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Gynäkologie

Evidenzbasiert supplementieren

Mikronährstoffe in Gynäkologie und Geburtshilfe

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

18.4.2025

Mikronährstoffe spielen eine essenzielle Rolle in der Frauengesundheit. Ein adäquater Mikronährstoffstatus ist entscheidend für die weibliche Fertilität, den Schwangerschaftsverlauf sowie für die Gesundheit von Mutter und Kind – aber auch rund um die Menopause und bei gynäkologischen Erkrankungen.

Der weibliche Organismus unterliegt während des Lebenszyklus erheblichen hormonellen Schwankungen, die mit einem veränderten Mikronährstoffbedarf einhergehen. In der präkonzeptionellen Phase beeinflussen Mikronährstoffe die Ovulationsqualität und die Implantationsfähigkeit der Blastozyste. Während der Schwangerschaft kommt es zu einem erhöhten Bedarf an essenziellen Nährstoffen, um das fetale Wachstum sowie die maternale Gesundheit zu sichern. Nach der Geburt und während der Stillzeit sind insbesondere Jod, Eisen und Omega-3-Fettsäuren für die kognitive Entwicklung des Neugeborenen von zentraler Bedeutung. In der Menopause treten veränderte Bedürfnisse hinsichtlich Calcium, Vitamin D und Antioxidantien auf, um der postmenopausalen Osteoporose und kardiovaskulären Erkrankungen entgegenzuwirken.

Mikronährstoffe und Fertilität

Nahrungsergänzungsmittel werden häufig zur Verbesserung der Fruchtbarkeit bei Frauen mit Unfruchtbarkeit eingesetzt, die versuchen, spontan schwanger zu werden oder eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung (MAR) in Anspruch zu nehmen. Ein Review von 2024 hat untersucht, was an diesem Ansatz als gesichert gelten kann und was nicht [1].

In 5 elektronischen Datenbanken wurde nach Metaanalysen und systematischen Überprüfungen rando­misierter kontrollierter Studien zu Nahrungsergänzungsmitteln bei weiblicher Unfruchtbarkeit gesucht, die zwischen August 2017 und Januar 2024 veröffentlicht wurden. Die primären Endpunkte ­waren Lebendgeburten sowie klinische und biochemische Schwangerschaftsraten. Sekundäre Endpunkte waren unerwünschte Wirkungen wie Fehlgeburten und Eileiterschwangerschaften oder Mehrlingsschwangerschaften.

Mehrere Mikronährstoffe und Antioxidantien erhöhten nach dieser Analyse die Lebendgeburtenrate bei Frauen, die MAR anwendeten und/oder versuchten, spontan schwanger zu werden, im Vergleich zu Placebo, Standardbehandlung oder keiner Behandlung. Die vorliegende Evidenz reicht nach Ansicht der Autorengruppe nicht aus, um eine Nahrungsergänzung bei Kunderwunsch zu empfehlen. Es gibt jedoch auch keine Hinweise darauf, dass diese Nährstoffe ein ­Risiko für erhebliche Schäden darstellen. Zu den Substanzen, die mit geringer Evidenzsicherheit positive Effekte zeigten, gehörten L-Carnitin, CoQ10, ­Melatonin, Myo-Inositol, NAC und Vitamin D.

Schwangerschaft und Stillzeit

Ganz anders ist die Evidenzlage in der Schwangerschaft. Der Bedarf einer Reihe von Vitaminen und Mineralstoffen steigt in der Schwangerschaft stärker als der Energiebedarf – darauf weist u. a. die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hin [2]. Verzehrstudien zeigen aber auch, dass wichtige Mikronährstoffe wie Folsäure, Vitamin D, Eisen und Jod bei vielen jungen Frauen ungenügend durch die Ernährung aufgenommen werden [3]. Da die einzelnen Mikronährstoffe in verschiedenen Phasen der Entwicklung des Kindes benötigt werden, ist es sinnvoll, mit der Supplementierung bereits bei ­Kinderwunsch zu beginnen.

In der Schwangerschaft wird die Supplementierung dringend empfohlen.

