Die Vermeidung der Frühgeburt oder zumindest die Verlängerung der Schwangerschaftsdauer zur Durchführung der Lungenreifeinduktion ist weiterhin eine Herausforderung für jeden Geburtshelfer. Dieser Beitrag erläutert wann und wie FTMV, Pessar und Cerclage eingesetzt werden sollten.
Trotz weltweiter Anstrengungen ist die Frühgeburtlichkeit nach wie vor eines der herausragenden Themen der Perinatalmedizin. In Deutschland erleiden jährlich etwa 8 % aller Schwangeren eine Frühgeburt. Dies entspricht mehr als 50 000 Frühgeburten pro Jahr. Auch der Anteil der extrem Frühgeborenen vor 32 abgeschlossenen Schwangerschaftswochen bzw. unterhalb von 1 500 g Geburtsgewicht ist mit 1,3 % in den letzten beiden Dekaden nahezu unverändert bzw. eher ansteigend. Diese Neugeborenen bilden den überwiegenden Anteil an der perinatalen Mortalitäts- und Morbiditätsstatistik. So sind zwei Drittel aller perinatal verstorbenen Kinder Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1 500 g. Zu den schwerwiegenden Komplikationen der überlebenden Kinder zählen ausgedehnte Hirnblutungen und Schädigungen der weißen Hirnsubstanz mit nachfolgenden neurologischen Entwicklungsstörungen.
Die Vermeidung der Frühgeburt oder zumindest die Verlängerung der Schwangerschaftsdauer zur Durchführung der Lungenreifeinduktion ist weiterhin eine Herausforderung für jeden Geburtshelfer. Angesichts der hohen Mortatilität und Morbidität frühgeborener Kinder gilt es, Patientinnen mit einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt rechtzeitig zu erkennen und entsprechenden therapeutischen Maßnahmen zuzuführen. Nach mehrjähriger Vorarbeit wurde 2019 die S2k-Leitlinie zur Prävention und Therapie der Frühgeburt publiziert und 2023 aktualisiert [1]. Diese soll bei der Umsetzung der aktuellen evidenzbasierten Empfehlungen helfen und somit zum Wohle von Mutter und Kind die perinatale Morbidität und Mortalität weiter senken.
Wesentliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer spontanen Frühgeburt sind die vorzeitige Wehentätigkeit und der frühe vorzeitige Blasensprung. Hierbei stellen die genannten Ereignisse jedoch die Endstrecke unterschiedlicher ätiologischer Risikofaktoren und Auslöser dar (Tab.). In den vergangenen Jahren hat sich herausgestellt, dass genitale und intrauterine Infektionen zu den bedeutsamen Risikofaktoren für die Entwicklung von vorzeitiger Wehentätigkeit und Frühgeburt zählen. In großen Studienkollektiven sind aufsteigende genitale Infektionen in 40 % der Fälle von Frühgeburtlichkeit nachweisbar. Daraus entwickelte sich die Hoffnung, die Problematik Frühgeburtlichkeit durch großzügigen Einsatz von Antibiotika lösen zu können. Allerdings haben die großen Interventionsstudien der vergangenen Jahre widersprüchliche Ergebnisse gezeigt.
In 40 % der Fälle von Frühgeburtlichkeit sind aufsteigende genitale Infektionen nachweisbar.
Es wird deutlich, dass zahlreiche pathophysiologische Mechanismen im Zuge der vorzeitigen Wehentätigkeit und Frühgeburtlichkeit zum Zeitpunkt des Infektionsnachweises bereits irreversibel induziert sind und somit eine antibiotische Therapie diese Kaskaden nicht mehr unterdrücken kann. Wird eine Fehlbesiedlung bzw. beginnende genitale Infektion frühzeitig erkannt, so belegt mittlerweile eine stetig steigende Zahl von prospektiv randomisierten Studien einen Nutzen der Antibiotikatherapie. Die Hypothese der infektiologischen Genese eines Großteils der spontanen vorzeitigen Wehentätigkeit, des frühen vorzeitigen Blasensprungs und letztlich der Frühgeburtlichkeit wird somit unterstützt.
