Dexamethason ist eines der wichtigsten Medikamente in der Therapie von schwerem COVID-19. Wie das künstliche Glucocorticoid die gestörte Entzündungsreaktion beeinflusst und welche Personen davon profitieren, hat jetzt ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) herausgefunden.
Dabei wurde eine Methodik erprobt, mit der sich molekulare Mechanismen präziser als bislang aufdecken lassen – die sogenannte Einzelzell-Analyse. Die Ergebnisse machen Hoffnung auf ein präzises Vorhersage-Instrument auch für andere Therapien und Erkrankungen. „Unsere Daten zeigen, dass die lebensrettende Wirkung von Dexamethason mit der Reaktion von Monozyten in Verbindung steht“, sagt Dr. rer. nat. Anna Aschenbrenner vom DZNE, die die Studie gemeinsam mit Prof. Dr. med. Florian Kurth von der Charité und weiteren Kollegen leitete. „Ein Teil der Monozyten zeigte eine Reaktion auf die Behandlung – aber nur bei jenen Personen, bei denen die Therapie auch eine Besserung des Krankheitszustandes bewirkte und die die Infektion am Ende überlebten“, so Aschenbrenner. „Warum die Monozyten bei manchen Patienten diese Reaktion zeigen und bei anderen nicht, ist rätselhaft. Auch von anderen Erkrankungen ist allerdings bekannt, dass Dexamethason nicht bei allen Menschen gleichermaßen gut wirkt.“
Bereits 2020 fanden die Forschender und Forscherinnen in einer der ersten Studien zur Immunantwort bei Menschen mit schwerem COVID-19 in Monozyten eine veränderte, krankhafte „Signatur“ – also eine Art molekularer Fingerabdruck, der die Eigenschaften dieser Immunzellen widerspiegelt. Wie die aktuelle Studie zeigt, machte die Dexamethason-Behandlung diese Veränderungen wieder rückgängig, wenn die Therapie anschlug.
Ansatz auf andere Krankheiten übertragbar
Das Besondere: „Die Reaktion der Monozyten geht der Verbesserung des Gesundheitszustands um einige Tage voraus“, sagt Kurth. „Wenn die Immunzellen frühzeitig auf Dexamethason reagieren, kann man also davon ausgehen, dass die Behandlung anschlagen wird. Wenn sie es nicht tun, die Therapie also keine Wirkung zeigen wird, können wir zusätzliche Arzneimittel einsetzen, um den Betroffenen zu helfen.“
Die Aufklärung dieser Vorgänge gelang mithilfe der Einzelzell-Sequenzierung. „Mit dieser Methode lässt sich jede einzelne Zelle individuell charakterisieren. Eine solch detaillierte Analyse von Zell-Signaturen erlaubt Einblicke in den Körper, die noch vor wenigen Jahren nicht möglich waren“, erläutert Prof. Dr. med. Joachim Schultze, Direktor für Systemmedizin am DZNE und ebenfalls einer der leitenden Autoren der Studie. Untersucht wurden Blutproben von Menschen, die aufgrund einer schweren COVID-19-Erkrankung in der Charité mit Dexamethason behandelt wurden. Die Proben waren bereits frühzeitig in der Pandemie systematisch zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Krankheitsverlaufs entnommen worden. Bei deren Analyse erwies sich die Reaktion der Monozyten als Indikator für den künftigen Therapieverlauf.
„Die Bedeutung unserer Ergebnisse geht weit über COVID-19 hinaus“, betont Prof. Dr. med. Leif Erik Sander, ebenfalls einer der Studienleiter und Direktor der Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin der Charité und Arbeitsgruppenleiter am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). „Die Kombination von klug konzipierten klinischen Studien mit hochauflösender molekularer Analytik kann entscheidende Einblicke in die Wirkweise von Medikamenten liefern. Dieser Ansatz könnte bereits in frühen Studienphasen zur Erprobung neuer Medikamente Merkmale identifizieren, die das Ansprechen auf Therapien vorhersagen.“ Dies könnte zukünftig die Medikamentenentwicklung beschleunigen und personalisierte Therapien ermöglichen.
„Ich gehe davon aus, dass sich dieser Ansatz auch auf andere Erkrankungen übertragen lässt“, sagt Kurth. „Abhängig von der spezifischen Erkrankung und der Therapie werden unterschiedliche Zellen als Indikatoren dienen können. Sobald sie mithilfe der Einzelzell-Sequenzierung identifiziert sind, werden auch bereits etablierte, einfachere Labormethoden ausreichen, um die aussagekräftigen Zell-Veränderungen festzustellen.“
Pressemitteilung „Lebensrettende Wirkung von Dexamethason bei COVID-19 entschlüsselt“. Charité – Universitätsmedizin Berlin und Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Bonn, 3.7.2024 (https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/lebensrettende_wirkung_von_dexamethason_bei_covid_19_entschluesselt/).
* Knoll R et al.: The life-saving benefit of dexamethasone in severe COVID-19 is linked to a reversal of monocyte dysregulation. Cell 2024 Jul 3 (DOI 10.1016/j.cell.2024.06.014).