Der Klassiker ist die Folsäure. Ein optimaler Schutz besteht bei einer erythrozytären Folsäurekonzen­tration > 900 nmol/l. Damit sinkt das Risiko für Neuralrohrdefekte (NTD) um 40 % [4]. Die Empfehlung für Frauen bei Kinderwunsch und mindestens bis zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels lautet mindestens 400 µg Folsäure/Tag [5]. Bei der Planung einer Schwangerschaft sollte mit der Folsäureprophylaxe generell bereits vor der Schwangerschaft begonnen werden.

Eine Unterversorgung mit Vitamin D hat sowohl Konsequenzen für die Schwangere als auch für die Entwicklung des Fetus [6]. Um einen ausreichenden Vitamin-D-Spiegel zu erreichen, wird von der DGE eine Supplementation von 600–800 IE pro Tag für alle Schwangeren empfohlen [7]. Orthomolekularmediziner empfehlen bis 3 500 IE.

In Deutschland hat die Nationale Verzehrstudie II bei Frauen zwischen 18 und 49 Jahren eine mittlere Einnahme von 11–12 mg Eisen pro Tag ermittelt [3]. Eine Schwangerschaft führt zu einem vergleichsweise hohen Nettoverlust von 600–700 mg ­Eisen, was besonders bei bereits bestehender Unterversorgung kritisch werden kann [8]. Etwa 25 % aller Schwangeren in Europa haben einen Eisenmangel. Ist die mütterliche Eisenversorgung unzureichend, so begünstigt dies Frühgeburten und niedriges ­Geburtsgewicht.

Bis zur 20. Woche ist der Fetus noch vollständig von der Versorgung mit mütterlichem Thyroxin abhängig. Dies erfordert eine um 50 % höhere Aktivität der mütterlichen Schilddrüse und höhere Jodversorgung. Bereits eine moderate Unterversorgung kann zu einer eingeschränkten kognitiven Entwicklung des Kindes beitragen [9]. In Deutschland wird allen Schwangeren eine zusätzliche Jodeinnahme von 100–200 μg täglich empfohlen [10].

Die ernährungsphysiologische Rolle von Cholin wurde erst in den vergangenen Jahren intensiv untersucht. Cholin spielt eine wichtige Rolle im Homocysteinstoffwechsel, und fehlt Cholin, kann Folat den Abbau von Homocystein teilweise übernehmen. Bei unzureichender Cholinversorgung wird mehr Folat benötigt, es kann zu einer Imbalance im Folat­stoffwechsel kommen [11]. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) betont, dass der Cholinbedarf während der Schwangerschaft bzw. Stillzeit um 20–30 % erhöht ist [12], und dieser erhöhte Bedarf kann nicht allein durch die körpereigene Produktion gedeckt werden.

Während Schwangerschaft und Stillzeit wird ein gesteigerter Umsatz von Biotin beobachtet [13], auch für Vitamin B6, Vitamin B12 und Vitamin A wird ein erhöhter Bedarf diskutiert. Von den Spurenelementen stehen Calcium und Zink im Fokus. Ist die Zufuhr nicht adäquat, so kommt es bei der Mutter zu einer Abnahme der Knochendichte und beim Fetus zu Wachstumsstörungen und niedrigem Geburtsgewicht. Zink ist für fetales Wachstum und die postnatale Entwicklung besonders wichtig [14].

Peri- und Postmenopause

Der Rückgang der Estrogenproduktion in Peri- und Postmenopause führt zu einer veränderten Nährstoffverwertung und kann das Risiko für Osteoporose, kardiovaskuläre Erkrankungen und kognitive ­Beeinträchtigungen erhöhen.

