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Allgemeinmedizin

Mikrobiom

Sinnvolle Pharmakotherapie bei Reizdarm

Prof. Dr. med. Thomas Frieling

25.3.2024

Das Reizdarmsyndrom ist ein heterogenes Krankheitsbild hinsichtlich Genese, Manifestation der Symptome und der resultierenden Beeinträchtigungen im Alltag. Damit korrespondiert ein breites Spektrum an potenziell wirksamen Behandlungsprinzipien – deren Effekte im Einzelfall nicht immer vorhergesagt werden können.

Das Reizdarmsyndrom (IBS) führt in Deutschland mit am häufigsten zu Arztbesuchen und verursacht hohe direkte und indirekte Kosten im Gesundheitswesen. Das IBS gehört nach der Rom-IV-Klassifikation zu den Störungen der Darm-Hirn-Achse und überlappt klinisch mit anderen Erkrankungen dieser Klasse wie dem Reizmagen, der funktionellen Verstopfung, Durchfall bzw. Meteorismus. Alle diese Störungen haben organische Ursachen, die aber individuell sehr unterschiedlich sein können. Hauptziel der zukünftigen Forschung wird es daher sein, klinisch geeignete Biomarker für die Detektion dieser Untergruppen zu finden, um so spezifische Therapien einsetzen zu können.

Pharmakotherapie

Neben den Allgemeinmaßnahmen („gesundes Leben“) und der Suche nach externen „Triggern“ (u. a. Nahrungsmittel, Medikamente, Schichtarbeit, psychologische Stressoren) erfolgt eine symptomorientierte Pharmakotherapie. Hierbei müssen die meisten Medikamente in der Regel „off-label“ eingesetzt werden, da es nur wenige Medikamente gibt, die für das IBS zugelassen sind. Die medikamentöse Therapie muss zurzeit immer noch symptomorientiert und probatorisch erfolgen (Tab. 1 und Tab. 2).

Eine Unterscheidung verschiedener Subtypen des Reizdarmsyndroms (IBS-O, IBS-D, IBS-M) kann hilfreich sein, es gibt aber keine Standardtherapie. Die Dauer der Therapie, insbesondere der medikamentösen Behandlung ohne erkennbare Wirkung, sollte zeitlich auf etwa 3 Monate beschränkt werden.

Klinisch können Kombinationen aus medikamentösen und nicht medikamentösen Therapiestrategien versucht werden. Hierzu gehören Kombinationspräparate von Phytotherapeutika (STW-5, Pfefferminzöl und Kümmel). Insbesondere Pfefferminzöl hat sich als wirksam zur Behandlung vor allem der ­Symptome „Schmerz“ und „Blähungen“ erwiesen.

In speziellen Fällen sollte die Konsultation eines ­spezialisierten Zentrums herangezogen werden. Die Behandlung des IBS mit alternativen Therapieformen kann aufgrund der unzureichenden Datenlage nicht empfohlen werden. Im Einzelfall können komplementäre Therapieformen erwogen werden.

Säurehemmer, Alginate und Antazida

Präparate wie Säurehemmer, Alginate und ­Antazida gehören nicht zur medikamentösen Therapie des IBS. Sie werden aufgrund der großen Überlappung zur funktionellen Dyspepsie (Reizmagen) aber ­häufig eingesetzt. Bei hohem Placebo-Effekt ­können sich häufig nach abruptem Absetzen der Säurehemmung durch den „acid rebound“ die gleichen Beschwerden entwickeln, die eigentlich behandelt werden sollen. Es besteht also die Neigung, den eingesetzten PPI langzeitig einzunehmen. Eine kritische Indikationsstellung und ein Ausschleichen der Säurehemmung über mehrere Tage sind daher anzustreben.

Spasmolytika

Spasmolytika (Antispasmodikum, Muskelrelaxantium) sind Arzneimittel, die den Spannungszustand der glatten Muskulatur lösen und daher ursächlich gegen die Schmerzentstehung beim ­Reizdarmsyndrom ­wirken können. Spasmolytika werden daher zur Schmerztherapie, im Gegensatz zu peripheren ­Analgetika, Opioiden bzw. Opioidagonisten, empfohlen.

Butylscopolamin kann als einziges in Deutschland vertriebenes Spasmolytikum im Vergleich zu ­Placebo die Beschwerden beim Reizdarmsyndrom in etwa 10–20 % der Fälle lindern.

Prokinetika

Das Reizdarmsyndrom kann mit propulsiven ­Motilitätsstörungen assoziiert sein, die zu einer Passagestörung (verzögerte Transitzeit) führen ­können. ­Serotonin spielt hierbei als wichtiger Neurotrans­mitter eine besondere Rolle. So beeinflussen viele ­Prokinetika die gastrointestinalen Funktionen über Rezeptorstimulation bzw. Hemmung der Wirkung von Serotonin. Wichtig ist auch die Ausschüttung von Acetylcholin (z. B. durch ­Prucaloprid). Dem­gegenüber spielen Dopamin-2-Rezeptorantagonisten (Metoclopramid, Domperidon), Acetylcholinesterase-Inhibitoren, Motilin-Agonisten ­(Makrolid-Antibiotika, u. a. Erythromycin) bzw. das Peptidhormon Ghrelin sowie Ghrelin-­Rezeptoragonisten beim IBS keine Rolle.

