In Deutschland wurden von 1997 bis 2020 363 940 Kinder nach assistierter Reproduktion (ART) geboren. In diesen 25 Jahren wurden viele Behandlungsdetails optimiert und die gesetzlichen Rahmenbedingungen wurden angepasst. Dieser Beitrag gibt einen Überblick zum aktuellen Stand der Reproduktionsmedizin.
Im Jahr 2021 wurden 125 542 Behandlungszyklen der ART in Deutschland durchgeführt [1]. Die Behandlungszyklen beinhalten 78 363 Follikelpunktionen für eine IVF- oder ICSI-Therapie und 36 909 sogenannte Auftauzyklen. Damit fand fast ein Drittel aller Behandlungen mit kryokonservierten Gameten statt. Mehr als zwei Drittel aller Eizellbehandlungen nach Follikelpunktion sind intrazytoplasmatische Spermieninjektionen.
Bei IVF- und ICSI-Therapien konnten bis zum Altersbereich unter 33 Jahren Schwangerschaftschancen über 40 % erzielt werden. Die Schwangerschaftschancen sinken kontinuierlich mit zunehmendem Alter der Frau und liegen ab dem 41. Lebensjahr der Frau unter 20 % pro Behandlungszyklus (> Schwangerschaft).
Neben hoher Schwangerschaftschancen hat sich über die vergangenen Jahre als relevanteres Qualitätskriterium die Senkung der Mehrlingsschwangerschaften insbesondere der Zwillingsschwangerschaften etabliert. Drillingsschwangerschaften stellen bereits heute eine Seltenheit nach ART dar (2020 0,3 %). Ziel der Behandlung ist die Geburt eines gesunden Kindes bei Vermeidung von Risiken durch Mehrlingsgraviditäten. Der Anteil an Frühgeburten lag 2020 bei Zwillingen bei 83 %. Gerade bei jungen Paaren hat sich zunehmend der Single Embryotransfer (SET) durchgesetzt.
In der Altersgruppe ≤ 29 Jahre werden Geburtenraten nach SET von 35,6 % und in der Altersgruppe 30–34 Jahre von 30,8 % bei einer Mehrlingsrate von 1,3 % erreicht. Bei Transfer von zwei Embryonen (Double Embryotransfer, DET) beträgt in den gleichen Altersgruppen die Geburtenrate 37,4 % bzw. 36,5 % mit einer Mehrlingsrate von 34,0 bzw. 32,3 %. Bei DET können je nach Altersgruppe Erhöhungen der Geburtenrate von durchschnittlich 5 % erzielt werden, unter Inkaufnahme von bis zu einem Drittel Mehrlingsgeburten. Die höchste Mehrlingswahrscheinlichkeit besteht bei Frauen unter 30 Jahren. Zur Erzielung guter Schwangerschaftschancen wird der sogenannte „Deutsche Mittelweg“ mit SET an Tag 5 der embryonalen Entwicklung durchgeführt. Die Entwicklungsfähigkeit eines Embryos an Tag 2 oder 3 der embryonalen En twicklung ist nur eingeschränkt vorhersehbar. Nur ein Teil dieser Embryonen entwickelt sich zum Blastozystenstadium weiter. Bei spontaner Konzeption befinden sich Embryonen an Tag 2 bzw. 3 im Eileiter. Physiologisch findet die Implantation im Cavum uteri im Blastozystenstadium statt (Abb. 1).
Neue DIR-Statistiken zeigen, dass die Geburtenraten nach SET im Blastozystenstadium höher als nach DET von Tag 2/3 Embryonen sind (Abb. 2). Zusammenfassend führt der Transfer von zwei Embryonen im Entwicklungsstadium Tag 2/3 zu schlechteren Schwangerschaftsraten bei höherer Mehrlingswahrscheinlichkeit. Die DIR-Daten sprechen bei Vorhandensein mehrerer Vorkernstadien für die konsequente Anwendung des „Deutschen Mittelwegs“ mit Ziel Transfer einer Blastozyste zum Erreichen hoher Schwangerschaftsraten bei minimalem Mehrlingsrisiko (> Schwangerschaft).
