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Gynäkologie

Aspekte jenseits der Mutterschafts-Richtlinien

Prävention in der Schwangerschaft

Dr. med. Michael Bolz

31.3.2021

In Deutschland wird die Schwangerschaftsvorsorge auf einem hohen Niveau durchgeführt und dennoch werden nicht alle Aspekte der Prävention abgedeckt. Wir zeigen an ausgewählten Beispielen, von welchen zusätzlichen Präventionsangeboten und -maßnahmen Mutter und Kind profitieren können.

Die Rahmenbedingungen der Schwangerschaftsvorsorge werden von den Mutterschafts-Richtlinien (MuRiLi) vom 10.12.1985, zuletzt geändert am 24.08.2020, vorgegeben [1]. Insgesamt scheinen weitere Verbesserungen der Ergebnisse aber schwieriger zu werden, weil die Schwangeren z. B. immer älter werden und Adipositas inzwischen auch in Deutschland pandemisch auftritt. Unter diesen Prämissen nehmen die Anforderungen an die Schwangerschaftsvorsorge zu. Ziel muss die Erkennung von Schwangerschafts­risiken sein, um durch geeignete präventive oder therapeutische Maßnahmen z. B. eine Verschlechterung vorbestehender Erkrankungen zu verhindern oder eine rechtzeitige Therapie einzuleiten. Insbesondere primäre präventive Maßnahmen haben das Poten­zial, später notwendige sekundäre therapeutische Interventionen zu vermeiden. In der Präventionsmedizin werden grundsätzlich drei Formen der Prävention unterschieden:

• Primärprävention
• Sekundärprävention
• Tertiärprävention

Unter Primärprävention versteht man die Gesamtheit aller Maßnahmen, die dem Erhalt der Gesundheit bzw. Vorbeugung von Krankheiten von einzelnen Individuen, Personengruppen oder einer Population dienen. Ein wesentlicher Aspekt der Primärprävention ist die Aufklärung über gesundheitlich beeinträchtigende Verhaltensweisen. Gesetzliche Grund­lage sind die §§ 20 bis 24 des Fünften Sozial­gesetzbuches (SGB V) [2]. Beispiele für Primärprävention in der Schwangerschaft:

Nikotin- und Alkoholverzicht
• Vermeidung von Übergewicht
• Ernährungsberatung
• Bewegung
• Folsäuresupplementation zur Vermeidung eines Neuralrohrdefekts beim Feten
• Iodidsupplementation
• Stillen des Neugeborenen

