ESC-Leitlinie und TAVI-Einsatz +++ Digitalisierung in der Kardiologie: Wearables und Telemedizin +++ Interkonventionelle Kardiologie +++ Vorteile der Ablation bei Vorhofflimmern +++ Vorhofflimmern mit ACS / PCS: Tripeltherapie versus Dualtherapie
Bei der neuen mit Spannung erwarteten Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) „zum Management von Herzklappenerkrankungen“ ist es sehr erfreulich, so Prof. Dr. med. Helge Möllmann (Dortmund), dass den interventionellen Verfahren zur Behandlung der Aortenklappenstenose sowie der Mitral- und Trikuspidalklappeninsuffizienz mehr Bedeutung zugemessen wird und die entsprechenden Studiendaten hinreichend berücksichtigt wurden. Die vor Kurzem publizierte Leitlinie zieht die Alterslinie für bzw. gegen eines Einsatzes TAVI zwar genau bei 75 Jahren, was aber wohl die in Deutschland übliche Praxis nicht ändern wird, den Eingriff auch bei Patienten zwischen 70 und 75 Jahren durchzuführen, so der Kardiologe.
In der Kardiologie werden Wearables (am Körper tragbare Computersysteme) vor allem zur Detektion von Arrhythmien eingesetzt, erläuterte Dr. med. Norbert Smetak (Kirchheim), neben professioneller Medizintechnik auch in smarten Alltagsgeräten (z. B. Uhren mit Herzfrequenzaufzeichnung). Manche der nicht medizinischen Geräte können etwa Vorhofflimmern recht genau detektieren. Wearable-Elektrokardiogramme (EKG) sind teilweise in der Lage, die diagnostische Lücke hinsichtlich Herzrhythmusstörungen zu schließen, die beim konventionellen EKG-basierten Screening besteht.
Zu einem zentralen Thema der digitalen Kardiologie avanciert die Telemedizin, betonte Smetak, die durch einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) weiteren Vorschub bekommen hat (17.12.2020: „Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung: Telemonitoring bei Herzinsuffizienz“). Damit soll eine regelhafte telemedizinische Betreuung von herzinsuffizienten Patienten ermöglicht werden, da dies in Studien eine eindeutige Senkung der Mortalität und der Häufigkeit der Hospitalisierung zur Folge hatte. Die Verhandlungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) bezüglich Qualitätskriterien für die Zentren und der Vergütung stehen jedoch noch aus.
Im Bereich der interventionellen Kardiologie konnten 2021 zwei Studien wichtige Hinweise liefern, erläuterte Prof. Dr. med. Helge Möllmann (Dortmund). Zum einen die TOMAHAWK-Studie, die bestätigt, dass eine Koronarangiografie bei Patienten mit Herzstillstand direkt nach ihrer Krankenhauseinlieferung keinen Vorteil hat. Dazu wurden Daten von 530 Patienten ausgewertet, die bei Krankenhauseinweisung entweder sofort und ohne weitere diagnostische Maßnahmen oder erst später bzw. selektiv einer Koronarangiografie zugeführt worden waren. Bei der 30-Tage-Mortalität zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Möllmann ist sicher, dass „dies das künftige Vorgehen in solchen Fällen dahingehend beeinflussen wird, nicht immer direkt eine Angiografie durchzuführen bzw. ihr nicht die oberste Priorität einzuräumen“.
Die ENVISAGE-TAVI-HF-Studie trug hingegen zur Klärung der Frage, welche Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern nach kathetergesteuerter Aortenklappenimplantation (TAVI) am besten ist, bei. Verglichen wurde der Einsatz des direkten oralen Antikoagulans (NOAK) Edoxaban mit dem eines Vitamin-K-Antagonisten (VKA). Die Fragestellung konnte allerdings nicht eindeutig geklärt werden, bedauerte Möllmann. Zwar gab es keinen Wirksamkeitsunterschied zwischen den Therapieregimen, unter dem NOAK traten aber signifikant häufiger schwerwiegende Blutungsereignisse auf (9,7 % vs. 7,0 % pro Jahr). Gerade vorgelegte Subgruppenanalysen zeigen aber ergänzend, dass zumindest Patienten ohne begleitende Plättchenhemmung unter Edoxaban keine häufigeren Blutungsereignisse bekamen.
Ein besonderes Anliegen war Möllmann die bundesweit verpflichtende Einführung von Unterricht in Wiederbelebung, damit künftig viel mehr Menschen anderen mit Herzstillstand das Leben retten können.
Auch aus rhythmologischer Sicht bot der DGK-Kongress neue Einsichten, so Prof. Dr. med. Isabel Deisenhofer (München) und hob die überragende Bedeutung einer frühen Behandlung bei Vorhofflimmern (VHF) hervor. Die aus ihrer Sicht bemerkenswerte EAST-Studie zeigt anhand harter Endpunkte wie Tod und Schlaganfall deutlich, dass es klare Vorteile für die Prognose hat, wenn nicht nur eine reine Frequenzkontrolle, z. B. mittels medikamentöser Behandlung, angestrebt wird, sondern ganz konsequent und hartnäckig versucht wird, wieder einen Sinusrhythmus herzustellen. Dies entspricht nach Ansicht von Deisenhofer einem Paradigmenwechsel in der Rhythmologie, auch wenn es ein Denkfehler sei, sich alleine auf symptomatische VHF-Patienten zu beziehen („die Symptome bestimmen nicht die Mortalität!“).
