In Deutschland liegt die Schwelle für den Beginn einer Statintherapie zur Reduktion kardiovaskulärer Risiken recht hoch. Dressel A et al. evaluieren, dass eine Anpassung der Therapieschwelle an internationale Standards früheren Schutz ermöglicht und den langfristigen gesundheitlichen Nutzen maximiert – ohne Kostenexplosion.
Die Senkung von LDL-Cholesterin mittels Statinen gilt als etablierte Methode, um die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse zu reduzieren – selbst bei klinisch gesunden, asymptomatischen Personen. In Deutschland ist es aber bisher nicht möglich, das Potenzial einer Statintherapie in Fällen mit moderatem kardiovaskulärem Risiko auszuschöpfen, da nach Anhang III der medizinischen Direktive Nr. 35 des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die Schwelle für den Beginn einer Therapie mit cholesterinsenkenden Medikamenten in der Primärprävention bei einem 20%igen Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse innerhalb eines Zeitraums von 10 oder mehr Jahren liegt.
Internationale Leitlinien halten jedoch eine Risikogrenze für den Einsatz von Statinen klar unterhalb von 20 % für sinnvoll. Das American College of Cardiology (ACC) und die American Heart Association (AHA) plädieren für eine Statintherapie in moderater Dosis ab einem Risiko von 7,5 %. Und das National Institute for Health and Care Exellence (NICE) empfielt beispielsweise 20 mg Atorvastatin täglich ab einem Risiko von 10 % in 10 Jahren (kalkuliert nach dem QRISK3-Algorithmus).
Vor diesem Hintergrund initiierte der G-BA Ende Juni 2024 ein Stellungnahmeverfahren zum Anhang III der medizinischen Direktive Nr. 35, um die festgelegte Risikoschwelle von 20 % in 10 Jahren zu überprüfen.
Verlängerung der Lebensspanne
Dressel A et al. untersuchten daraufhin die Effekte von verschiedenen Risikoschwellen bei der Nutzung von Statinen auf die Langzeitprognose in der deutschen Bevölkerung. Mittels Markov-Modellen simulierten sie Raten kardiovaskulärer Ereignisse bei Risiken von 7,5 %, 10 % und 15 % über 10 Jahre. Zugleich assoziierten sie die jeweiligen Kosten.
Bei 25-jährigen Personen mit einem Risiko von 7,5 % in 10 Jahren ergab sich eine lebenslange Risikoreduktion von 30 % unter einem Statin, was zu 5,19 gewonnenen Lebensjahren (QALY) führt. Pro QALY müssen 410 Euro investiert werden. Dem Szenario lag zugrunde, dass etwa 23 % der Bevölkerung im Alter von 25 und älter ein Risiko von 7,5 % und mehr haben; 77 % der Bevölkerung würden demnach keine Statintherapie erhalten. Der Anteil derjenigen, die sie erhalten, würde erst unter 10 % sinken, wenn der Behandlungsbeginn ab einem Alter von 70 Jahren startet.
Bei einer Risikoschwelle von 10 % steigt bei einem 25-jährigen Individuum die QALY auf 5,68 und die Kosten sinken auf 350 Euro pro QALY. Dies würde 19 % der Bevölkerung ab 25 Jahren betreffen. Wird die Risikoschwelle auf 15 % gesetzt, profitieren 25-Jährige mit 6,22 QALY bei Kosten von 280 Euro pro QALY. Betreffen würde dies 14 %.
Die Studienautoren halten es für geboten, frühzeitig zu handeln. Eine niederschwellige Verschreibung von Statinen sei vorteilhaft für die Gesundheit sowie ökonomisch sinnvoll, da selbst bei einer Risikoschwelle von 7,5 % die Therapie nur für maximal 25 % der Bevölkerung relevant sei.
Dressel A et al., medRxiv 2024; DOI 10.1101/2024.10.17.24315649