Dass schon moderat erhöhte Blutdruckwerte gesundheitliche Risiken bergen, berücksichtigt die ESC in den neuen Leitlinien zur Hypertonie. Bei der Identifizierung von Risikopatienten kann die Pulswellenanalyse helfen.
Die European Society of Cardiology (ESC) führte in der diesjährig aktualisierten Leitlinie zur Hypertonie die Kategorie „erhöhter Blutdruck“ (120–139/70–89 mmHg) ein [1]. Während bei der Hypertonie (≥ 140 mmHg) sofort eine Pharmakotherapie eingeleitet werden soll, ist bei erhöhtem Blutdruck eine Risikoabschätzung in 4 Schritten (risikoerhöhende Krankheiten, 10-Jahres-Risiko, modifizierende Risikofaktoren, weitere Untersuchungen notwendg?) empfohlen, wonach jeweils über die Einleitung einer medikamentösen Behandlung entschieden wird.
Darüber hinaus setzte die ESC den Zielblutdruck auf systolisch 120–129 mmHg statt 140 mmHg fest. Dieser soll bei (fast) allen Personen innerhalb von 3 Monaten mit nicht medikamentösen oder medikamentösen Maßnahmen erreicht werden [1]. Gerade bei Älteren und Gebrechlichen gilt aber das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable).
Mit dem tieferen Zielblutdruck und der neuen Kategorie reagierte die ESC auf Studiendaten, denen zufolge eine intensivere Blutdrucksenkung kardiovaskuläre Outcomes deutlich reduzieren kann.
Es reicht jedoch nicht immer aus, „nur“ den Blutdruck zu messen: Vor allem bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten bzw. solchen mit gerade noch tolerablen Blutdruckwerten können differenzierte Untersuchungen zur Identifikation von kardiovaskulären Risikofaktoren sinnvoll sein. Hilfreich kann hier die Pulswellenanalyse (PWA) sein.
Rolle der Pulswellenanalyse
Die Pulswellengeschwindigkeit (PWV) ist ein wichtiger Biomarker der arteriellen Gefäßelastizität bzw. -steifigkeit sowie ein starker unabhängiger Prädiktor von Morbidität und Mortalität. Die Gefäßsteifigkeit nimmt mit dem Alter zu, unterliegt aber auch Risikofaktoren wie dem Blutdruck [2].
Die PWA ermöglicht zudem u. a. die Ableitung der „Augmentation” des Blutdrucks, d. h. einer übersteigerten reflektierten Welle mit Erhöhung des systolischen Blutdrucks bei erhöhter Gefäßsteifigkeit sowie die Berechnung des aortalen Blutdrucks und gewährt damit Einblicke in das Ausmaß der arteriellen Schädigung [2].
Der zentrale aortale Blutdruck gilt hinsichtlich Risikostratifikation und antihypertensiver Therapie als aussagekräftiger als der brachiale. So gelingt es, mittels PWA z. B. die gutartige juvenile systolische Hypertonie mit erhöhtem brachialen Blutdruck, aber normalem bzw. niedrigem aortalen Blutdruck, von der therapiebedürftigen isolierten systolischen Hypertonie im Alter mit erhöhter Augmentation und erhöhtem zentralen aortalen Blutdruck zu differenzieren oder bei normalen brachialen Blutdruckwerten eine „maskierte“ Hypertonie mit erhöhtem zentralen Blutdruck zu erkennen [2].
Die Messung des zentralen aortalen Blutdrucks erlaubt also die frühzeitige Identifikation von Herz-Kreislauf-Risiken. Bei der Wahl der Antihypertensiva ist zu beachten, dass nicht alle, die den brachialen Blutdruck senken, dies auch beim zentralen aortalen Blutdruck bewirken. Dies gilt insbesondere für die „alten“ Betablocker vom Typ Atenolol. Den stärksten Effekt auf den aortalen Blutdruck haben Nitrate und Calciumantagonisten und etwas schwächer ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blocker [3]. Auch der Betablocker Nebivolol zeigt einen überlegenen Effekt auf die zentrale Hämodynamik [3].
Effektiv scheint somit eine Therapie, die auch auf den zentralen Blutwert als Zielparameter zielt, und so ordnet Prof. Dr. med. Martin Middeke (München) die Messung des zentralen aortalen Blutdrucks auch als Schlüssel für die personalisierte Therapie ein.
Die neue ESC-Leitlinie und die Nutzung der Pulswellenanalyse bieten Ärztinnen und Ärzten eine moderne und präzise Möglichkeit, Individuen mit Bluthochdruck zu identifizieren und einer geeigneten Therapie zuzuführen. Damit einher geht eine verbesserte Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.