichen worden sowie ein tetravalenter HPV-Impfstoff mit Placebo. Studienendpunkte waren die Abheilung von Warzen in Woche 16 sowie Rezidivfreiheit in Woche 48. Es habe sich ein leichter Vorteil zugunsten der Impfung ergeben: Der kombinierte primäre Endpunkt sei in der geimpften Kohorte mit 36,5 % etwas häufiger erreicht worden als im Placebo-Arm mit 27,9 %. Die adjustierte Odds Ratio von 1,46 habe die Signifikanz nur knapp verfehlt. Allerdings wiesen die Ergebnisse auf eine Wirksamkeit hinsichtlich der Rezidivprävention und nicht der therapeutischen Wirkung hin.
Möglicherweise therapeutisch wirksam: neue Impfstoffe
Neue Vakzine zielten tatsächlich darauf ab, zytotoxische T-Zellen gegen E6/E7 zu erzeugen, die in proliferierenden Zellen HPV-induzierter Läsionen exprimiert würden. Und diese CTL töteten infizierte Zellen ab. Bisher gebe es jedoch nur Phase-I- und Phase-II-Studien zu diesem Konzept, das deshalb noch nicht in Zulassungsnähe sei. Darüber hinaus zielten alle derzeit geprüften Ansätze auf die onkogenen Typen HPV 16/18 – und keiner von ihnen auf HPV 6/11, die Genitalwarzen auslösen.
Aktuell gebe es keinen Beleg für die therapeutische Wirksamkeit verfügbarer HPV-Vakzine gegen Genitalwarzen und die Impfung als Adjuvans sei mit 3 Dosen à 120 Euro teuer. Nachdem die aktuellen Impfungen nicht die nötige CTL-Antwort induzierten, möge man sie aus guten Gründen anbieten – und davon gebe es viele – jedoch nicht als Therapie gegen Genitalwarzen, schloss Schim van der Loeff.
Vorträge „Controversy: Can HPV vaccination treat genital warts?“, EADV 2024, Amsterdam, September 2024