Folge einer Toxoplasmose

Folsäuresupplementation

Folsäure (wasserlösliches B-Vitamin, B9) ist essenziell für den Zellstoffwechsel und die Zellproliferation. Der Mensch ist auf eine kontinuierliche Folsäure- bzw. ­Folatzufuhr angewiesen, weil das Vitamin als wasserlösliches Vitamin kaum im Körper gespeichert wird und vom menschlichen Organismus nicht selbst synthetisiert werden kann [3]. Seit den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts ist bekannt, dass ein ­Folsäuredefizit während der Embryogenese im ersten Trimenon zu schwerwiegenden Fehlbildungen, insbesondere einem Neuralrohrdefekt (NRD; Spina bifida), führen kann. Die Folsäuresupplementation in der unmittelbar präkonzeptionellen Phase sowie der Frühschwangerschaft ist aus präventiver Sicht unabdingbar. Trotz der Empfehlungen zur Folsäuresupplementation ist die Folsäureversorgung bei Teilen der Bevölkerung mangelhaft und auch der Wissenstand zu dieser Problematik fällt unbefriedigend aus. Eine Analyse der Universitätsfrauenklinik Rostock (November 2013 bis Juni 2014) bei insgesamt 307 Wöchnerinnen ergab, dass nur 79 % der Befragten durch den ­Gynäkologen Informationen erhalten hatten und dass 3,3 % der Patientinnen die Problematik überhaupt nicht bekannt war. Der rechtzeitige perikonzeptionelle Beginn der ­Folsäuresupplementation zur Vermeidung von NRD ist entscheidend. In der o. g. Analyse gaben 44,8 % der Wöchnerinnen an, erst nach Feststellung der Schwangerschaft mit der Folsäureeinnahme begonnen zu haben, weitere 6,5 % erst im späteren Schwangerschaftsverlauf [4]. Ein verspäteter Beginn der Folsäureeinnahme ist ungünstig, weil der embryonale Neuralrohrverschluss zwischen Tag 21 und 28 post conceptionem erfolgt. Wenn dieser Zeitpunkt durch verspäteten Supplementations­beginn verpasst wird, kann der präventive Effekt infrage gestellt sein. Erhöhter Bedarf besteht nicht nur in der Schwangerschaft und Stillzeit, sondern auch in Wachstumsphasen, bei gesteigerter Hämatopoese, myeloproliferativen Erkrankungen, Enzymmutationen im Folsäurestoffwechsel (MTHFR C667T-Polymorphismus; Prävalenz; 2–16 %), Stress (Krankheit), erniedrigter Zufuhr, Malabsorption (z. B. Zöliakie, M. Crohn, Colitis ulcerosa), Medikamenteneinnahme (z. B. ­Zytostatika, Antiepileptika, Kontrazeptiva – senken in der Regel den Folsäurespiegel ab! –, Malariamittel), ­erniedrigter Aktivierung (z. B. Vitamin-B12-Mangel, Vitamin-C-Mangel, Alkohol) und erhöhter Ausscheidung (z. B. Dialyse). Die ausschließliche und optimale Folatversorgung über die Nahrung ist im Einzelfall sicher möglich, in der Regel aber unzureichend. Günstig sind der Genuss von Obst und Gemüse in Form von Rohkost, das Zerkleinern erst kurz vor dem Verzehr, Verzicht auf lange Lagerung und möglichst das Vermeiden langer Garzeiten. Auf Tiefkühlprodukte (Obst und Gemüse) kann zurückgegriffen werden. Deshalb und unter präventivem Aspekt (s. o.) wird die Folsäuresupplementation perikonzeptionell und in der Schwangerschaft und Stillzeit empfohlen (Tab. 1). Dabei sind für Frauen mit und ohne Risikofaktoren Besonderheiten zu beachten.

A) Frauen ohne Risikofaktoren

• perikonzeptionelle Folsäuresupplementation 400 µg Folsäure/Tag (Evidenzgrad 1A)
• Beginn 4 Wochen vor (geplanter) Konzeption, Fortführung bis zur 12. Schwangerschaftswoche (SSW)
• Hormonale Kontrazeptiva senken den Folsäurespiegel. Die Auffüllung der Folsäurespeicher kann bis zu 12 Wochen dauern. Entsprechend sollte die Folsäureeinnahme bereits vor Beendigung der Kontrazeption beginnen, ggf. auch mit Dosiserhöhung (400 µg/Tag: 12 Wochen; 600 µg/Tag: 8 Wochen; 800 µg/Tag: 4 Wochen präkonzeptionell ausreichend, um Speicher zu füllen).

B) Frauen mit Risikofaktoren

• positive Eigen- oder Familienanamnese hinsichtlich kongenitaler Fehlbildungen, Epilepsie, Adipositas, Diabetes mellitus, Einnahme von Immunsuppressiva (z. B. Prednisolon, Azathioprin), schlechter Lebensstil
• perikonzeptionelle Folsäuresupplementation: 4–5 mg Folsäure/Tag
• Beginn: 2–3 Monate präkonzeptionell
• Dosis bis zur 12. SSW p. c. (14. SSW p. m.) beibehalten, dann Dosisreduktion auf 400–1 000 µg tgl. (Evidenzgrad 1A)

C) Epilepsie

• präkonzeptionelle Beratung von Frauen mit Epilepsie, antikonvulsiver Therapie und Kinderwunsch
• Optimierung der antikonvulsiven Therapie vor Schwangerschaft
• Monotherapie vs. Kombinationstherapie vorteilhaft
• Valproat-Dosis möglichst < 1 000 mg tgl.
• perikonzeptionelle Folsäuresupplementation mind. 4 Wochen präkonzeptionell beginnen, 5 mg/Tag
• qualifizierte sonografische Untersuchung des ­Feten bereits im ersten Trimenon
• ggf. Bestimmung von α-Fetoprotein (AFP; mater­­nales Serum) ca. 10+0 – 16+0 Schwangerschaftswoche; AFP-Erhöhung bei Neuralrohr­defekt, Normwert abhängig vom Gestationsalter