Die Bedeutung des Alters der Frau für die Schwangerschaftschance ist seit Langem bekannt. 80 % der spontanen Schwangerschaften treten bereits in den ersten sechs Zyklen ein. Die Abnahme der Fertilität einer Frau beginnt ab dem 30. Lebensjahr, die Fertilität bei Frauen Ende 30 ist im Vergleich zu Frauen in den 20ern um die Hälfte reduziert. Die Abnahme der natürlichen Schwangerschaftswahrscheinlichkeit mit zunehmendem Alter spiegelt sich auch in den Erfolgschancen der ART wider. Das Alter der Frau ist selbstlimitierender Faktor der ART. Zum Beispiel wurden für das ganze Jahr 2020 19 Geburten nach ICSI-Therapie bei 43-jährigen Frauen dokumentiert (437 Therapien).
Bedeutung des paternalen Faktors
Auch der paternale Faktor spielt eine relevante Rolle. Die Samenqualität nimmt weltweit ab. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt seit über 40 Jahren Laborhandbücher mit dem Ziel einer weltweiten Standardisierung der Untersuchungsmethoden heraus. Mit der 6. Auflage des WHO-Laborhandbuches 2021 liegt eine aktualisierte Version vor. Die Änderungen der Referenzbereiche (untere Grenzwerte) für die einzelnen Variablen des Spermiogramms sind im Vergleich zu der 5. Auflage marginal. Die Angaben beziehen sich auf eine Population von Männern, deren Partnerinnen mit ihnen innerhalb der vergangenen 12 Monate auf natürlichem Wege eine Schwangerschaft erreicht hatten. Im neuen WHO-Laborhandbuch 2021 sind Daten einer größeren Anzahl von Männern aus zudem weiteren geografischen Regionen (neu: China, Ägypten, Griechenland, Iran, Italien) in die Auswertung eingegangen. Im WHO-Handbuch werden keine Indikationswerte für die ART angegeben.
Eine retrospektive Register-Studie untersuchte die Relevanz des paternalen Alters bei ART (Datensatz Human Fertilisation and Embryology Authority, HFEA, UK) [2]. Ausgewertet wurden 18 825 frische homologe IVF- oder ICSI-Zyklen mit SET. Eingeschlossen wurden Paare mit idiopathischer oder tubarer Infertilität bei Ausschluss von männlichen Faktoren. Bei Frauen unter 35 Jahren waren die Schwangerschaftschancen unabhängig vom Alter des Partners. In der Altersgruppe 35–39 Jahre der Frauen wurden bei paternalem Alter ab 40 Jahren signifikant sinkende Schwangerschaftschancen dokumentiert. Bei Frauen < 35 Jahre ist die mögliche negative Auswirkung des paternalen Alters auf die Geburtenrate vermindert, jedoch nicht bei höherem Alter der Partnerin.
Auch der Einfluss von Lifestyle-Faktoren auf die männliche Fertilität ist zunehmend etabliert. Im Fokus steht aktuell Adipositas als Risikofaktor für andrologische Subfertilität [3]. Bei 56 Männern (BMI 32-43) konnte durch Gewichtsreduktion von durchschnittlich 16,5 kg mittels Modifikation der Lebensstilfaktoren eine Zunahme der Spermienkonzentration erreicht werden. Der positive Effekt auf Ejakulatparameter konnte bei Männern, die keine erneute Gewichtszunahme zeigten, auch nach 52 Wochen bestätigt werden.
Kosten der Kinderwunschbehandlung
Kinderwunschbehandlungen stellen für viele Paare eine finanzielle Belastung dar. Die GKV beteiligt sich weiterhin anteilmäßig an den Behandlungskosten von drei Versuchen der IVF- oder ICSI-Therapie unter bestimmten Voraussetzungen. Die rechtliche Grundlage der Kostenübernahmeregelung für medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ist § 27a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) [4]. Danach müssen u. a. folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
· Das Paar muss miteinander verheiratet sein.
· Die Frau ist älter als 25 Jahre und jünger als 40 Jahre.
· Der Mann ist älter als 25 Jahre und jünger als 50 Jahre.
· Ausschließlich die Ei- und Samenzellen dieses Paares dürfen verwendet werden.
Paare mit unerfülltem Kinderwunsch können für eine Kinderwunschbehandlung außerdem staatliche Unterstützung beantragen (Informationsportal Kinderwunsch – Unterstützung von Bund und Ländern). Bund und Länder stellen die finanziellen Mittel gemeinsam zur Verfügung. In jedem Bundesland gelten unterschiedliche Bedingungen, auch die Höhe der finanziellen Hilfen variiert. Kosten für eine Präimplantationsdiagnostik und Kryokonservierung gehören nicht zum Leistungskatalog der GKV.
