Vaginismus und chronische nichtorganische Dyspareunie sind durch Sexualtherapie gut zu behandeln. In der Frauenarztpraxis geht es darum, solche Störungen frühzeitig zu detektieren, um chronische Verläufe zu verhindern und um die Patientinnen einer geeigneten Therapie zuzuführen.
Vaginismus (F52.5) wird als andauernde oder wiederkehrende Schwierigkeit des Körpers beschrieben, das Einführen eines Penis, Fingers oder eines anderen Objekts in die Vagina zuzulassen, trotz des eigenen, ausdrücklich geäußerten Wunsches danach (Definition nach Rosemary Basson). Davon abzugrenzen ist die chronische nichtorganische Dyspareunie (F52.6), bei der Penetration zwar möglich, aber nur unter Schmerzen durchführbar ist. Beide Sexualstörungen sind für betroffene Frauen/Paare äußerst belastend, können aber gut therapiert werden. In diesem Artikel geht es ausdrücklich um Vaginismus und chronische nichtorganische Dyspareunie, bei der keine gynäkologische Ursache nachweisbar ist. Die Häufigkeit beider Sexualstörungen ist schwer zu ermitteln. Eine Erhebung von Ahrendt/Friedrich aus dem Jahr 2015 konnte in der durchschnittlichen Patientengruppe einer gynäkologischen Praxis die Auftretenswahrscheinlichkeit für Vaginismus mit 0,8 % sowie 18,8 % für chronische nichtorganische (äußere) Dyspareunie ermitteln (Abb. 1). Die tatsächliche Häufigkeit des Vaginismus wird hierbei wahrscheinlich stark unterschätzt, da vaginistische Patientinnen oft gar nicht in die gynäkologische Sprechstunde kommen (kein Verhütungsbedarf, Angst vor der Untersuchung, keine Schwangerschaft), sodass von einer hohen Dunkelziffer an Patientinnen ausgegangen wird. Das Gefühl „beim Normalsten der Welt“ Schwierigkeiten zu haben oder gar „die Einzige zu sein, die damit Schwierigkeiten hat“, wird in einer ansonsten übersexualisierten Welt als belastend und beschämend erlebt. Aufgrund der eigenen Sprachlosigkeit über sexuelle Funktionsstörungen „googeln“ sich viele Patientinnen ihre Problematik selbst und suchen anonyme Hilfsangebote.
Stellt sich eine Patientin mit dem Verdacht auf Vaginismus oder chronische nichtorganische Dyspareunie vor, erfolgt mithilfe einer genauen Sexualanamnese die Differenzierung der beiden Sexualstörungen. Zwei Fallbeispiele sollen dies verdeutlichen.
Fallbeispiel 1 (primärer Vaginismus): Eine 39-jährige Biologin erzählt, dass sie noch nie vaginalpenetrativen Geschlechtsverkehr hatte. Mit ihrem Mann sei sie seit über 20 Jahren ein Paar, sie würden sich lieben und eine gute Beziehung führen. Sie berichtet, bereits in der Teenagerzeit Probleme mit dem Einführen gehabt zu haben, so habe sie nie Tampons benutzen können, da dies „immer wehgetan“ hätte. Penetrationsversuche mit ihrem Partner seien stets gescheitert, da es nach Einführen der Penisspitze bereits einen Schmerz gegeben habe, infolgedessen der Sex abgebrochen worden sei. Im Laufe der Jahre hätten sie es gar nicht mehr versucht, sondern ihre Sexualität oral-manuell ausgelebt, was mit beiderseitiger Orgasmusfähigkeit als befriedigend erlebt worden sei. Aufgrund eines neu entstandenen Kinderwunsches wollten sie ihre Problematik therapeutisch angehen.
