In Deutschland werden ungewollte Schwangerschaften mehrheitlich operativ beendet, obwohl die medikamentöse Variante sicher und für die Patientin weniger belastend ist. Dieser Beitrag informiert über das Vorgehen und gibt Tipps für die Beratung.
Das Norethisteron-Derivat Mifepriston blockiert reversibel die Progesteron-Rezeptoren und führt zu einer Sensibilisierung des Myometriums für Prostaglandine. Diese artifizielle Gelbkörperinsuffizienz löst einen Abbruch der Schwangerschaft aus, der klinisch von einem Spontanabort nicht zu unterscheiden ist. Die Kombination von Prostaglandinen und Mifepriston wird weltweit für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch (mSAB) verwendet. In Ländern wie der Schweiz, Frankreich, Dänemark und Schweden liegt die Quote zwischen 70 und 85 %. Nur in Deutschland (und Italien) führt diese Variante bisher ein Schattendasein – auch wenn der Anteil mittlerweile immerhin über 20 % liegt. Offensichtlich ist das Wissen um diese Variante in Deutschland aber noch lückenhaft. Dabei ist Mifepriston seit 1999 in Deutschland zur Beendigung einer intakten intrauterinen Schwangerschaft bis zum 63. Tag der Amenorrhoe zugelassen.
Nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) darf ein mSAB nur in einer Einrichtung vorgenommen werden, in der auch die notwendige Nachbehandlung gewährleistet ist, z. B. in Tageskliniken, medizinischen Einrichtungen von Familienplanungszentren oder operativ ausgerüsteten Praxen. Das erfordert die Zusammenarbeit von betreuender Frauenarztpraxis, Tagesklinik und Beratungsstelle (Abb.). Zunächst muss die intrauterine Schwangerschaft durch eine Ultraschalluntersuchung gesichert sein. Eine ungewollt schwangere Frau, die einen Abbruch erwägt, sollte dann schnellst möglich an eine Beratungsstelle nach § 219 verwiesen werden. Der umgekehrte Weg ist bei Terminschwierigkeiten auch möglich. Aufklärung und Mifepriston-Gabe erfolgen in der Tagesklinik. Die Konfliktberatung muss nach § 219 mindestens drei Tage vorher stattgefunden haben. Die Patientin wird über den Ablauf und die eingesetzten Medikamente aufgeklärt. Es gilt zu bedenken, dass die Patientin sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befindet – und vielleicht nicht alles auf Anhieb versteht. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, den ganzen Prozess zweimal zu erklären. Dann ist es in der Regel auch verstanden, dass die Gabe von Mifepriston die weitere Entwicklung der Schwangerschaft unterbindet und dass die Misoprostol-Einnahme dann zur Abstoßung führt. Um die Beratung gewissenhaft durchführen zu können, wurde in unserer Klinik ein eigenes Zeitfenster ohne den üblichen Terminstress (20-Minuten-Takt) eingerichtet. Dann wird Mifepriston in der Praxis eingenommen. Wird Mifepriston innerhalb einer Stunde erbrochen, muss die Einnahme wiederholt werden. Nach der Einnahme erhält die Patientin eine Telefonnummer, unter der sie bei Fragen, Problemen und Unsicherheiten auch außerhalb der Praxisöffnungszeiten anrufen kann. Im Allgemeinen wird das Prostaglandin nach 36–48 Stunden gegeben, weil dann die größte Sensibilität des Myometriums ist. Wichtig ist die Dosierung gemäß der Fachinformation und auch, dass alle Tabletten gleichzeitig genommen werden, nicht zeitlich versetzt. Die Dosisangaben im Standardprotokoll sind 600 mg Mifepriston und 400 µg Misoprostol. In anderen Ländern sind teilweise andere Dosierungen gebräuchlich, was mitunter schon zu Missverständnissen geführt hat. Ist die Schwangerschaft ≤ 8. Woche, verordnen wir 400 µg Misoprostol (zwei Tabletten Cytotec® oder eine Tablette MisoOne®). Ist die Schwangerschaft weiter fortgeschritten, sollten 600 µg Misoprostol oder 800 µg Misoprostol vaginal gegeben werden. Die vaginale Gabe ist gebräuchlich, obwohl die Fachinformation orale Gabe vorsieht. Wir versuchen, die orale Gabe ab drei Tabletten aber zu vermeiden, da die Substanz dann häufig erbrochen wird. Cave: Die Anwendung von Cytotec® ist off-label, nur MisoOne® hat die Zulassung zum Schwangerschaftsabbruch. Eine Tablette Cytotec® enthält 200 µg Misoprostol, eine Tablette MisoOne® 400 µg.
