Progesteron wird in der gynäkologischen Endokrinologie zu verschiedenen Zwecken therapeutisch eingesetzt. Die Zulassung im Zuge einer assistierten Reproduktionstherapie (ART) macht Progesteron auch zu einem wichtigen Therapeutikum in der Kinderwunschbehandlung. Doch wer darf es wann und wie lange verordnen? Um diese Frage zu diskutieren, holte DER PRIVATARZT GYNÄKOLOGIE Frauenärzte, Reproduktionsmediziner, Medizinjuristen und Vertreter von Kassen und KV an einen virtuellen Tisch.
Progesteron ist das wichtigste weibliche Geschlechtshormon während der Lutealphase, die durch Umwandlung des dominanten Follikels zum Corpus luteum nach Freisetzung der Eizelle bei der Ovulation charakterisiert ist. Die Freisetzung bewirkt die für die Nidation benötigte Modifikation des proliferierten Endometriums (Lamina functionalis) sowie eine Anpassung der Uterusmuskulatur an den wachsenden Embryo.
Durch die vielfältigen Wirkungsansätze und Applikationsformen ist es jedoch selbst für endokrinologisch versierte Gynäkologen nicht immer einfach, auf dem aktuellen Stand zu sein. Bis jede Neuzulassung im therapeutischen Spektrum der behandelnden Frauenärzte angekommen ist, vergehen mitunter Jahre.
Dadurch entstehen Unsicherheiten bei den Verordnern. Um das Thema ausführlich von allen Seiten zu beleuchten, hat DER PRIVATARZT GYNÄKOLOGIE Anfang Dezember 2020 verschiedene Experten zu einem virtuellen Roundtable-Gespräch eingeladen:
• PD Dr. med. Dolores Foth, MVZ PAN Institut Interdisziplinäres Kinderwunschzentrum
• Dr. med. Marc Schmidt, niedergelassener Frauenarzt
• Sophie Schwab, Leiterin Landesvertretung Bayern, DAK-Gesundheit
• Dr. med. Michael Viapiano, Geschäftsbereichsleiter, KV Baden-Württemberg
• Dr. jur. Gerhard Nitz, FA für Medizinrecht, Kanzlei Geiger Nitz Daunderer
Nach kontrollierter ovarieller Stimulation im Zuge assistierter Reproduktionsverfahren ist grundsätzlich von einer eingeschränkten Qualität der zweiten Zyklushälfte auszugehen [1]. Dieser Effekt ist unabhängig von der Vorgeschichte der Patientin und in erster Linie auf die supraphysiologischen Hormonspiegel während der Stimulationsbehandlung zurückzuführen [2].
Daher ist die regelmäßige Substitution der Lutealphase nach assistierter Reproduktion durch vaginal appliziertes Progesteron schon lange klinischer Alltag und wird auch von der European Society of Human Reproduction and Embryology empfohlen, wie PD Dr. Foth betonte. Die Lutealphasensubstitution verbessert die Schwangerschaftsrate signifikant [3].
Auch bei der Lutealphasensubstitution nach kontrollierter ovarieller Stimulation hat sich die vaginale Applikation weltweit durchgesetzt, sagte Dr. Marc Schmidt. Vaginal appliziertes Progesteron wird im Uterus angereichert und führt trotz im Vergleich niedrigen Serumkonzentrationen zu einer guten sekretorischen Umwandlung des Endometriums. Sie ist vergleichbar effektiv, was die Schwangerschaftsraten betrifft [4].
Leistungen der künstlichen Befruchtung tragen gesetzliche Krankenkassen nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 27a SGB V. Insbesondere gilt, dass die durchführende Einrichtung eine Genehmigung nach § 121a SGB V haben muss. Zur Unterstützung der Lutealphase erforderliche Medikamente verordnet die nach § 121a SGB V ermächtigte Einrichtung auf der Grundlage des von der Krankenkasse genehmigten Behandlungsplans.
Die Kosten der gesamten Behandlung werden von den Krankenkassen zu 50 % übernommen, sofern nicht aufgrund der Satzung der Krankenkasse ein größerer Teil der Kosten übernommen wird. In der Regel gilt die 50/50-Regelung auch für die durch das IVF-Zentrum anfallenden Arzneimittelkosten, ohne weitere Zuzahlung oder Mehrkosten für die Patientin. Auf der jeweiligen Verordnung wird die Sonder-PZN gedruckt sowie das Zuzahlungsfeld mit einer „0“ versehen. Darüber hinaus werden 50 % des Arzneimittelpreises aufgedruckt. Bei fehlerhaften oder nicht vollständig ausgefüllten Rezepten kommt es zur Kontaktaufnahme durch die Apotheke und entsprechender Rücksprache.