Fallbeispiel 2 (chronische Dyspareunie): Eine 24-jährige Studentin erzählt, dass sie den ersten Geschlechtsverkehr mit 18 Jahren erlebt habe, alles sei bestens gewesen, sie habe keine Schmerzen dabei verspürt. Nun sei sie seit drei Jahren mit ihrem Freund zusammen, den sie sehr liebe. Auch mit ihm habe es zu Beginn keine Probleme gegeben. Vor einem Jahr aber habe sie plötzlich beim Eindringen Schmerzen verspürt, die mit der Zeit immer schlimmer geworden seien. Ihr Frauenarzt habe sie mehrfach untersucht und beruhigt, dass „organisch“ alles in Ordnung sei. Dennoch habe sich ihr Problem immer mehr verstärkt, sodass sie mittlerweile Penetration gar nicht mehr zulassen könne. Infolgedessen merke sie, dass auch ihre Lust auf Sex deutlich nachlasse, und sie weniger Körperkontakt mit ihrem Freund habe. Dies belaste sie sehr, da sie Angst habe, dadurch ihre Partnerschaft zu verlieren.
Die Sexualanamnese wird im Folgenden durch eine biopsychosoziale Anamnese erweitert, um zusätzliche Faktoren, die die sexuelle Gesundheit der Patientin beeinträchtigen könnten, zu erfassen (Abb. 2). Das Anamnesegespräch sollte in einer ruhigen, vertrauensbildenden Atmosphäre stattfinden, in der die Patientin Gelegenheit hat, sich verbal zu öffnen. Die sich anschließende gynäkologische Untersuchung (wovor seitens der Patientin große Angst besteht) sollte vorbereitet werden, indem der Patientin genau der Untersuchungsablauf erklärt wird. Eine eingehende gynäkologische Untersuchung zum Ausschluss anatomischer Penetrationshindernisse (Vaginal-Septen, Hymen-Verengungen-Verschlüsse), ist bei Vaginismus-Patientinnen obligatorisch. Auch bei Patientinnen mit chronischer nichtorganischer Dyspareunie wird die Untersuchungsposition auf dem gynäkologischen Stuhl genutzt, um den Grad der vaginistischen Abwehrreaktion einzuschätzen und um Schmerzpunkte aufzufinden, die diese auslösen. Oftmals gelingt bereits eine Inspektion der Vulva und des Introitus nur schwer, da es zu einer starken Anspannung der Adduktoren und Glutealmuskeln kommt. Hier sollte durch Beruhigung zur Entspannung angeleitet werden. Gelingt im Folgenden der Ausschluss anatomischer Ursachen, erfolgt eine vorsichtige digitale Palpation des Introitus. Hier hat sich bewährt mittels Gleitgels zunächst eine Fingerkuppe des untersuchenden Fingers einzuführen, um vorsichtig die Beckenbodenmuskulatur abzutasten. Typische Schmerzpunkte sind ein druckdolentes Centrum perinei (Beckenbodenbereich, an dem die Mm. transversi superfizialis, die Mm. bulbospongiosi sowie der M. sphincter ani externus zusammenlaufen) sowie chronisch verspannte Mm. transversi perinei superfizialis bis zum Ansatz am Beckenring. Bei der Palpation der beschriebenen Muskelbereiche kommt es zur Schmerzentwicklung mit konsekutiver vaginistischer Abwehrreaktion durch reflektorische Anspannung sämtlicher Muskelbereiche. Tiefere Palpation nach Passage genannter Muskelbereiche kann oft komplett schmerzfrei für die Patientin erfolgen. Nach der Untersuchung wird der Patientin mithilfe von anatomischem Bildmaterial das Zustandekommens eines Vaginismus / der chronischen nichtorganischen Dyspareunie erklärt, was für die Akzeptanz der Erkrankung sowie für das Therapiekonzept von großer Wichtigkeit ist. Vaginismus oder chronische nichtorganische Dyspareunie entwickeln sich als ein gegenseitig verstärkender somatopsychischer, psychosomatischer Teufelskreis. Negative