Wir haben in unserer Tagesklinik seit fast 20 Jahren gute Erfahrungen damit gemacht, den Patientinnen das Prostaglandin mit nach Hause zu geben. Im vertrauten Umfeld ist die Situation für die Patientinnen weniger belastend als in einer Klinik. Wichtig ist, dass die Patientinnen genau wissen, was auf sie zukommt: Wir empfehlen den Patientinnen, das Prostaglandin nach dem Frühstück einzunehmen. Nach ein bis zwei Stunden beginnt ein Ziehen, gefolgt von Übelkeit – oft mit Brechreiz – und Krämpfen. Es ist wichtig, dass die Patientin weiß, dass sie sich sehr unwohl fühlen wird. Dieser Zustand wird zwei bis drei Stunden anhalten. Wir sagen den Patientinnen: „Das ist normal, Sie müssen keine Bedenken haben und nicht in die Klinik gehen.“ Die Patientinnen wissen auch von uns, dass sich der Zustand am Nachmittag, spätestens am Abend wieder deutlich bessert. Die gute Beratung ist der Schlüssel für einen komplikations- und stressarmen Verlauf. Ich gebe allen Patientinnen meine Mobilnummer für den Fall der Fälle. Wenn ich mal einen Anruf bekomme, höchstens einmal pro Jahr, ist es fast immer der Partner der Patientin, der verunsichert ist. Ich gebe den Patientinnen auch immer ein Schmerzmittel (Ibuprofen 600 mg) mit. Man kann die Patientinnen zudem auf die App „MedAbb“ hinweisen, die im Apple App Store und in Google Play Store kostenlos zur Verfügung steht und die wichtigsten Fragen rund um den medikamentösen Abbruch zuverlässig beantwortet. Nach ca. 10–14 Tagen wird eine Kontrolluntersuchung empfohlen. Vornehmlich der Ultraschall als auch eine Verlaufskontrolle des ß-hCG eignen sich zur Therapiekontrolle. Wenn keine Residuen mehr zu sehen bzw. der hCG-Wert deutlich abgefallen ist, die Blutungen und Schmerzen im Toleranzbereich liegen und keine Infektionszeichen vorhanden sind, ist der Abbruch als erfolgreich und abgeschlossen zu betrachten. Gerade bei sehr jungen Patientinnen und frühen Schwangerschaften raten wir in der Regel zur medikamentösen Variante. Das Argument „Das dauert doch so lange“ lässt sich gut mit den Risiken des operativen Abbruches (Verletzungs- und Infektionsrisiko) und ihren Auswirkungen entkräften. Und der Hinweis darauf, dass ein operativer Abbruch in ungünstigen Fällen durchaus zu Fertilitätsstörungen führen kann, überzeugt dann die meisten.
Fazit
Der medikamentöse Abbruch ist nicht besser oder schlechter als der operative Eingriff. Aber er ist eine Alternative. Und Frauen sollten in einer psychisch ohnehin belasteten Situation selbst entscheiden können. Daher sollte jeder Gynäkologe zumindest theoretisch mit dem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch vertraut sein, um entsprechend beraten zu können.
Der Autor
Dr. med. Samuel Fischmann
Dr. Fischmann, Dr. Krumm & Partner
Praxisklinik – ambulante Operationen
Kaiserstraße 32–34 | 63065 Offenbach