Der Energiebedarf ist während der Schwangerschaft nur etwa 10 % höher als vor der Schwangerschaft. Viel stärker steigt der Bedarf an einzelnen Vitaminen und Mineralstoffen/Spurenelementen. Deshalb stellt sich oft die Frage nach einer Supplementierung.
Um die Frage nach einer Supplementierung seriös zu beantworten, muss man wissen, was die Schwangere tatsächlich isst. Statistisch können dazu Daten von Frauen im reproduktionsfähigen Alter aus den Verzehrstudien herangezogen werden.[1–3] Daraus geht hervor, dass Folsäure, Vitamin D, Eisen und Jod durch die Ernährung bei vielen jungen Frauen ungenügend aufgenommen werden.
Ein optimaler Schutz besteht bei einer erythrozytären Folsäurekonzentration > 900 nmol/l. Damit sinkt das Risiko für Neuralrohrdefekte (NTD) um 40 %.[4] Bei Frauen mit einem gesteigerten Risiko für NTD (Kind mit NTD oder Verwandtschaft mit einem NTD-Fall, Diabetes, Einnahme von Valproinsäure, Carbamazepin oder Folsäure-Antagonisten) sollte ganz besonders auf eine ausreichende Folsäuresubstitution geachtet werden. Die Empfehlung für Frauen im gebärfähigen Alter bei Kinderwunsch und mindestens bis zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels lautet mindestens 400 µg Folsäure/Tag.[5] Bei der Planung einer Schwangerschaft sollte mit der Folsäureprophylaxe generell bereits vor der Schwangerschaft begonnen werden. Bei sich vegan ernährenden Frauen ist die Folsäureversorgung oft besser als bei omnivoren.[6]
Als Risikofaktoren für einen zu tiefen Vitamin-D-Level werden Alter der Mutter, BMI (Body-Mass-Index), Hautfarbe, Herkunft, Jahreszeit, Wohnort (Breitengrad) und Vitamin-D-Supplemente angegeben. Eine Unterversorgung hat sowohl Konsequenzen für die Schwangere als auch für die Entwicklung des Fetus.[7] So ist das Risiko für Gestationsdiabetes und Präeklampsie gesteigert, zudem hat ein Vitamin-D-Defizit in der Schwangerschaft einen ungünstigen Effekt auf das Skelett- und Muskelsystem mit möglichen Konsequenzen für die spätere Entwicklung. Um einen ausreichenden Vitamin-D-Spiegel zu erreichen, wird von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung eine Supplementation von 600–800 IE pro Tag für alle Schwangeren empfohlen.[8] Viele Orthomolekularmediziner halten das für einen Witz und empfehlen bis 3.500 IE. Vor allem bei Migrantinnen aus südlichen Ländern muss mit Defiziten gerechnet werden.
In Deutschland hat die Nationale Verzehrstudie II bei Frauen zwischen 18 und 49 Jahren eine mittlere Einnahme von 11–12 mg Eisen pro Tag ermittelt.[9] International wird eine Prävalenz von 40 % für eine Anämie in entwickelten Ländern angegeben.[10] Eine Schwangerschaft führt zu einem vergleichsweise hohen Nettoverlust von 600–700 mg Eisen, was besonders bei bereits bestehender Unterversorgung kritisch werden kann.[11] Etwa 25 % aller Schwangeren in Europa haben einen Eisenmangel. Die tägliche Zufuhr liegt in Europa lediglich bei 60 % des angenommenen durchschnittlichen Bedarfs (estimated average requirement, EAR) für Schwangere.[12] Ist die mütterliche Eisenversorgung unzureichend, so begünstigt dies Frühgeburten und niedriges Geburtsgewicht. In beiden Fällen sind die Eisenspeicher gering und gefährden damit die Entwicklung des Kindes.[13] Eine Substitution mit Eisen kann die Rate von Eisenmangel um 57 % und Anämie um 70 % reduzieren.[14] Eine Überprüfung des Eisenstatus wird bei der ersten Schwangerschaftskontrolle empfohlen. Bei einem Serum-Ferritinwert