D) Diabetes mellitus (DM), Adipositas

• DM unabhängiger Risikofaktor für Fehlbildungen
• Ziel: Normoglykämie
• möglichst präkonzeptionell Gewichtsreduktion
• Folsäuresupplementation mindestens 4 Wochen präkonzeptionell bis 12+0 SSW p. c.
• Dosis: 400 µg Folsäure/Tag (Wirksamkeit bei Körpergewicht > 70 kg fraglich)
• nach bariatrischer Operation Supplementation von 800 µg Folsäure/Tag [5]

E) Folsäureantagonisten, Toxoplasmose, Autoimmunerkrankungen

• Bei Therapie einer maternalen Toxoplasmose in der Schwangerschaft mit Pyrimethamin darf keine Folsäure gegeben werden, sondern Folinsäure. Grund: Toxoplasma gondii wird über den Folsäureantagonisten Pyrimethamin therapiert – zusätzliche Folsäuregabe setzt die Therapie außer Kraft, Folinsäure kann von den Parasiten nicht verstoffwechselt werden, aber von der Schwangeren. Die Einnahme von folsäurehaltigen Kombinationspräparaten (z. B. mit Iodid) zur Substitution in der Schwangerschaft muss in diesem Fall ebenso umgestellt werden.
• Methotrexatbehandlung: nach Beendigung einer Methotrexatbehandlung bei Kinderwunsch umgehend Folsäuresupplementation von 1 mg ­Folsäure/Tag
• Sulfasalazin: auch unter Sulfasalazin wird eine Substitution von 1 mg Folsäure/Tag empfohlen

Stillabsicht und tatsächliches Stillverhalten

Stillen des Neugeborenen

Das Risiko, nach einer Schwangerschaft mit ­Gestationsdiabetes mellitus (GDM) an einem ­Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken, ist deutlich erhöht, und in Studien mit Langzeit-Follow-up wird eine Inzidenz von bis zu 70 % beobachtet [6,7]. Aktives Stillen reduziert das Erkrankungsrisiko für Diabetes mellitus Typ 2 nach GDM deutlich. Eine Studie an Wöchnerinnen (n = 959) fand eine deutliche lineare ­Risikoreduktion in Abhängigkeit zur Stillintensität. Das bedeutet, Stillen muss einer Wöchnerin mit GDM unbedingt zur Risikoprävention geraten werden [8]. Diese Empfehlung ist ­frühzeitig, am besten bei Diag­nosestellung GDM auszusprechen. Die WHO rät allen Wöchnerinnen, nach der Geburt sechs Monate voll zu stillen, danach unter Zufütterung bis zu insgesamt zwei Jahren [9]. In der UFK Rostock wurde überprüft, ob die Wöchnerinnen ­diese Stillempfehlung kennen und wie die Umsetzung ­erfolgt (n = 249). Dabei wurden die Studienteilnehmerinnen im Frühwochenbett zu Stillkenntnissen und Stillabsichten mittels Fragebogen befragt. Drei bzw. sechs Monate später folgte eine telefonische Follow-up-Befragung. Insgesamt kannten 193 Mütter die Stillempfehlung (77,5 %). Diese Wöchnerinnen hatten eine 3,1-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit, die Stillempfehlung auch einzuhalten (p = 0,001). Ins­gesamt offenbarte die Analyse aber Defizite beim Stillen (Abb. 2) [10]. Weitere Daten aus der UFK ­Rostock zeigen auch einen Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Wöchnerin und dem Stillverhalten [11]. Ältere Untersuchungen bei untergewichtigen Neugeborenen zeigten einen Zusammenhang zwischen frühpostnataler Ernährung und späterer Adipositasprävalenz. So führte eine Gewichtszunahme > 3 kg in den ersten drei Lebensmonaten zu einer Adipositasprävalenz von 18 % im Alter von 15 Jahren [12]. Gegenwärtig besteht Konsens darüber, dass Stillen gegenüber der Formelnahrung deutliche Vorteile für das Neugeborene aufweist. Hinsichtlich des Stillens und späterer Adipositas wird die Auffassung vertreten, dass die Stillphase mindestens vier Monate betragen sollte, um einen präventiven Effekt gegenüber der kindlichen Adipositas zu bewirken [13].

