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Allgemeinmedizin

Entzündungsprozesse aufhalten

Senolytika - Gamechanger in der Pandemie?

Agata Kwapisz

23.11.2021

Bei Anti-Aging-Anhängern und in der Onkologie stehen Senolytika im Kampf gegen seneszente Zellen bereits hoch in Kurs. Nun werden die Wirkstoffe auch bei COVID-19 zu einem Hoffnungsschimmer.

Zelluläre Seneszenz ist ein Gewebe-Schutzprogramm bei Stress und drohender Schädigung. Dieser Zustand des programmierten Zellteilungsstopps verhindert, dass Krebs entsteht. Seneszente Zellen (SnCs) sondern entzündungsfördernde Botenstoffe ab, die u.a. für die Wundheilung wichtig sind. Es entsteht ein seneszenzassoziierter sekretorischer Phänotyp (SASP).  Werden sie jedoch dauerhaft oder im Übermaß produziert, wie in höherem Lebensalter, werden altersbedingte Krankheiten wie Diabetes oder Gefäßverkalkung gefördert. Neuste Untersuchungen konnten zeigen, dass auch eine virale Infektion Seneszenz auslösen kann. Diese Immunantwort wird auch an nicht seneszente Zellen übermittelt, wodurch die virale Abwehrmechanismen unterdrückt und die Expression viraler Eintrittsproteine erhöht wird [1].


Natürlich vorkommende Senolytika: die Flavonoide Quercetin und Fisetin

Wirkstoffe, die diese seneszente Zellen abtöten, nennt man Senolytika. Natürliche Stoffe mit einer senolytischen Wirkung sind beispielsweise die Flavonoide Quercetin und Fisetin. Senolytika sind daher auch in Lebensmitteln wie z.B. Äpfeln, Birnen, Trauben, Kirschen und Pflaumen zu finden, ebenso wie das Alkaloid Piperlongumin, das in schwarzem Pfeffer enthalten ist [2].


Wirkung von Senolytika bei COVID-19

Die Autoren einer Studie stellten die Hypothese auf, dass SnCs aufgrund ihrer proinflammatorischen SASP eine verstärkte Reaktion auf pathogene Faktoren haben könnten [3]. Im Tierversuch wurden junge und alte Mäuse mit dem β-Coronavirus, das eng mit SARS-CoV-2 verwandt ist, infiziert. Bei den alten Mäusen erhöhte sich die SASP-Expression in mehreren Organen signifikant, im Vergleich zu jungen Mäusen. Zudem zeigten sie eine signifikante Zunahme von SnCs und SASP in mehreren Organen. Die Behandlung alter Mäuse mit dem senolytischen Fisetin reduzierte die Mortalität um 50% sowie die Expression von Entzündungsproteinen im Serum und im Gewebe und verbesserte die Immunantwort. Dies wurde mit einer zweiten senolytischen Therapie mit den Wirkstoffen Dasatinib plus Quercetin bestätigt.

Auch eine Forschungsgruppe des Charité Campus Virchow-Klinikum Berlin untersuchte in Zell- und Tiermodellen sowie an Gewebeproben von COVID-19-Patienten, welche Rolle Seneszenz für die Immunreaktion nach einer SARS-CoV-2-Infektion spielt [1]. Wie in der vorherigen Studie untersuchte das Team im Tiermodell die Wirksamkeit von vier Senolytika: Navitoclax, Fisetin, Quercetin und Dasatinib. Zwei dieser Wirkstoffe sind pflanzliche Wirkstoffe, die anderen zwei werden für die Krebstherapie verwendet und getestet. Alle vier konnten den Entzündungssturm normalisieren und die Lungenschädigung abschwächen.

Die Wissenschaftler konnten aufzeigen, dass das zelluläre Stressprogramm eine lawinenartige Entzündungsreaktion einleitet. Gelangt das Virus in Schleimhautzellen der oberen Atemwege, lösen diese als Stressreaktion ihr Seneszenz-Programm aus. Die seneszenten Schleimhautzellen produzieren dann entzündungsfördernde Botenstoffe, die wiederum bestimmte Immunzellen, die Makrophagen, anlocken. Diese wandern in die Schleimhäute ein, um die seneszenten Zellen zu beseitigen. Durch die Botenstoffe werden sie jedoch selbst in einen seneszenten Zustand versetzt. Dadurch schütten sie auch große Mengen an Entzündungsbotenstoffen aus und können weitere Zellen in die Seneszenz treiben, auch in der Lunge.  Die kleinen Blutgefäße der Lunge sind ebenfalls betroffen. Dadurch können sie veranlasst werden, blutverklumpende Stoffe abzugeben – Mikrothrombosen entstehen.


Hoffnungsschimmer für Onkologie und Infektionskrankheiten?

„Diese Ergebnisse sind sehr ermutigend“, sagt Prof. Schmitt, der Wissenschaftler des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) ist. „Wie alle Wirkstoffe können die Senolytika aber Nebenwirkungen haben. Bevor man sie für eine Behandlung von COVID-19 in Betracht ziehen könnte, sind deshalb noch viele Fragen zu klären: Welche Dosis ist wirksam? Wann und für wie lange müssten die Substanzen verabreicht werden? Welche Nebenwirkungen sind damit verbunden? Und könnten ältere Menschen mehr als jüngere von den Senolytika profitieren? Denn mit dem Älterwerden stehen zunehmend mehr Zellen kurz vor dem Eintritt in die Seneszenz. Dazu sind weitere klinische Studien nötig, die verschiedene Institutionen weltweit zum Teil schon aufgesetzt haben.“ Da die Seneszenz nicht nur bei SARS-CoV-2, sondern auch bei anderen Viren ausgelöst wurde, hofft das Forschungsteam, dass ihre Erkenntnisse auch über die Pandemie hinaus für andere Infektionskrankheiten relevant sind, bei denen die Immunreaktion den Krankheitsverlauf stark beeinflusst.

1 Pressemitteilung Charité Universitätsmedizin Berlin, September 2021

2 https://www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/fachinformationen/sekundaere-pflanzenstoffe-und-ihre-wirkung/, Stand 25.10.2021

3 Camell CH et al., Science Jul 2021;  Vol 373, Issue 6552, DOI 10.1126/science.abe4832

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