Laxanzien

Laxanzien fördern auf pharmakologischem oder physikochemischem Weg durch Volumenzunahme und Konsistenzabnahme des Stuhls die Stuhlentleerung und führen zu einem beschleunigten Kolontransit. Bei fehlender oder zu geringer Effektivität sollte auf eine andere Wirkstoffklasse oder eine Präparat-Kombination unterschiedlicher Klassen gewechselt werden. Die Nebenwirkungen von ­Laxanzien sind geringer als früher angenommen (u. a. Elektrolytverluste, geringe Resorption, Gasbildung). Sie sind sichere Medikamente, die bei Effektivität in der Langzeittherapie gegeben werden sollten. Bisacodyl, Natri­umpicosulfat und die Anthrachinone können als Ausdruck ihrer Wirksamkeit krampfartige Bauchschmerzen erzeugen. Unter Linaclotid entwickelten in Studien bis zu 20 % der Patienten und Patientinnen Durchfälle. Die charakteristische Nebenwirkung des Cloridkanal-Aktivators Lubiproston ist passagere Übelkeit in etwa 20 % der Fälle.

Colestyramin

Der gestörte Gallensäuremetabolismus, der bei bis zu 40 % der IBS-D-Betroffenen zu finden ist, könnte ein Prototyp eines klinisch verwertbaren Biomarkers sein. Bei dieser Patientengruppe kommt es durch Genpolymorphismen über unterschiedliche Mechanismen zur vermehrten Ausscheidung von Gallensäuren in den Dickdarm bzw. zur vermehrten Empfindlichkeit der Dickdarmschleimhaut gegenüber Gallensäuren, wodurch die Kolonmotilität erhöht, die Passagezeit beschleunigt, die Sekretion gesteigert, die mukosale Permeabilität und die Sensorik der Kolonschleimhaut erhöht werden können. Dies ist die Rationale bei einigen vom Reizdarmsyndrom Betroffenen, insbesondere vom Diarrhoetyp, die ­Gallensäuren im Stuhl zu bestimmen und/oder ­probatorisch Colestyramin zu verabreichen.

Antibiotika, Probiotika, Mikrobiomtransfer

Reizdarmpatienten und -patientinnen weisen im ­Vergleich zu gesunden Kontrollen eine andere Zusammensetzung bzw. eine verminderte Diversität des ­Mikrobioms auf. Eine klinisch nutzbare Diagnostik zur individuellen Charakterisierung des Mikrobioms liegt zurzeit aber nicht vor. In der Klinik sollte daher eine differenzierte Stuhldiagnostik zum Nachweis einer Verminderung oder Vermehrung von Bakterienstämmen nicht durchgeführt werden. Unabhängig hiervon sollten bei durchfallartigen Stühlen und vor allem einer infektiösen Genese immer frühzeitig mehrfache Stuhluntersuchungen auf pathogene ­Erreger erfolgen. Klinische Hinweise auf einen Einfluss des Mikrobioms auf gastrointestinale Beschwerden können Berichte einer Beschwerdeminderung nach einer zur Koloskopie erfolgten Darmreinigung sein. Probatorisch können im Einzelfall Probiotika eingesetzt werden. Definitive Empfehlungen können aber aufgrund eines hohen Placebo-Effekts bzw. der unzureichenden Studienlage nicht gegeben werden. Dies trifft auch für den fäkalen Mikrobiomtransfer zu. Klinisch etabliert ist die Behandlung mit Rifaximin beim Reizdarm­syndrom, wobei eine gute Number-needed-to-treat (NNT) von 11 vorliegt. Ob diese Wirkung durch die Behandlung einer bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung oder durch eine Veränderung des Mikrobioms bedingt ist, ist zurzeit noch unklar. In den meisten Studien ­wurden 3 × täglich 550 mg Rifaximin für 2 Wochen angewendet. In Deutschland ist Rifaximin bei Erwachsenen nur zur Behandlung der Reise-Diarrhoe und der hepatischen Enzephalopathie zugelassen.

Psychopharmaka

Einige Reizdarm-Betroffene zeigen eine viszerale Hypersensitivität, Motilitätsstörungen bzw. psychische Veränderungen, die durch die Funktionen der Darm-Hirn-Achse bedingt sind. Antidepressiva wie trizyklische Antidepressiva (TZA), selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) und Seroto­nin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SNRI) können in niedrigen und nicht antidepressiv wirksamen Dosen die erniedrigten Empfindungs- bzw. Schmerzschwellen anheben.

Phytotherapeutika und Entschäumer

Phytotherapeutika und ihre Kombinationspräparate werden häufig beim Reizdarmsyndrom eingesetzt. Phytotherapeutika haben einen Multi-Target-Ansatz und beeinflussen verschiedene Faktoren (u. a. Muskulatur, Schleimhaut, Mikrobiom, Immunsystem; Reduzierung der gastrointestinalen Hypersensibi­lität, säuresekretionshemmende, mukussekretionssteigernde und antiinflammatorische Wirkung) des Magen-Darm-Trakts. Studien über die Effektivität von Carminativa wie Simeticon oder Dimeticon ­liegen nicht vor, weswegen in der aktuellen RDS-Leitlinie die entschäumenden Substanzen mit einem Evidenzgrad C belegt werden.

Der Autor

Prof. Dr. med. Thomas Frieling
Chefarzt
Medizinische Klinik II
Helios Klinikum Krefeld

thomas.frieling@helios-gesundheit.de

Literatur beim Autor

Bildnachweis: privat

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