Hyperechogener Darm bei gesicherter CMV-Infektion

Infektionen

Die MuRiLi sehen in der Schwangerschaft hinsichtlich schwangerschaftsrelevanter Infektionen folgende Untersuchungen verbindlich vor: Chlamydien, ­Syphilis, Hepatitis B, Röteln (wenn keine korrekte Impfung nachgewiesen werden kann bzw. kein Impfpass verfügbar ist). Allen Schwangeren soll ein kostenloser HIV-Test empfohlen werden. Die Beratung, nicht aber die Durchführung und/oder das Ergebnis eines HIV-Tests, ist im Mutterpass zu dokumentieren. Aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht hat der Arbeit­geber dafür Sorge zu tragen, dass bei einer Schwangeren nach Mitteilung der Schwangerschaft der Impfpass kontrolliert wird (Masern, Mumps, Varizellen, Hepatitis A, Zytomegalie, Ringelröteln). Wenn eine Immunität nicht sicher nachgewiesen ist, muss der Arbeitgeber die entsprechenden Untersuchungen veranlassen. Fehlende Immunität gegenüber Parvovirus B19 oder Röteln bedeutet in der Regel ein Beschäftigungsverbot beim beruflichen Umgang mit Kindern bis zur 20. Schwangerschaftswoche. Im Zuge individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) werden der Schwangeren verschiedene Untersuchungen offeriert, die einen zusätzlichen Nutzen für die Schwangerschaft bzw. den Fetus bedeuten können. Die Vornahme einer entsprechenden serologischen Untersuchung – z. B. auf Toxoplasmose, Zytomegalie oder Parvovirus B19 – sollte immer aus der Klinik oder Anamnese heraus begründet sein und mit der Schwangeren vor der Blutentnahme hinsichtlich möglichem Ergebnis, eventuell weiterer Diagnostik sowie vorhandener oder auch nicht vorhandener therapeutischer Konsequenzen erörtert werden. Unspezifische klinische Symptome (erkältungsähnlicher Infekt, Halsschmerzen, Lymphknotenschwellung, flüchtiges Fieber) und sonografische Hinweise (Polyhydramnion, intrauterine Wachstumsrestriktion, hyperechogener Darm, Microcephalus, intrazerebrale Verkalkungen) müssen an eine Infektion denken lassen. In der Realität ziehen insbesondere indikationslos veranlasste Untersuchungen, also Zufallsbefunde, häufig Verunsicherung bei der Schwangeren (und auch den betreuenden Gynäkologen) nach sich.

Toxoplasmose (T. gondii)

In Deutschland (MuRiLi) wie auch in der Schweiz ist ein generelles Screening auf den Erreger der Toxoplasmose, T. gondii, nicht vorgesehen. Daten aus Österreich wiesen nach, dass ein solches Screening hilft, die Rate an erkrankten Kindern deutlich zu reduzieren. Die materno-fetale Transmissionsrate konnte durch das Screening und ggf. Therapie um das 6-Fache im Vergleich zu nicht behandelten Schwangeren reduziert werden (Abb. 1) [14]. Bei immunsupprimierten Patientinnen, z. B. einer HIV-Infektion [15], nach Nierentransplantation oder einer Autoimmunerkrankung, bestehen Aus­nahmen. Der Frauenarzt ist angehalten, im Zuge einer sorgfältigen Anamnese nach Risikofaktoren und ggf. klinischen Symptomen zu fahnden. Bei fehlendem Verdacht muss auch kein Test angeboten werden, es sei denn, dass die Schwangere diesen als individuelle Gesundheitsleistung ausdrücklich wünscht. Ein unterlassener Test mangels auffälliger Anamnese und/oder Klinik begründet keine haftungsrechtlich relevante Situation [16].

