Die Interleukin(IL)-1- und -6-Hemmung hat die Therapie von Morbus Still so sehr verbessert, dass die europäischen Fachgesellschaften sie nun im Zuge einer Treat-to-Target-Strategie schon ab Diagnosestellung empfehlen. Ziel ist die medikamentenfreie Remission. Zugleich fordern sie stete Wachsamkeit hinsichtlich Komplikationen.
Der Morbus Still ist eine seltene, polygenetische Autoinflammationserkrankung. Sie umfasst die systemische juvenile idiopathische Arthritis, ihre bisher als juveniles Still-Syndrom bezeichnete Arthritis-freie Variante und das Adult Onset Still Syndrome (AOSD). Weil alle 3 inzwischen als Kontinuum derselben Erkrankung mit alterstypisch variablen Phänotypen gelten, hat die European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) die im September 2024 publizierten Empfehlungen zu Diagnose und Management der Still´schen Krankheit auch zusammen mit der Paediatric Rheumatology European Association (PReS) erarbeitet [1]. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) publizierte erst 2023 erstmals eine S2e-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des adulten Still-Syndroms“ [2].
Die Still´sche Erkrankung manifestiert sich häufig bei jungen Erwachsenen, kann das aber auch noch jenseits des 60. Lebensjahrs tun. Das durchschnittliche Erkrankungsalter beträgt etwa 36 Jahre.
Klinische Diagnose
Die Diagnose ergibt sich aus einer Konstellation passender Symptome. In über 50 % sind das Fieber > 39 °C, Ausschlag, Arthritis, Arthralgien, Myalgien, Halsschmerzen, Lymphknotenschwellungen, bei > 20 % eine Hepatosplenomegalie oder Gewichtsverlust und seltener Pleuritis, Perikarditis oder Bauchschmerzen. Mangels eines validierten und international akzeptierten diagnostischen Instruments halten die Fachgesellschaften es für vertretbar, unterstützend etwa die Klassifikationskriterien von Yamaguchi heranzuziehen.
Das Fieber kommt mit typischen Spitzen, oft abends, und verschwindet dann wieder bis zum Folgetag. Auch der Ausschlag ist oft nur flüchtig während der Fieberschübe zu sehen. Nicht immer ist es das klassische stammbetonte „lachsfarbene Erythem“ – auch feinfleckige, urtikarielle Exantheme sind möglich. Sie können lokal stark begrenzt sein. Arthritiden sind seltener als Gelenk- und Muskelschmerzen und meist polyartikulär. Sie betreffen bevorzugt größere Gelenke, wie Knie-, Hand- und Sprunggelenke. Leukozytose, CRP-Erhöhung und Ferritin-Werte im oft vierstelligen Bereich spiegeln die starke systemische Entzündung wider. Falls möglich, empfiehlt die EULAR, auch IL-18 und S100-Protein im Serum zu messen. Deutlich erhöhte Werte unterstützen die Diagnose.
Differenzialdiagnostisch ist vor allem an Infektionen, hämatoonkologische Erkrankungen, andere immunvermittelte entzündliche Erkrankungen oder monogenetische Autoinflammationssyndrome zu denken.
EULAR setzt von vornherein auf Biologika
Glukokortikoide (GC) und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) eignen sich zur Akuttherapie, Methotrexat (MTX) oder Calcineurin-Inhibitoren, wie Ciclosporin A, zur GC-Einsparung, vor allem aber empfehlen sich Biologika, die gezielt pathogenetisch bedeutsame Zytokine hemmen. So sind der IL-1-Rezeptor-Blocker Anakinra und der IL-1β-Inhibitor Canakinumab für moderat bis schwere Verläufe bei Kindern und Erwachsenen zugelassen, auch ohne Vortherapie mit Basistherapeutika wie MTX. Der IL-6-Rezeptor-Antikörper Tocilizumab ist bei Morbus Still nur bei Kindern zugelassen. Bis auf Anakinra, das bei Kindern primär – mit oder alternativ zu GC – als Therapie der Wahl eingesetzt wird, setzen alle laut Fachinformation einen Therapieversuch mit NSAR und GC voraus.
Nichtsdestotrotz geht der Trend dahin, Biologika so früh wie möglich zu nutzen und lange GC-Therapien zu vermeiden. Während die DGRh-Leitlinie noch abgestuft vorgeht und Biologika erst bei unzureichendem Ansprechen oder höherer Krankheitsaktivität vorsieht, haben Rheumatologinnen und Rheumatologen auf europäischer Ebene festgelegt, schon bei Diagnose IL-1- oder IL-6-Inhibitoren zu verordnen. Dabei streben sie eine klinisch inaktive Erkrankung (clinically inactive disease, CID) an: Symptomfreiheit mit Normalisierung von Blutsenkungsgeschwindigkeit und CRP. Ab 6 Monaten Dauer gilt das als Remission. Fernziel ist eine Remission ohne Medikamente. Um rasch dorthin zu kommen, hat die EULAR Zwischenziele formuliert, etwa ein Ausschleichen der GC über 6 Monate (Abb.). Werden sie verpasst, kann zunächst eine Biologika-Rotation versucht werden. Ansonsten ist ein Referenzzentrum zu kontaktieren. Infektionen sind auszuschließen, Ciclosporin A zu geben oder eine experimentelle Behandlung zu beginnen. Immerhin kann jeder zweite an Morbus Still Erkrankte inzwischen damit rechnen, symptomfrei zu werden.
Nach Komplikationen Ausschau halten!
Ein Novum der europäischen Leitlinie ist ein Fokus auf schwere, mitunter lebensbedrohliche Komplikationen. So fordert sie ein aktives Screening und Monitoring hinsichtlich eines Makrophagen-Aktivierungssyndroms (MAS) und einer Still-assoziierten Lungenerkrankung. Für Letztere eignen sich Lungenfunktionstests und bei verdächtiger Klinik – anhaltender Husten, Trommelschlegelfinger, Luftnot – eine Computertomografie des Thorax. Hinweise auf ein MAS können anhaltendes Fieber, Splenomegalie, ein weiterer, massiver Ferritin-Anstieg, Zytopenien, erhöhte Transaminasen- und Triglyceridwerte sowie intravaskuläre Gerinnung sein.