Bei symptomatischen VHF ist Ablation die Therapie der ersten Wahl. Das schlägt sich jetzt auch in den ESC-Leitlinien so nieder, so Deisenhofer. Zwei neue US-Studien aus dem vergangenen Jahr zeigen zudem, dass auch bei erst kürzlich neu aufgetretenem Vorhofflimmern eine Ablation signifikant erfolgreicher ist als Antiarrhythmika. Besonders profitieren jüngere Patienten mit (noch) paroxysmalem Vorhofflimmern von der Ablation. Doch auch im hohen Lebensalter und schon lange bestehendem persistierendem Vorhofflimmern können Patienten von einer Ablation profitieren, zumal nach neuester Datenlage klar ist, dass das Risiko des Eingriffs sehr niedrig ist.
Hinsichtlich Herzinsuffizienzpatienten mit VHF zeigen Subgruppenanalysen der CABANA-Studie und der CASTLE-AF-Studie die Vorteile der Ablation, etwa die signifikante Senkung von Mortalität oder Rehospitalisierungsrate im Vergleich zur medikamentösen Therapie. Dass die Pandemie sich insbesondere auf Patienten mit Rhythmusstörungen auswirkte, weil rhythmologische Behandlungen als elektive Interventionen häufig hintangestellt wurden, bemängelte Deisenhofer. Angesichts der aktuellen Studienergebnisse muss solchen Entwicklungen deutlich entgegengetreten werden, kritisierte sie, da „es bei diesen Patienten eben nicht ‚nur‘ um Lebensqualität geht, sondern um das Überleben“.
Kann bei Patienten mit Vorhofflimmern (VHF), akutem Koronarsyndrom (ACS) sowie elektiver Stentimplantation (PCI) auf eine Tripeltherapie mit einem Gerinnungs- und zwei Plättchenhemmern zugunsten einer Dualtherapie verzichtet werden? Auskunft gibt dazu die vierarmige AUGUSTUS-Studie.
Die AUGUSTUS-Studie belegt, so Prof. Dr. med. Wolfgang Schöls (Duisburg), dass das direkte orale Antikoagulans (NOAK) Apixaban beim primären Studienendpunkt „schwere oder klinisch relevante nicht schwere (CRNM)-Blutungen“ signifikant besser abschneidet als ein Vitamin-K-Antagonist (VKA) – unabhängig von der zusätzlichen Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS). Die Auswirkungen von ASS auf den primären Endpunkt zeigten wiederum, dass es ohne ASS deutlich weniger Blutungen gibt – unabhängig von dem NOAK oder VKA. Am höchsten war das Blutungsrisiko unter VKA-Tripeltherapie, am geringsten bei der Apixaban-Dualtherapie.
Bei präspezifizierten Subgruppenanalysen (beispielsweise Patienten mit vorausgegangener OAK-Therapie, Diabetes, begleitende P2Y12-Hemmer) waren die Ergebnisse bezüglich schwerer und CRNM-Blutungen über alle Subgruppen hinweg konsistent, berichtete Schöls. Der ESC-Leitlinien-Algorithmus für die antithrombotische Therapie bei VHF-Patienten mit ACS ohne ST-Hebung (NSTE), die sich einer PCI unterziehen oder medikamentös behandelt werden, liefert klare Empfehlungen: Tripeltherapie für etwa eine Woche, dann (je nach Risiko) bis zu zwölf Monaten eine duale Therapie mit einem NOAK und einem Plättchenhemmer (vorzugsweise Clopidogrel) und anschließend nur noch ein NOAK. Danach gilt es, die Therapie nach den individuellen Risiken der Patienten abzuwägen. Für andere VHF-Patientengruppen, z. B. mit nicht interventionell behandeltem ACS, wird von Anfang an eine Zweifachtherapie für bis zu sechs ggf. zwölf Monaten empfohlen. Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit und einer Intervention sollten eine Tripeltherapie für eine Woche und die duale Therapie normalerweise für sechs Monate bekommen. Zur Risikoabwägung sind Risiko-Scores anzuwenden (GRACE-Score – ischämisches Risiko, HAS-BLED-Score – Blutungsrisiko).
Ergebnisse konsistent auch ohne PCI-Intervention
Prof. Dr. med. Henning Ebelt (Erfurt) stellte fest, dass diese Ergebnisse auch bei der Subgruppe mit ACS-Patienten, bei denen keine PCI durchgeführt werden kann, konsistent sind. Eine antithrombotische Behandlung mit Apixaban ohne ASS zeigte bei VHF-Patienten mit ACS bei einer nur medikamentösen Behandlung eine überlegene Verträglichkeit und eine vergleichbare Wirksamkeit wie ein Behandlungsregime mit VKA, ASS oder derer Kombination. Dementsprechend sollte die Antikoagulation mit Apixaban – in der vollen zur Schlaganfallprophylaxe bei VHF-Patienten zugelassenen Dosierung – kombiniert mit einem P2Y12-Inhibitor ohne ASS in Betracht gezogen werden.
Symposium „Vorhofflimmern und ACS/PCI: Was haben wir aus den Studien gelernt?“ (Veranstalter: Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA sowie Pfizer Deutschland GmbH)