Das Unterlassen einer Toxoplasmoseserologie bei begründetem Verdacht (Lymphknotenschwellung, grippeähnliche Symptomatik) kann rechtliche ­Konsequenzen haben. Bei positivem, unklarem oder negativem Testergebnis muss der Arzt auf die Wiederholung der Untersuchung aufmerksam ­machen (allgemeine Hinweispflicht des Arztes). Positive (IgM positiv) und unklare Erstbefunde sind spätestens nach zwei Wochen zu kontrollieren. Beim negativen Test wird die Kontrolle alle 8–12 Wochen angeraten. Bei fehlender Immunität sollte die letzte Kontrolle im Wochenbett erfolgen, damit eine späte Serokonversion im letzten Trimenon nicht übersehen wird. Es gibt keinen zugelassenen Impfstoff gegen T. gondii für die Anwendung beim Menschen. Toxovax® ist eine attenuierte Vakzine, zugelassen zur Impfung von Mutterschafen, um Totgeburten und kongenitale Toxoplasmose bei Lämmern zu verhindern. Schwerpunkt in der Prävention von T.-gondii-Infektionen und damit in der Beratung (seronegativer) Schwangerer sind Hygienemaßnahmen:

• kein Verzehr von ungenügend zubereitetem Fleisch
• Gemüse und Obst gründlich waschen
• Händewaschen nach der Zubereitung von Fleisch, nach Gartenarbeit und Kontakt mit Oberflächengewässern
• nur pasteurisierte Milch trinken
• Katzentoiletten täglich reinigen

Zytomegalie (HCMV)

Eine maternale Primärinfektion mit HCMV in der Schwangerschaft stellt ein nicht unerhebliches, oft unterschätztes Risiko dar. HCMV ist mit 1 % aller neugeborenen Kinder die häufigste intrauterin über die Mutter erworbene Erkrankung. Eine Hochrechnung für Deutschland ergab für das Jahr 2006 bei 672 000 Lebendgeburten und einer konservativ geschätzten Inzidenz an Primärinfektionen von 0,5 % insgesamt 3 360 HCMV-Infizierte Kinder [17]. Das materno-fetale Transmissionsrisiko für HCMV steigt mit zunehmendem Gestationsalter an (Tab. 2). Auch eine präkonzeptionelle CMV-Infektion ist mit einem Transmissionsrisiko behaftet. Vielfach ist den Schwangeren auch nicht bekannt, dass HCMV über praktisch alle Körperflüssigkeiten (Schmier- oder Tröpfcheninfektion durch Urin > Speichel > Genitalsekret) und bei mangelnder Hygiene übertragen werden kann. Eine maternale HCMV-Infektion kann – abhängig vom Zeitpunkt der maternalen Primärinfektion – zu schweren fetalen Komplikationen führen (Mikrozephalie [53 %], intrazerebrale Verkalkungen, Wachstumsrestriktion [50 %], Hepatosplenomegalie [60 %], Organschäden [Lunge, Darm], ­Anämie, Seh- und Hörstörungen, Verzögerung der späteren psychomotorischen und geistigen Entwicklung, ­Ikterus [67 %], Petechien [76 %]). Darüber hinaus sind ­Abort, intrauteriner Fruchttod und Totgeburt (fetale thrombotische Vaskulopathie) möglich (Tab. 3). Eine frühzeitige Diagnosestellung ist wegen der häufig unspezifischen Klinik problematisch, die ­Diagnostik wird häufig erst veranlasst, wenn sonografisch Auffälligkeiten beim Feten detektiert werden, u. a. Microcephalus, intrauterine Wachstumsretardierung, hyperechogener Darm (Abb. 3). Zurzeit gibt es keine zugelassene Therapie, die nachweislich das Risiko der materno-fetalen Transmission senkt. HCMV-spezifische Hyperimmun­globulin-Präparate (HCMV-HIG) wurden wiederholt zur Therapie bei maternaler HCMV-Primärinfektion im ersten Trimenon eingesetzt, die Studiendaten zur Effek­tivität dieser Therapie sind inhärent. Für die HCMV-HIG-Therapie und die virostatische Therapie (s. u.) konnte bisher kein signifikant posi­tiver Therapie-Outcome gesichert werden. Deshalb wird eine Anwendung außerhalb klinischer Studien aktuell nicht empfohlen [18]. Die Anwendung von HCMV-HIG ist in Deutschland off label, ein Antrag auf Kostenübernahme kann trotzdem gestellt werden. Unterstützung in dieser Fragestellung bietet in Deutschland die Initiative zur Prävention konnataler HCMV-Infektionen (ICON) an [19]. Eine Impfung gegen HCMV ist aktuell nicht verfügbar. Hygienische Maßnahmen sind unverzichtbar und nach Studienlage auch wirksam. Fehlende Immu­nität z. B. gegenüber HCMV kann ein Beschäftigungsverbot beim beruflichen Umgang mit Kleinkindern unter drei Jahren während der gesamten Schwangerschaft begründen. Die diesbezüglichen Empfehlungen in den einzelnen Bundesländern sind ähnlich, aber nicht identisch. Bei Müttern von Risikofrühgeborenen (< 32+0 SSW oder < 1 500 g) sollte eine HCMV-IgG-Bestimmung durchgeführt werden. Wenn die Wöchnerin HCMV-IgG positiv ist, sollte die Milch pasteurisiert werden. Die Datenlage zur Risiko-Nutzen-Abwägung bei Gabe unpasteurisierter Milch ist unzureichend. Ein obligates HCMV-Screening in der Schwangerschaft ist lt. MuRiLi nicht vorgesehen und wird i. d. R. nicht von den Krankenkassen finanziert. Für ein HCMV-Screening aller Schwangeren spricht die Möglichkeit der präventiven Beratung (s. o.), dagegen die gegenwärtig fehlende, nachgewiesene effektive Therapieoption [20].