Genetik und Gen-Umwelt-Interaktion
In den vergangenen Jahren häufen sich Hinweise, dass möglicherweise ein Teil der Frühgeburten durch eine genetische Prädisposition der Schwangeren verursacht sein könnte. Die folgenden Beobachtungen sind für diese Hypothese wesentlich: frühgeborene Mütter weisen ein deutlich höheres Frühgeburtsrisiko auf. Der anamnestische Risikofaktor Frühgeburtlichkeit verdreifacht das Risiko für eine weitere Frühgeburt mit dem gleichen Partner. Bei Partnerwechsel reduziert sich das Risiko wieder um ein Drittel. Die Heredität der Frühgeburtlichkeit beträgt in Zwillingsstudien 17–36 % und liegt somit um den Faktor 2–4 über der zu erwartenden spontanen Frühgeburtenrate. In den vergangenen Jahren wurden Polymorphismen in Kandidatengenen untersucht, die an kritischen Schnittstellen in der Pathogenese der Frühgeburtlichkeit bedeutsam sein könnten.
Frühgeborene Mütter weisen ein deutlich höheres Frühgeburtsrisiko auf.
Von besonderem Interesse waren hierbei Genpolymorphismen, die die maternale Immunantwort in der Schwangerschaft regulieren und zu einer inadäquaten Immunantwort auf einen infektiologischen Stimulus führen (Abb.).
Proinflammatorische Zytokine, insbesondere TNF-α und IL-1β werden nach Kontakt mit mikrobiellen Stoffwechselprodukten durch immunkompetente Zellen, insbesondere Monozyten, freigesetzt und vermitteln die Inflammationsantwort des Wirtsorganismus. Die Freisetzung von TNF durch Monozyten variiert individuell und steht unter genetischer Kontrolle. Mittlerweile sind mehrere funktionelle Polymorphismen der Promotorregion des TNF-Gens beschrieben. Der Polymorphismus an der Nukleotidstelle 308 wird als TNF2-Allel bezeichnet und geht mit einer inadäquat-gesteigerten TNF-Produktion auf einen Stimulus einher.
Mittlerweile belegen zahlreiche Untersuchungen die Assoziation von TNF2-Allel und vorzeitigem Blasensprung. Interessant ist hierbei die deutliche Risikosteigerung bei nachweisbarer bakterieller Vaginose. Bei TNF2-Allel-Trägerinnen besteht ein 3-fach erhöhtes Frühgeburtsrisiko [2]. Bei Nachweis einer bakteriellen Vaginose resultierte in dieser Patientengruppe sogar ein 6-fach erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt.
Die Untersuchungen zu Genpolymorphismen, die an kritischen Schaltstellen die Immunantwort vermitteln, stehen erst am Anfang. Dennoch wird aus dem vorhandenen Datenmaterial ersichtlich, dass diese genetischen Vorgaben entscheidend das Risiko für eine Frühgeburt modulieren. Weitere Studien könnten ein genetisches Muster diskriminieren, das es zukünftig erlaubt, Schwangere mit inadäquater Inflammationsantwort rechtzeitig zu identifizieren, um diese selektionierten Patientinnen mit erhöhtem Frühgeburtsrisiko präventiven oder therapeutischen Konzepten zuzuführen.
Prädiktion der Frühgeburt und präventive Maßnahmen
Eine Identifizierung von Risikopatientinnen kann insbesondere anhand anamnestischer Daten, sonografischer Zervixlängenmessung und biochemischer Untersuchung (Fibronektin, phosphoryliertes insulin-like growth factor binding protein-1 [phIGFBP-1], vaginaler pH-Wert) erfolgen. So kann der Einsatz von biochemischen Markern zusätzlich zur sonografischen Zervixlängenmessung helfen, unnötige Therapie-Interventionen in einem Niedrigrisikokollektiv zu vermeiden. Die Gabe von Progesteron bei Frauen mit Frühgeburt in der Anamnese reduziert das Risiko für eine erneute Frühgeburt um mehr als 30 %. Dies gilt auch für Frauen, die keine Frühgeburten hatten, aber bereits im Verlauf des zweiten Schwangerschaftsdrittels eine Verkürzung der Zervixlänge entwickeln.
Cerclage-Pessar
In 2012 zeigte eine prospektiv randomisierte Studie, dass das Cerclage-Pessar die Frühgeburtenrate < 34 SSW bei Frauen, die vor 24 + 0 SSW eine Zervixlänge < 25 mm aufwiesen, von 27 auf 6 % senkte (OR 0,18; 95%-KI 0,08–0,37) [3]. In einer weiteren prospektiv randomisierten Studie wurde der Einsatz eines Cerclage-Pessars bei Frauen mit einer vaginalsonografisch gemessenen Zervixlänge im zweiten Trimenon von 25 mm oder weniger geprüft. Das Zervixpessar war dabei einer vaginalen Progesteron-Applikation von 200 mg tgl. bei der Reduktion der Frühgeburtenrate unterhalb von 34 SSW nicht unterlegen [4].