Während der Einsatz von Progesteron bis zur Feststellung der Schwangerschaft also weitgehend unstrittig ist, ist die Zulassungslage der verschiedenen Präparate heterogen. Im Selbstzahlerbereich – also bspw. in Kryozyklen oder bei unverheirateten Paaren – ist die Entscheidung rein medizinisch getriggert. Ansonsten müssen natürlich die Rahmenbedingungen der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) eingehalten werden, das heißt: nur explizit für diese Indikation zugelassene Präparate sind erstattungsfähig und dürfen in den Behandlungsplan aufgenommen werden. „Die subjektive Evidenz für Progesteron ist gut, viele Ärzte haben gute Erfahrungen damit gemacht. Aber als Kasse brauchen wir objektive Evidenz, die in Zulassungsstudien erbracht wird“, führte Sophie Schwab dazu aus und ergänzte: „Dazu verpflichtet uns das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zum Off-Label-Use.“
Das Bundessozialgericht hatte in einem Verfahren zum Einsatz des in der Onkologie zugelassenen und günstigen Angiogenesehemmers Bevacizumab in der Ophthalmologie entschieden, dass Patienten Anspruch auf ein für die Anwendung im Auge zugelassenes Präparat haben, auch wenn dieses teurer ist. Die Zulassung ist entscheidend. Seit Juli 2018 gibt es in Deutschland Progesteron-Weichkapseln zur vaginalen Anwendung, die zur Lutealphasenunterstützung im Zuge einer Kinderwunschbehandlung zugelassen sind. Dadurch vereinfacht sich die Anwendung in der Praxis.
Aus juristischer Sicht formulierte Dr. Gerhard Nitz fünf Fragen, die man sich vor der Verordnung stellen sollte:
1. Verordne ich Progesteron?
2. Wenn ja, für wie lange verordne ich es?
3. Aus der Dauer ergibt sich die Wahl des Präparates – je nach Dauer der Zulassung
4. Wer verordnet?
5. Wer zahlt? In label ist die Verordnung immer erstattungsfähig
Die Einleitung der Progesteron-Behandlung erfolgt durch das Kinderwunschzentrum. Die Verordnung eines zugelassenen Arzneimittels, das auch patientenindividuell dem Standard entspricht, wirft hier keine besonderen Rechtsfragen auf. Die Vergütung erfolgt, wie oben dargelegt, auf der Grundlage des von der Krankenkasse genehmigten Behandlungsplans.
Mit Feststellung der Schwangerschaft geht es indessen nicht mehr um die Herbeiführung einer Schwangerschaft im Sinne der Sonderregelungen zur künstlichen Befruchtung in § 27a SGB V. Vielmehr geht es nun um eine Maßnahme während der Schwangerschaft. Hier sind § 24e SGB V für die Arzneimittelversorgung während der Schwangerschaft und § 27 SGB V für die allgemeine Krankenbehandlung die maßgeblichen Rechtsgrundlagen. Konsequenz der geänderten Rechtsgrundlage ist, dass die Kosten der Arzneitherapie nunmehr nicht nur zu 50 %, sondern zu 100 % von den Krankenkassen erstattet werden. Das gilt auch für Frauen, die durch einen Kryozyklus schwanger wurden. Dort werden die Kosten von der GKV ansonsten nicht erstattet.
Praktisch heißt das: Die schwangere Patientin wird anschließend von ihrer Frauenarztpraxis weiter betreut, die selbst über die Fortführung der Progesteron-Verordnung entscheidet. Und hier hält sich bei vielen Frauenärzten hartnäckig die Angst vor einem Regress. Grundlos, wie Dr. Michael Viapiano ausführte: „Die Kinderwunschbehandlung gehört zum exRW-Bereich – das sind die Indikationen, die außerhalb der Richtwerte beurteilt werden. Diese Präparate sind nicht Gegenstand einer Auffälligkeitsprüfung, müssen aber zulassungskonform verordnet werden.“ Dies ist das Vorgehen der KV Baden-Württemberg. Der Redaktion ist aktuell keine KV bekannt, bei der Progesteron Gegenstand einer Auffälligkeitsprüfung wäre.
Zusammengefasst lässt sich die Meinung der Experten wie folgt darstellen: Für die Unterstützung der Lutealphase zugelassene Präparate können patientenindividuell eingesetzt werden. Die Behandlung sollte auch nach Feststellung der Schwangerschaft fortgeführt werden, wenn dies die Fachinformation vorsieht – bei utrogest® Luteal z. B. bis zur 12. Schwangerschaftswoche (SSW). Entstand die Schwangerschaft auf Basis assistierter Reproduktionstechnologien, handelt es sich nicht um eine Off-Label-Anwendung, sondern um eine erstattungsfähige In-Label-Verordnung durch einen niedergelassenen Gynäkologen auf Kassenrezept nach Feststellung der Schwangerschaft. Red.
FAZIT:
Die Anwendung von Progesteron als intravaginale Weichkapsel ist seit der Zulassung im Juni 2018 umfänglich geklärt: Therapieinitiierend im Zuge der assistierten Reproduktionstherapie innerhalb eines IVF-Zentrums. Nach Feststellung der Schwangerschaft weiterführend bis zur 12. SSW durch einen Vertragsarzt ohne spezielle Genehmigung zur Durchführung künstlicher Befruchtungen. Progesteron muss dabei nicht off label verordnet werden, weil es zugelassene Arzneimittel gibt. Deren Kosten tragen die Krankenkassen.
1 Edwards RG et al., Br J Obstet Gynaecol 1980; 87: 737–756
2 Fauser BC et al., Trends Endocrinol Metab 2003; 14: 236–242
3 Linden M van der et al., Cochrane Database Syst Rev 2015: CD009154
4 Haas DM et al., Cochrane Database Syst Rev 2018: CD003511
Bildnachweis: privat