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Allgemeinmedizin

Tabakentwöhnung

Mehr Unterstützung beim Rauchstopp notwendig

Dr. med. Yuri Sankawa

Tabakkonsum gehört zu den größten vermeidbaren Gesundheitsrisiken weltweit und ist in den Industrienationen die führende Ursache bei vorzeitiger Sterblichkeit. Tabakrauch enthält ein Substanzgemisch aus mehr als 7 000 chemischen Verbindungen, von denen Hunderte als toxisch gelten und 70 als Karzinogene identifiziert wurden.

Knapp ein Drittel (28 %) der Deutschen konsumiert Tabak und riskiert, im Schnitt zehn Jahre früher zu versterben als die nicht rauchende Bevölkerung. Etwa 13 % der Mortalität hierzulande lässt sich mit Tabakrauchen in Zusammenhang bringen. Für die häufigsten onkologischen, kardiovaskulären und respiratorischen Erkrankungen gilt Rauchen zudem als größter vermeidbarer Risikofaktor. Eine jüngere Analyse stellte heraus, dass bestenfalls einer von fünf Rauchern in Deutschland mindestens einmal pro Jahr versucht, mit dem Rauchen aufzuhören und falls er das Vorhaben umsetzt, dann nur selten mit evidenzbasierten Methoden (13 %). Der Anteil der Entwöhnungswilligen zeigte sich verglichen mit einer früheren Umfrage von 2012 sogar wieder verringert (von 24 auf 19 %). Die meisten der evidenzbasierten Ausstiegsversuche (7 %) wurden auf Basis einer Nikotinersatztherapie (NET) vorgenommen, gefolgt von „ärztlicher Kurzberatung“ (5 %). Eine leitliniengerechte unterstützende Pharmakotherapie zur Linderung der Entzugssymptomatik wurde in Deutschland nur bei 8 % der Ausstiegswilligen durchgeführt und gar nur bei 2 % empfohlen. Zum Vergleich: In den Niederlanden (24 %) oder in England (48 %) ist hier der Anteil deutlich höher. Allerdings sind die Kosten für eine NET oder verschreibungspflichtige Pharmakotherapie in Deutschland nicht erstattungsfähig, was die niedrigen Raten für Entwöhnungsmaßnahmen sowie ärztlichen Verordnungen mit erklären dürfte. Andererseits ist Rauchen auch nicht gerade günstig, der Anteil der Raucher in einkommensschwachen Haushalten aber besonders hoch.

Rauchstoppversuche ohne unterstützende Programme oder Therapien sind oftmals frustran: Die Erfolgsquote eigenständiger Bemühungen wird mit lediglich 3–7 % über eine Dauer von sechs Monaten angegeben. Die Abstinenzraten professioneller Tabakentwöhnungsbehandlungen liegen bei 25–40 %. Die meisten Rückfälle treten zwei bis drei Monate nach dem Rauchstopp auf, d. h. nach Abklingen der körperlichen Entzugssymptomatik. Das Erreichen anhaltender Tabakabstinenz gehört zu den ohnehin am schwierigsten zu meisternden Herausforderungen in der Suchttherapie: Die Mehrheit der Aufhörwilligen benötigt mehrere Anläufe. Evidenzbasierte Maßnahmen, die gemäß der 2020 aktualisierten AWMF-S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“ zur Unterstützung des Rauchstopps dienen, reichen von Motivationsbehandlungen, Kurzinterventionen und Selbsthilfeprogrammen über psychotherapeutische Interventionen (Verhaltenstherapie) bis hin zur Pharmakotherapie, ggf. in Kombination mit einer verhaltensbezogenen Intervention (Tab. 1).

Welche Rolle spielen E-Zigaretten?