Eine Metaanalyse von 2019 evaluierte 3 RCT (n = 1 612) mit definiertem Zielkriterium (Frühgeburtenrate < 34 + 0 SSW). Eingeschlossen wurden Schwangere (Einlingsschwangerschaften) mit sonografischer Zervixverkürzung < 25 mm zwischen 18 + 0 und 22 + 6 SSW mit Pessareinlage versus abwartendem Management. Unter Berücksichtigung aller 3 RCT führte die Pessareinlage zu keiner signifikanten Senkung der Frühgeburtenrate < 34 + 0 SSW (11,6 vs. 18,4 %), wohl aber < 37 + 0 SSW (20,8 vs 47,6 %, RR 0,46; 95%-KI 0,28–0,77) [5].
Das Zervixpessar ist eine Intervention mit sehr niedriger Komplikationsrate. Häufig wird ein vermehrter Ausfluss beobachtet, der jedoch keinerlei pathologischen Stellenwert hat. Vor diesem Hintergrund kann bei Frauen mit Einlingsschwangerschaft, deren Zervixlänge vor 24 + 0 SSW < 25 mm beträgt, im Einzelfall diese Intervention erwogen werden. Das Zervixpessar sollte bei 37. SSW oder vorherigem Geburtsbeginn entfernt werden.
Cerclage und FTMV
Die Indikation eines operativen Verfahrens in der Prävention der Frühgeburt im Risikokollektiv wird durch neue Analysen klarer. Frauen mit Einlingsschwangerschaft und mit Frühgeburt vor 34 SSW oder Spätabort in der Anamnese, deren sonografische Zervixlänge vor 24 SSW weniger als 25 mm beträgt, profitieren demzufolge von einer sekundären Cerclage. Nicht nur die Tragzeit wird signifikant verlängert und somit das Frühgeburtsrisiko vor 35 SSW um 30 % gesenkt, sondern auch die perinatale Mortalitat und Morbiditat signifikant um 35 % gesenkt.
Bei Schwangeren ohne anamnestisches Risiko mit kurzer Zervix bietet dieses operative Verfahren nach aktueller Datenlage keinen zusätzlichen Benefit, wird jedoch aufgrund mangelnder Alternativen häufig in dieser Situation durchgeführt. Alternativ ist hier die Einlage eines Cerclage-Pessars empfehlenswert. Inwieweit ein kompletter Verschluss des Muttermunds (FTMV) der Cerclage überlegen ist, lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit klären, da randomisierte Studien fehlen. Eigene Daten belegen die hohe Effizienz der Methodik in einem Risikokollektiv. Bei mittlerweile mehr als 1 000 behandelten Frauen mit 2 und mehr Frühgeburten und Spätaborten in der Anamnese lag die Baby-take-home-Rate bei über 96 %.
Frauen mit Einlingsschwangerschaften und Status nach Frühgeburt sollten zur Primärprävention einer Frühgeburt eine wöchentliche Injektion von 17α-Hydroxyprogesteron-caproate (17-OHP) 250 mg beginnend in der 16. SSW bis zur 36. + 0 SSW erhalten. Alternativ und in Deutschland üblich sind Progesteron-Tabletten vaginal (200 mg/d).
Aufgrund der bestehenden Datenlage erscheint ein universales Screening zur Zervixlängenmessung zwischen 16 + 0 und 24 + 0 SSW bei Frauen mit Einlingsschwangerschaften sinnvoll, da mit der vaginalen Progesteron-Applikation eine wirkungsvolle Intervention mit konsekutiver Prolongation der Schwangerschaft zur Verfügung steht.
Frauen mit einer Einlingsschwangerschaft, deren Zervixlänge vor 24 + 0 SSW weniger als 25 mm beträgt, sollten täglich Progesteron intravaginal bis 36 + 0 SSW erhalten. Bei Frauen mit Einlingsschwangerschaften und Status nach Frühgeburt bzw. Spätabort, deren sonografische Zervixlänge vor 24 Wochen weniger als 25 mm beträgt, wird die Schwangerschaft durch eine Cerclage signifikant verlängert. Auch die Einlage eines Cerclage-Pessars verlängert die Schwangerschaftsdauer unter diesen Umständen.
Der frühe totale Muttermundverschluss ist eine sinnvolle Maßnahme bei Frauen mit erhöhtem, anamnestischem Frühgeburtsrisiko.
Der Autor
PD Dr. Dr. med. Yves Garnier
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Klinikum Osnabrück GmbH
49076 Osnabrück
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