Durch den gesteigerten Grundumsatz der Mutter, erhöhte renale Verluste und Abgabe von Jod an das sich entwickelnde Kind (50 µg/Tag) ab der 12. Woche, kann die Jodversorgung rasch kritisch werden. Bis zur 20. Woche ist die Schilddrüse des Fetus noch nicht vollständig funktionsfähig und vollständig von der Versorgung mit mütterlichem Thyroxin abhängig. Dies erfordert eine um 50 % höhere Aktivität der mütterlichen Schilddrüse und damit auch höhere Jodversorgung. Bereits eine moderate Unterversorgung kann zu einer eingeschränkten kognitiven Entwicklung des Kindes beitragen.[16] Die Prävalenz des Jodmangels ist auch in Deutschland hoch. Bereits bei Nichtschwangeren wird der Referenzwert von 200 µg/Tag nicht erreicht. In der Schwangerschaft sollten pro Tag 230 μg Jod eingenommen werden, 30 μg mehr, als vor der Schwangerschaft.8 In Deutschland wird allen Schwangeren eine zusätzliche Jodeinnahme von 100–200 μg täglich empfohlen.[17]
Während Schwangerschaft und Stillzeit wird ein gesteigerter Umsatz von Biotin beobachtet.[18] Eine Ursache könnte die starke Anreicherung von Biotin in den fetalen Geweben sein. Auch für Vitamin B6, Vitamin B12 und Vitamin A wird ein erhöhter Bedarf diskutiert. Von den Spurenelementen stehen Calcium und Zink im Fokus. Ist die Zufuhr nicht adäquat, so kommt es bei der Mutter zu einer Abnahme der Knochendichte und beim Fetus zu Wachstumsstörungen und niedrigem Geburtsgewicht. Zink ist für fetales Wachstum und die postnatale Entwicklung besonders wichtig.[19] Für die neurologische Entwicklung des Kindes sind auch die langkettigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren wie Docosahexaensäure (DHA) von großer Bedeutung. Diese Fettsäuren sollten in ausreichender Menge mit der Nahrung (Seefische) oder als Supplemente (z. B. ca. 2 g Fisch- oder Algenöl pro Tag) aufgenommen werden. Die Abbildung zeigt eine Übersicht über Konsequenzen einer Mangelernährung in der Schwangerschaft für die weitere kindliche Entwicklung.[20,21] Mehr als die Hälfte aller Schwangeren ist von Erbrechen und Übelkeit, hauptsächlich zu Beginn der Schwangerschaft, betroffen.[22] Häufig können sich diese Frauen nicht an die normalen Ernährungsempfehlungen halten. In diesen Situationen ist eine Supplementation mit Vitaminen, allenfalls in Form eines Multivitaminpräparats, zu diskutieren.[15] Bei einer hyperkalorischen Therapie ist v. a. auch auf Vitamin B1 und Vitamin B6 zu achten.
Nach einer Schätzung des Vegetarierbundes aus dem Jahr 2016 leben in Deutschland 1–1,3 Mio. Menschen vegan, Tendenz steigend.[6] Vegan zu essen ist heute eine urbane, junge (meist weibliche) Ernährungsform. Frauenärzte sollten darauf eingestellt sein, Fragen bezüglich einer veganen Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit zu beantworten. Der Verzicht auf tierische Produkte jeder Art kann in der Schwangerschaft zu Mangelzuständen führen, wenn nicht auf die Nährstoffeinnahme geachtet wird. Neben den oben erwähnten Mikronährstoffen sollte insbesondere auf die Supplementation von Vitamin B12 und Zink geachtet werden.[23,24]
Fazit
Frauen in der Schwangerschaft kann allgemein die Einnahme von Folsäure, Vitamin D, Eisen, Jod und DHA empfohlen werden. Diese Mikronährstoffe werden mit der normalen Nahrung meist nicht in ausreichender Menge aufgenommen, Unterversorgung kann zu Problemem bei Mutter und Kind führen. Besonders wichtig ist die Supplementierung bei besonderen Ernährungsformen wie veganer Ernährung, bei kurzen Geburtsintervallen (
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