Die DEBRA-Studie förderte zutage, dass sich die elektronische Zigarette (E-Zigarette) gegenwärtig in Deutschland bei Abstinenzanwärtern wachsender Beliebtheit erfreut und als häufigstes (10 %) Hilfsmittel zur Tabakentwöhnung genannt wird. Die ­„Tabakleitlinie“ empfiehlt die E-Zigarette allerdings weder ausdrücklich als unterstützende Maßnahme zur „Harm Reduction“ noch als somatisches Therapieverfahren: Dazu wurde die Befundlage zu Wirkung und Risiken der E-Zigarette bei der Tabakentwöhnung als zu uneinheitlich angesehen.

E-Zigaretten bilden keine homogene Produktgruppe. Gemeinsam ist ihnen lediglich die verbrennungslose Verdampfung von nikotinhaltigen oder -freien Liquids unterschiedlicher Rezeptur. Als Hauptbestandteile der Flüssigkeiten gelten Propylenglykol und/oder Glycerin neben Aromen sowie ggf. Nikotin. Je nach Rezeptur variiert die Nikotinkonzentration zwischen den Produkten zum Teil erheblich. Die europäische Tabakproduktrichtlinie gibt vor, dass Liquids maximal 20 mg/ml Nikotin enthalten dürfen und auch für das maximale Füllvolumen der Nachfüllbehälter wurden limitierende Vorgaben erstellt. Die Einführung dieser Richtlinie hat möglicherweise dazu geführt, dass sich ab 2017 ein stärkerer Rückgang beim E-Zigarettenkonsum beobachten ließ. Befürworter von E-Zigaretten als Teil einer Tabakentwöhnungsstrategie gehen davon aus, dass sich mit der ­E-Zigarette die Nikotinaufnahme in Form von Zigarettenrauchen durch eine weniger gesundheitsgefährdende Nikotinquelle ersetzen und der Zigarettenkonsum wirksamer senken oder sogar ganz ersetzen lässt als durch NET wie Nikotinpflaster oder Nikotinkaugummi. Bei dualen Nutzern könnte es jedoch zu einer höheren Exposition bestimmter potenziell gesundheitsschädigender Abbauprodukte kommen als bei alleinigen Rauchern. Dies gilt auch für die Nikotinaufnahme. Derzeit gibt es keine belastbaren Daten, die für ein reduziertes Schadenspotenzial bei Dual Usern sprechen oder eine genauere Abschätzung der gesundheitlichen Langzeitrisiken erlauben – sei es in Bezug auf den Nikotingehalt oder die Schadstoffexposition in Form von Aerosolen. Im Smoking-Cessation-Report der US-Gesundheitsbehörde PHS (United States Public Health Service) von 2020 wird darauf verwiesen, dass derzeit weder hinreichende Evidenz dafür vorliegt, dass der (vermehrte) Gebrauch von E-Zigaretten die Chancen auf Tabakabstinenz erhöht, noch nikotinreduzierte E-Zigaretten die Nikotinabhängigkeit verringern oder sich die Aussichten auf selteneres Tabakrauchen erhöhen.


Mehr Aufhörwillige im Zuge der Pandemie

Die Liste der rationalen Ausstiegsargumente aus dem Tabakkonsum ist lang: Sie reicht von reduzierten Krebsrisiken für Lunge, Mundhöhle und Larynx, Magen-Darm-Trakt, Blase, Zervix oder Nieren über ein vermindertes Risiko, Atherosklerose-assoziierte kardiovaskuläre Erkrankungen oder einen weniger progredienten Verlauf einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) zu entwickeln bis hin zur Aussicht, bei entsprechenden Vorerkrankungen die Mortalität und Rückfallrate abzusenken. Überdies besteht die Evidenz-begründete Aussicht auf ein verbessertes Wohlbefinden, eine höhere Lebensqualität und eine verlängerte Lebenserwartung – neben relevanten Kostenreduktionen, die sowohl den Ex-Raucher selbst als auch die Gesellschaft und das Gesundheitssystem betreffen. In der Realität werden als Anlass für Aufhörversuche oftmals körperliche oder gesundheitliche Veränderungen sowie soziale und gesellschaftliche Auslöser genannt.