Penetrationserfahrungen (z. B. Tampon einführen oder schmerzhafter Sex) hinterlassen bei den Betroffenen eine negative „Erinnerungsspur“ in den Mandelkernen des limbischen Systems („irgendetwas geht da unten nicht, ist unangenehm, tut weh“). Unglücklicherweise werden unangenehme Gedächtnisinhalte wesentlich nachhaltiger gespeichert als angenehme, sodass bei einer folgenden potenziellen Penetrationssituation diese unangenehmen Gedächtnisinhalte reaktiviert werden, und der Körper in Sekundenbruchteilen vor der drohenden Gefahr „Achtung, da tut gleich was weh“ gewarnt wird. Dies führt zu einer Angstreaktion mit Muskelanspannung im Bereich der Beckenbodenmuskulatur. Bestimmte Muskelbereiche scheinen sich mit der Zeit chronisch zu verspannen, sodass Berührung oder Palpation immer mehr Schmerz auslösen. Mit jeder neuen Schmerzerfahrung werden Schmerzgedächtnisinhalte im Sinne eines Teufelskreises verstärkt. Schuld, Insuffizienz und Angstgefühle der Patientin tragen negativ zur Aufrechterhaltung dieses Teufelskreises bei.
Die Therapie von Vaginismus-Patientinnen beginnt sexualedukatorisch zunächst mit einer Anleitung zur visuellen Selbsterkundung des eigenen äußeren Genitales, da oftmals keine genauen Kenntnisse über diesen Körperbereich vorliegen. Die Therapie chronisch nichtorganisch dyspareunischer Patientinnen beginnt meist mit der Anleitung zur Eigenmassage schmerzender innerer muskulären Beckenbodenbereiche, um durch Muskellockerung Schmerzlinderung bei Berührung zu erlangen. Im Folgenden werden die Patientinnen zu Einführübungen mit dem eigenen Finger oder mit Dilatoren angeleitet. Hierbei ist wichtig, dass die Penetration (zum ersten Mal / wieder) schmerz- und angstfrei erlebbar ist, wenn sie durch sich selbst erfolgt. Sofern ein Partner vorhanden ist, wird dieser in die Therapie mit einbezogen. Das Paar erhält Körperübungen nach der Sensate-Focus-Methode, um ein angstfreies Spüren von Zärtlichkeit, Körperlichkeit und Lust wiederzuerlangen. Sobald die Patientin in der Lage ist, ein Hilfsmittel in Penisgröße des Partners bei sich selbst schmerzfrei einzuführen, kann der Übertrag auf den Partner erfolgen. Dies ist ein wichtiger Schritt, da er für die Patientin große Kontrollabgabe bedeutet. Zunächst erfolgt dies durch Einführen des Fingers oder des Dilators durch den Partner, dann erst wird der erste penile Penetrationsversuch in Reiterposition unter voller Kontrolle der Frau angeleitet. Die Suche nach einem qualifizierten Sexualtherapeuten gestaltet sich oft schwierig, da die Berufsbezeichnung nicht geschützt ist. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (DGSMTW Berlin) bietet auf ihrer Homepage (www.dgsmtw.de) seine nach Postleitzahlen geordnete Liste qualifizierter Therapeuten an. Kosten für eine Sexualtherapie müssen von den Patientinnen/Paaren meist selbst getragen werden.
FAZIT:
Patientinnen mit Vaginismus oder chronischer nichtorganischer Dyspareunie haben oft das Gefühl, nicht zu funktionieren. Daher ist es in der gynäkologischen Praxis wichtig, die Problematik frühzeitig zu erkennen. Beide Formen der sexuellen Störung werden mittels Sexualtherapie (Körpertherapie) und nicht mittels Psychotherapie behandelt. Mit einer geeigneten Therapie lassen sich chronische Verläufe in der Regel verhindern.
Die Autorin
Dr. med. Roswitha Engel-Széchényi
Stephanstr. 33
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