Der Autor

Dr. med. Michael Bolz
Intensivschwangerenbetreuung (ISB)
Universitätsfrauenklinik und Poli­klinik am Klinikum Südstadt Rostock
Südring 81
18059 Rostock

michael.bolz@kliniksued-rostock.de

1 www.g-ba.de/richtlinien/19/, Stand: 29.01.2021
2 www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/BJNR024820988.html, Stand: 29.01.2021
3 Bolz M et al., Folsäure in der Gynäkologie. De Gruyter, 2016
4 Krannich L, UFK Rostock 2016 (unveröffentlicht)
5 www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015–081l_S3_Adipositas-Schwangerschaft_2020_06.pdf, Stand: 08.02.2021
6 Ratner E et al., J Clin Endocrinol Metab 2000; 93: 4774–4779
7 Kasher-Meron M et al., Diabetes Metab Res Rev 2017; 25: s18–s23
8 Gunderson EP et al., Ann Intern Med. 2015; 163: 889–898
9 www.who.int/topics/breastfeeding/en/, Stand: 29.01.2021
10 Graß A, Rostock Univ Med Fak, Diss., in press
11 Schultek G, Rostock Univ Med Fak, Diss., 2020
12 Dörner G, et al., Dt Gesundh Wes 1977; 32: 2325–2327
13 Sagodi L et al., Orv Hetil 2017; 158: 938–943
14 Prusa AR et al., Clin Infect Dis 2015; 60: e4–e10
15 daignet.de/site-content/hiv-leitlinien/leitlinien-1/ Stand: 03.02.2021
16 LG Bonn 9 O 405/08 // OLG Köln AZ 5U 11/11
17 Buxmann H et al., Dtsch Arztebl International 2017; 114(4): 45–52
18 Rawlinson WD et al., Lancet Infect Dis 2017; 17: e177–e188
19 www.icon-cmv.de/de/die-initiative, Stand: 03.02.2021
20 Bolz M et al., Gynäkol 2017; 50: 803–825

Bildnachweis: Godruma, human (iStockphoto); privat

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