Aktuell scheint auch die COVID-19-Pandemie zu vermehrten Ausstiegsversuchen motiviert zu haben. Einer Studie aus England zufolge zeigten sich Raucher während des COVID-19-bedingten Lockdowns im März 2020 eher angehalten, mit dem Rauchen aufzuhören: Die Raucher-Prävalenz sank gegenüber dem Vorjahr (von 17 auf 15,9 %), während die Anzahl der Ausstiegsversuche (von 29,1 auf 39,6 %) und die Erfolgsrate beim Aufhören offenbar zunahmen (13,9 auf 21,3 %).


Zigarettenrauch und COVID-19-Outcomes

Welche Rolle Tabakrauch aus wissenschaftlicher Perspektive bei einer SARS-CoV-2-Infektion spielt, ist nicht abschließend geklärt. So wurden länderübergreifend epidemiologische Daten veröffentlicht, die für vergleichsweise niedrige Raucherraten bei Patienten sprechen, die mit einer SARS-CoV-2-bedingten Pneumonie stationär behandelt wurden. Als Erklärungsversuch wurde z. B. eine geringere ACE2-Rezeptordichte im Bronchial- und Alveolarepithel herangezogen, wie sie bei Zigarettenrauch-exponierten Mäusen beobachtbar sein soll, oder eine in vitro festgestellte Hemmung der SARS-CoV-2-Replikation unter Zigarettenrauchexposition. Eine andere Studie hingegen kam zu dem Ergebnis, dass Zigarettenrauch die Sensitivität gegenüber einer SARS-CoV-2-­Infektion in der Mundhöhle eher verstärken könnte. Zudem gibt es Studien, denen zufolge sich eine Zunahme von ACE2-exprimierenden oralen Zellen unter Zigarettenrauchexposition beobachten ließ und die Infektionsanfälligkeit folglich bei Rauchern erhöht sein könnte. Eine registerbasierte Analyse aus Cleveland/Ohio (USA), die im Mai 2021 publiziert wurde, hat erstmals den kumulativen Effekt untersucht, den Rauchen über die Zeit auf den COVID-19-Outcome haben könnte. Dabei wurde eine Dosis-Antwort-Beziehung zwischen Packungsjahren und ungünstigen COVID-19-Verläufen festgestellt. Patienten mir mehr als 30 Packungsjahren hatten 2,5-fach höhere Odds für Hospitalisierung und ein fast doppelt so hohes Risiko, im Zuge einer COVID-19-Diagnose zu versterben als Niemals-Raucher. Die Autoren gaben zu bedenken, dass sich ein Teil des erhöhten Risikos wahrscheinlich auch auf die erhöhte Komorbidität (z. B. COPD, Asthma, Diabetes mellitus, Hypertonie, koro­nare Herzkrankheit, Krebs) von Vielrauchern zurückführen lässt. Der aktuelle Raucherstatus (ehemaliger oder aktueller Raucher) zeigte keine merklichen Effekte auf den Outcome.

DAS EXPERTENSTATEMENT

Prof. Dr. med. Steffen Andreas
Chefarzt/Ärztlicher Leiter Lungenfachklinik Immenhausen
Pneumologische Lehrklinik der Universitätsmedizin Göttingen

sandreas@lungenfachklinik-immenhausen.de

Tabakentwöhnung erstatten

Für das deutsche Positionspapier „COVID-19 und Rauchen“ haben wir einen Review* durchgeführt, der zeigt, dass Raucher schwerere COVID-19-­Verläufe und eine höhere Sterblichkeit haben. Sie sollten daher über die besonderen Risiken informiert werden und gerade in Pandemiezeiten einen barrierefreien Zugang zu Maßnahmen erhalten, die das Erreichen von Tabakabstinenz zum Ziel haben. Hierzu erscheint es unerlässlich, dass die Kosten für evidenzbasierte Methoden der ­Tabakentwöhnung von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden.“

*Aus dem Positionspapier der Task Force Tabakentwöhnung der DGP: Raspe M et al., Pneumologie 2021; 75: 846–855

Literatur bei der Autorin

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