Bisher war eine bariatrische Operation nur als Ultima Ratio-Maßnahme in der Rechtsprechung eingestuft. Das ändert sich nach einer Klarstellung durch das Bundessozialgericht (BSG).
In der Sitzung vom 22. Juni 2022 hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) klargestellt, dass das allgemeine Qualitätsgebot fordert, dass nach dem gesicherten Stand der medizinischen Erkenntnisse, also der bestverfügbaren Evidenz, in medizinischen Fachkreisen Konsens über die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der bariatrischen Operation besteht. Unter der Berücksichtigung der besonderen Risiken und Folgen eines solchen Eingriffs bedeute ultima ratio demzufolge, dass die zielgerichtete irreversible Schädigung eines gesunden Organs nur dann als erforderliche Behandlung anzusehen ist, wenn die voraussichtlichen Ergebnisse dieses Eingriffs den voraussichtlichen Ergebnissen anderer Behandlungsoptionen eindeutig überlegen sind.
Hierfür sei es aber nicht zwingend erforderlich, dass sämtliche andere Therapieoptionen zuvor tatsächlich ausgeschöpft seien. Es komme vielmehr insbesondere auf die Erfolgsaussichten der nicht-invasiven Therapieoptionen, die voraussichtliche Dauer bis zu einem spürbaren Erfolg, das Ausmaß der Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas und die dadurch bedingte Dringlichkeit der Gewichtsreduktion an (Az.: B 1 KR 19/21 R).
Hintergrund des Urteils und der jetzt erfolgten Rückverweisung der Sache an das betreffende Landessozialgericht in Baden-Württemberg war die Weigerung einer gesetzlichen Krankenkasse nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes gewesen, die Behandlungskosten von über 7.000 Euro für eine operative Magenverkleinerung bei einem Patienten mit einem BMI von 55 zu übernehmen, da zuvor nicht alle anderen Therapieoptionen ausgeschöpft worden seien. Wenn aber eine bariatrische Operation evidenzbasiert ist, wie das BSG nun feststellt, und ihr nicht zwingend sämtliche andere Therapieoptionen vorausgegangen sein müssen, wird dies jetzt für viele Patienten mit erheblicher Adipositas den beschleunigten Zugang zu dieser hochwirksamen Therapieoption erleichtern.
Terminbericht Nr. 22/22: Bundessozialgericht, Juni 2022