Die Kryokonservierung ist heute fester Bestandteil der Reproduktionsmedizin. In Auftauzyklen werden sehr gute Schwangerschaftsraten bei deutlich reduziertem Therapieaufwand erzielt. Kryozyklen ermöglichen die Therapiewiederholung mit sehr guten Schwangerschaftschancen ohne erneute Stimulation, Follikelpunktion und Spermaabgabe. Der Transfer nach Auftau kann im Spontanzyklus durchgeführt werden. Gerade mit Durchführung des SET gewinnt die Kryokonservierung zunehmend an Bedeutung. Die sogenannte kumulative Geburtenrate bezeichnet die Erfolgschance nach Eizellentnahme und Frischtransfer einschließlich folgender Kryotransfers bei Möglichkeit der Kryokonservierung (Abb. 3). 2021 wurden 36 909 Auftauzyklen durchgeführt, das sind 29,4 % aller durchgeführten Therapien.
Nur in einem Drittel der Therapien erfolgt eine Kryokonservierung. Einerseits besteht nicht in jeder Therapie die Möglichkeit der Kryokonservierung, andererseits ist durch die fehlende Kostenübernahme der GKV für viele Paare die Finanzierung problematisch bzw. nicht möglich. Im Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) werden Ziele zur Reproduktiven Selbstbestimmung aufgeführt (Auszug):
„Wir wollen ungewollt Kinderlose besser unterstützen. Künstliche Befruchtung wird diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität förderfähig sein. Die Beschränkungen für Alter und Behandlungszyklen werden wir überprüfen. Der Bund übernimmt 25 Prozent der Kosten unabhängig von einer Landesbeteiligung. Sodann planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren. Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik werden übernommen. Wir stellen klar, dass Embryonenspenden im Vorkernstadium legal sind und lassen den „elektiven Single Embryo Transfer“ zu. Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.“
Bis zum heutigen Zeitpunkt sind keine zeitlichen Pläne für die angestrebten Änderungen bekannt. Bestimmte Kinderwunschbehandlungen sind weiterhin nur im Ausland möglich.
Social Freezing und „Add-ons“
Social Freezing als medizinisches Verfahren ist in Deutschland etabliert. 2021 wurden 2 258 Behandlungszyklen durchgeführt. Zum Vergleich wurden für das Jahr 2018 969 Behandlungszyklen dokumentiert. Das mittlere Alter der Frauen betrug 35,7 Jahre, die durchschnittlich gewonnene Anzahl an Eizellen 10,8. Die Vitrifikation als die Standardmethode zur Kryokonservierung von unfertilisierten Oozyten ist etabliert. Die Überlebensraten nach Auftau beträgt bis zu 90 %.
Die Erfolgsraten (insbesondere die Lebendgeburtenrate pro Oozyte) korrelieren streng mit dem Alter der Patientinnen bei der Entnahme/Vitrifikation und der Anzahl gewonnener reifer Oozyten. Mit zunehmendem Alter sinkt nicht nur die Anzahl der zu gewinnenden Eizellen, sondern auch die Qualität. Aneuploidien nehmen zu. Häufig sind mehrere Stimulationen notwendig. Optimal sollte Social Freezing vor dem 30. Lebensjahr erfolgen.
Sogenannte Zusatzmaßnahmen oder „Add-ons“ sind bei ART-Maßnahmen insbesondere bei fehlendem Erfolg verbreitet. Von Seiten der Paare besteht in dieser Situation der Wunsch „mehr zu machen“. Zu Add-ons gehören z. B.:
· Artificial egg activation calcium ionophore
· Assisted hatching
· Endometrial receptivity array (ERA)
· Endometrial scratching
· Hyaluronate enriched medium
· Immunologische Testungen und Therapien
Im Internet werden zahlreiche Verfahren mehr oder weniger seriös „beworben“. Für viele Verfahren ist eine Erhöhung der Geburtenrate nicht nachgewiesen. Die Beratung von Paaren über einen eventuell positiven Zusatznutzen von Add-ons kann nur individuell nach medizinischer Situation und medizinischer Einschätzung erfolgen. Für betroffene Paare ist die fachliche Einschätzung meist nicht möglich, sodass hier die ärztliche Beratung an erster Stelle steht. Eine unabhängige Regulierungsbehörde zu Fertilitätsfragen gibt es z. B. in Großbritannien (HFEA, Human Fertilisation & Embryology Authority). Auf der Homepage kann der aktuelle Wissensstand zu Add-ons nachgelesen werden [5].
