Wichtige Schwerpunkte der neuen Leitlinienversion stellen die Berücksichtigung der zahlreichen technischen Neuentwicklungen rund um die Glucosemessung, die Einbeziehung der Betroffenen bei der Entscheidungsfindung zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie Sicherheitsaspekte bei der Therapieplanung dar [1].
Seit September 2023 steht eine neue Version der S3-Leitlinie „Therapie des Typ-1-Diabetes” zur Verfügung, erstellt unter Federführung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Im Zuge der Aktualisierung wird nun erstmals der Einsatz der neueren Technologien zum Blutglucosemonitoring (Sensoren) sowie automatischen Insulin-Dosiersysteme (AID) beschrieben bzw. bewertet. Der Einsatz von Systemen zur kontinuierlichen Glucosemessung (continuous glucose monitoring, CGM) soll demnach allen Menschen mit Typ-1-Diabetes (T1D) angeboten werden, wobei die Entscheidung für oder dagegen sowie die Art des Systems gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten getroffen werden soll (die Betonung liegt auf partizipativer Entscheidungsfindung).
Keine konkreten Therapieziele bei CGM
CGM-Systeme zeigen den aktuellen Glucosewert und -trend an, verfügen über Alarmfunktionen und können – wie für alle Altersgruppen bestätigt – das Risiko für Hypoglykämien (einschließlich schwerer und sehr schwerer) signifikant reduzieren, sowie auch zur signifikanten Absenkung des HbA1C-Werts beitragen. Wurde in der Leitlinie von 2018 als CGM-abgeleiteter Parameter lediglich die „Zeit in einem vordefinierten Zielbereich“ (Time in Range, TIR) als mögliches neues, aber noch nicht ausreichend etabliertes Therapieziel erwähnt, führt die aktuelle Leitlinie 5 „klinisch sinnvolle“ Parameter zur Therapiesteuerung und Edukation der Erkrankten auf (Tab.). Bei der Definition von Therapiezielen mit CGM-abgeleiteten Parametern bleibt die Leitlinie weniger konkret und empfiehlt, diese „individuell“ festzulegen (Empfehlungsgrad B), sodass sie im Einzelfall auch höher oder tiefer liegen können.
Therapiesicherheit durch Technologie
Im Zusammenhang mit möglichen Risiken einer intensiven Glucosesenkungstherapie wie der Entwicklung schwerer Hypoglykämien wird relativierend darauf hingewiesen, dass sich die Therapiesicherheit in den vergangenen 10–15 Jahren durch die technischen Möglichkeiten verbessert und auch der Aufwand durch die Etablierung einer CGM reduziert hat. Während Insulinpumpen mit Sensorfunktionen seit den 2010er-Jahren verfügbar sind, sind AID-Systeme (Automated Insulin Delivery), welche die Insulinabgabe im Bedarfsfall nicht nur stoppen, sondern bei erwarteten hohen Glucosewerten die Insulinabgabe erstmals auch automatisch steigern sollen, erst seit Kurzem verfügbar. Die AID-Therapie setzt eine Insulinpumpe, ein kompatibles CGM-System und einen kompatiblen AID-Algorithmus voraus. In Bezug auf die benötigte Hardware sowie die Charakteristik der AID-Algorithmen werden große Unterschiede konstatiert. Trotz der noch begrenzten Studienlage wird auf Basis der bisherigen Daten ein möglicher Klasseneffekt in der AID-Technologie gesehen – mit vergleichbar guten Therapieergebnissen, was u. a. die TIR (> 70 % liegen im Bereich von 70–180 mg/dl) und die Verbesserung des HbA1C-Werts betraf (0,2–0,4 %).
Empfohlen wird der Einsatz der AID-Therapie bei T1D, wenn die individuellen Therapieziele unter intensivierter Insulintherapie trotz CGM nicht erreicht werden. Auch bei häufigen Hypoglykämien bzw. rezidivierenden schweren Hypoglykämien unter intensivierter Insulintherapie mit CGM soll der Einsatz einer Insulinpumpentherapie mit AID-Algorithmus angeboten werden (jeweils Empfehlungsgrad A). Weiterhein wird die Bedeutung einer strukturierten, individuellen Schulung hervorgehoben – angefangen mit der Einweisung in die Technik des CGM-Systems, Anleitung zur korrekten Selbstanwendung, bis hin zur Umsetzung im Alltag. Bis dato gibt es keine etablierten Standards zur Beurteilung der Messgenauigkeit von CGM-Systemen. Die Leitlinie empfiehlt, zusätzliche konventionelle Blutzuckermessungen zur Verifizierung der Glucosewerte bzw. zur Kalibration des Systems anzubieten und bei fortgesetzten individuellen Problemen mit einem System auf ein alternatives CGM-System zu wechseln (jeweils Empfehlungsgrad A). Mögliche Interferenzen mit CGM-Systemen sind ebenfalls zu berücksichtigen, etwa mit Substanzen wie Alkohol, Vitamin C, Hydroxyurea, Paracetamol, Mannitol und Tetrazyklinen.
Moniert wird außerdem, dass in den verfügbaren Insulinpumpen- und AID-Therapiestudien Nebenwirkungen nicht immer detailliert berichtet werden. Insgesamt bewegen sich die Prävalenzangaben aber auf niedrigem Niveau (der Fokus liegt auf technischen Problemen, während das Ketoazidose-Risiko im Vergleich zur Injektionstherapie nicht erhöht war). Auch hier wird der Stellenwert einer gut durchgeführten Schulung hervorgehoben, der die Patientinnen und Patienten ggf. in die Lage versetzt, eventuelle Komplikationen erfolgreich zu meistern.
1 S3-Leitlinie „Therapie des Typ-1-Diabetes“, AWMF-Reg.-Nr. 057-013, Version 5.1