Die neuen Empfehlungen des 2022 veröffentlichten Leitlinien-Updates zur Urtikaria zeigen eine klare und vereinfachte Struktur für das Management dieser Erkrankung. Und auch die Ausblicke auf die therapeutische Zukunft sind rosig. Eine Erkrankung im Wandel der Wahrnehmung.
Die Urtikaria ist charakterisiert durch die Entstehung von Quaddeln oder Angioödemen oder beidem. Sie muss von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen, z. B. Anaphylaxie, Autoinflammationssyndrome, Urtikaria-Vaskulitis oder bradykininvermittelte Angioödeme einschließlich des hereditären Angioödems (HAE), abgegrenzt werden.
Quaddeln zeigen sich als umschriebene, oberflächliche Schwellung variabler Größe und Form, meist mit umgebendem Reflexerythem. Juckreiz und brennende Missempfindungen sind die Regel, die Dauer beträgt 30 Minuten bis 24 Stunden.
Das Angioödem ist durch eine plötzliche, rötliche oder hautfarbene Schwellung in der unteren Dermis und Subkutis oder der Schleimhaut charakterisiert. Der Juckreiz steht im Hintergrund, es dominieren brennende, kribbelnde, manchmal schmerzende Missempfindungen und Spannungsgefühle, oft über einige Tage.
Die Urtikaria kann akut (< 6 Wochen) oder chronisch (> 6 Wochen) auftreten, außerdem „spontan“ oder „induzierbar“ (z. B. durch Kälte, UV-Strahlung oder cholinergisch bedingt). Durch Beeinträchtigung der objektiven Funktionsfähigkeit wie auch des subjektiven Wohlbefindens ist die Lebensqualität ähnlich eingeschränkt wie bei der koronaren Herzkrankheit.
Diagnostik
In der Regel ist die Urtikaria eine Blickdiagnose. Für die Anamnese eignen sich Fragebögen, erhoben werden sollten Begleitsymptome und alle Begebenheiten im zeitlichen Zusammenhang mit den Quaddelschüben, wie Fieber, Schmerzen, Krankheitsgefühl, Nahrungsmittel, Medikamente, Anstrengung, Sonne, Temperatur, Reibung, Stress, Aufenthaltsorte.
Schwellungen sollten explizit erfragt werden, da die Betroffenen sie oft nicht der Urtikaria zuschreiben.
Bei akuten Formen ist keine weitere Diagnostik erforderlich, zur Basisuntersuchung bei chronischer spontaner Urtikaria (csU) gehören die Bestimmung von Differenzialblutbild und CRP/BSG, in der spezialisierten Versorgung auch von Gesamt-IgE und IgG-Anti-TPO sowie ggf. weiterer Biomarker zur Unterscheidung der zwei Autoimmunitätsformen bei csU. Die induzierbaren Formen der chronischen Urtikaria (CindU) werden durch Provokationen (mit Schwellenwertbestimmungen) spezifiziert.
Therapie
Für die Bestimmung der Krankheitsaktivität stehen validierte Fragebögen wie der Urtikaria(UAS)- oder Angioödem(AAS)-Aktivitätsscore zum Ausfüllen durch die Patienten zur Verfügung. In der Praxis/Klinik werden der Urtikaria-Kontrolltest (UCT) und der Angioödem-Kontrolltest (AECT) verwendet. Ziel der Behandlung ist eine komplette Kontrolle der Erkrankung (UAS-7 = 0 bzw. UCT = 16). Erreicht wird dies durch Detektion und Meiden von Auslösern, Toleranzinduktion (bei CindU) und symptomatische pharmakologische Therapie (Abb.).
Begonnen wird mit der kontinuierlichen Gabe von H1-Antihistaminika der 2. Generation, die off-label auf die 4-fache tägliche Menge gesteigert werden können. Die Kombination verschiedener Präparate und die Gabe von H1-Antihistaminika der 1. Generation sollten vermieden werden. Auf der 3. Stufe kann zusätzlich der Anti-IgE-Antikörper Omalizumab gegeben werden (300 mg s. c. alle 4 Wochen, off-label auf 600 mg alle 2 Wochen steigerbar), der auch in der Langzeitbehandlung wirksam und sicher ist. Bei unzureichender Wirksamkeit stellt Ciclosporin A die Ultima Ratio dar (off-label). Bei Patienten mit arteriellem Hypertonus oder Nierenerkrankung ist die Indikation für Ciclosporin A sehr zurückhaltend zu stellen.
Für Leukotrien-Antagonisten gibt es nur eine geringe Evidenz, topische Steroide zeigen fast keine Wirkung, auf systemische Steroide sollte wegen der Nebenwirkungen zumindest mittel- und langfristig verzichtet werden [1]. Bei Kindern und Jugendlichen müssen altersbedingte Zulassungen und eine Gewichtsadaptation bei den Dosierungen berücksichtigt werden. Mit den derzeit in der Entwicklung befindlichen Therapieoptionen werden Mastzellen entweder gehemmt (Brutons‘-Tyrosinkinase[BTK]-Inhibitoren) oder ihre Anzahl reduziert (Anti-KIT-Antikörper). Damit könnten dann auch die mit dem bisherigen Therapieschema eher unterdurchschnittlich gut behandelbaren Formen der csU wie der Typ IIb besser kontrolliert werden, ebenso die induzierbaren Urtikaria-Formen.
Der Autor
Dr. med. Andreas Kleinheinz
Facharzt für Dermatologie und Venerologie
Chefarzt der Klinik für Dermatologie und Ärztlicher Direktor Allergiezentrum, Dermatologisches Zentrum Buxtehude
1 Elsner P et al., Aktuelle Dermatologie 2020; 46: 532–540
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