In den vergangenen Jahren wurde gerade bei fehlendem Therapieerfolg der ERA-Test propagiert (ERA® Igenomix; 2009 patentiert). Der kommerziell angebotene Test (endometrial receptivity array, ERA) analysiert 238 Gene, die im Endometrium exprimiert werden und bestimmt das individuelle „window of implantation“. Mit dem ERA-Test werden das beste Implantationsfenster und der optimale Zeitpunkt für den Embryotransfer vorausgesagt (personalized transfer).
Aktuell sind zwei neue Auswertungen zur Relevanz des ERA-Tests erschienen. Eine Metaanalyse umfasst 17 Studien (4 randomisierte kontrollierte Studien und 13 Kohortenstudien) mit 7 052 Patientinnen [6]. Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass ein personalisierter Embryotransfer auf der Grundlage von ERA die Gesamtschwangerschaftsergebnisse, einschließlich der Implantationsrate (RR 1; 95%-KI 0,83–1,2), der klinischen Schwangerschaftsrate (RR 0,99; 95%-KI 0,85–1,15), der laufenden Schwangerschaftsrate (RR 0,99; 95%-KI 0,89–1,11) und der Abortrate (RR 1,12; 95%-KI 0,81–1,54) nicht optimierte. Patientinnen im ersten IVF-Zyklus wiesen eine erhöhte Lebendgeburtrate auf (RR 1,24; 95%-KI 1,03–1,49). Insbesondere bei wiederholtem Implantationsversagen konnte keine höhere Lebendgeburtrate erzielt werden (RR 0,86; 95%-KI 0,64–1,36).
Eine weitere Studie untersuchte den Nutzen vom ERA-Test nach vorausgehendem Transfer ohne Schwangerschaft [7]. Die Verwendung von ERA nach einem fehlgeschlagenen Transferversuch verbesserte die reproduktiven Ergebnisse nicht. Für die Durchführung des ERA-Tests ist ein Probezyklus für die Entnahme der Endometriumbiopsie notwendig, ein gleichzeitiger Transfer ist in diesem Zyklus nicht möglich.
Fertilitätsprotektive Maßnahmen
Erfreulicherweise können die Kosten für fertilitätsprotektive Maßnahmen, z. B. vor Chemotherapien, in der Zwischenzeit von den gesetzlichen Krankenversicherungen erstattet werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat 2022 die Richtlinie zur Kryokonservierung geändert [8]. Diese Richtlinie bestimmt Voraussetzungen, Art und Umfang des Leistungsanspruchs von gesetzlich Versicherten auf Kryokonservierung von weiblichen und männlichen Keimzellen und Keimzellgewebe wegen keimzellschädigender Therapie.
Versicherte haben Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung (Grunderkrankung) und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach der Richtlinie über künstliche Befruchtung vornehmen zu können. Der Anspruch besteht nicht für männliche Versicherte ab Vollendung des 50. Lebensjahres und für weibliche Versicherte ab Vollendung des 40. Lebensjahres.
Die Autorin
PD Dr. med. Dolores Foth
MVZ PAN Institut GmbH
Interdisziplinäres Kinderwunschzentrum
Zeppelinstr. 1 | 50667 Köln
1 https://www.deutsches-ivf-register.de/perch/resources/dir-jahrbuch-2021-deutsch-1.pdf
2 Datta et al., Human Reproduct 2022; 37 Suppl 1: DOI 10.1093/humrep/deac106.090
3 Andersen E et al., Human Reproduct 2022; 37: 1414–1422
4 https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1
5 https://www.hfea.gov.uk/treatments/treatment-add-ons/
6 Cozzolino M et al., Fertil Steril 2022; 118: 724–736
7 Huy Phuong Tran HP et al., Fertil Steril Rev 2022; 3: 157–173, CRD42021255124
8 https://www.g-ba.de/richtlinien/119/
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