Kann eine gezielte Zufuhr essenzieller Mikronährstoffe hel­fen, diesen Veränderungen entgegenzuwirken und die Lebensqualität betroffener Frauen zu verbessern? Dieser Frage ging ein Review aus dem Jahr 2024 nach [15]. Die Metaanalyse konzentrierte sich auf die Aspekte von Vitamin B6, ­Vitamin B12, Vitamin D, Eisen, Omega-3-Fettsäuren und Lycopin, das zur Familie der Carotinoiden ­gehört. Frauen nach der Menopause mit einem ­Mangel an diesen Nährstoffen sind anfälliger für Begleiterkrankungen wie kardiovaskuläre und ­zerebrovaskuläre Ereignisse, Stoffwechselkrankheiten, Osteoporose, Fettleibigkeit, Krebs und neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Depressionen, kognitiver Verfall, ­Demenz und Schlaganfall. Konkrete Empfehlungen konnte die Analyse aufgrund der Heterogenität der untersuchten Studien nicht geben. Die Autorengruppe betont aber, dass die Aufrechterhaltung optimaler Serumspiegel von Nährstoffen und Vitaminen während der Wechseljahre und nach den Wechseljahren von entscheidender Bedeutung ist. Sollte das durch eine ausgewogene und gesunde Ernährung mit frischem Obst, Gemüse und Fetten nicht möglich sein, sollte die Einnahme geeigneter Nahrungsergänzungsmittel erwogen werden.

Gynäkologische Erkrankungen

Gynäkologische Erkrankungen wie das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS), Endometriose, das prämen­struelle Syndrom (PMS) und urogenitale Infektionen sind häufig mit Entzündungsprozessen, hormonellen Dysbalancen und oxidativem Stress assoziiert. Zahlreiche Studien zeigen, dass eine gezielte Zufuhr bestimmter Mikronährstoffe positive Effekte auf die Symptomatik dieser Erkrankungen haben kann, die wir hier beispielhaft für die Endometriose vorstellen.Eine Metaanalyse von 2024 beschäftigte sich mit oralen Nahrungsergänzungsmitteln und endome­triosebedingten Schmerzen. Eine signifikante Verrin­gerung endometriosebedingter Schmerzen wurde in 3 von 5 Studien zu Vitaminen, 4 von 6 Studien zu Fettsäuren, 1 Studie zu Probiotika, 2 Studien zu Heilpflanzen und 5 von 6 Studien zu bioaktiven Verbindungen festgestellt. Diese Nahrungsergänzungsmittel zeigten verschiedene biologische Aktivitäten, wie entzündungshemmende, antioxidative, antiproliferative und antiangiogene Wirkungen, die alle für die Behandlung von Endometriose relevant sind [16].

Mikronährstoffe sind in verschiedenen Lebensphasen essenziell, die Evidenz für eine Supplementierung schwankt.

Die Diagnostik von Mikronährstoffmängeln ­sollte individuell erfolgen und auf klinischen ­Symptomen sowie Laborwerten basieren. ­Besonders relevant sind Messungen von Vitamin D, Ferritin, Homocystein und ­Omega-­3- Index. Eine gezielte ­Supplementation sollte auf Basis evidenzbasierter Leitlinien erfolgen und individuell an den Ernährungs­status, bestehende Erkrankungen und Lebensstilfaktoren angepasst werden.

  1. Pandey C et al., Nutrients 2024; 17: 57
  2. www.dge.de/wissenschaft/ernaehrungsberichte/14-dge-ernaehrungsbericht/
  3. www.mri.bund.de/de/institute/ernaehrungsverhalten/forschungsprojekte/nvsii, Stand: 08.01.2022
  4. Abramsky L et al., Lancet 2002; 359: 2039
  5. Koletzko B, Dtsch Arztebl 2013; 110: A-612/B-544/C-544
  6. Hollis BW et al., Am J Clin Nutr 2006; 84: 273–9
  7. DGE. Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr 2017, Bonn
  8. Bothwell TH, Am J Clin Nutr 2000; 72: 257–64
  9. Puig-Domingo L et al., Curr Clin Pharmacol 2013; 8: 97–109
  10. Gemeinsamer Bundesausschuss 2003. Mutterschafts-Richtlinien
  11. Obeid R, Nutrients 2013; 5: 3481–95
  12. European Food Safety Authority. EFSA Journal 2016; 4484–554
  13. Perry CA et al., J Nutr 2014; 144: 1977–84
  14. FAO / WHO: Vitamin and mineral requirements in human nutrition 2004
  15. Wylenzek F et al., Arch Gynecol Obstet 2024; 310: 2235–45
  16. Tamiris J et al., J Gynecol Obstet Hum Reprod 2024; 53: 102830
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