Seitdem die moderne Medizin den Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Organismus entdeckt hat, gilt das bis vor 15 Jahren fast unerforschte Geflecht aus Myriaden von Bakterien, Pilzen und Parasiten im menschlichen Darmtrakt auch als therapeutisches Ziel.
„Microbiota is a signalling hub“, ein Signal- oder Zeichengeber also, meinte der führende Mikrobiomforscher Prof. Eran Elinav vom Weizmann-Institut in Israel (derzeit DKFZ, Heidelberg). Wesentlich zu dieser Erkenntnis hat auch die jüngste Entdeckung einer Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse beigetragen: Der Darm steht in Verbindung mit den Mikroglia, den zerebralen Immunzellen. Inzwischen gilt das Mikrobiom als eigenständiges Organ, in dem bereits mehr als 1 000 Spezies pro Person isoliert wurden, darunter Bacteroides, Eubacterium, Faecalibacterium, Alistipes oder Clostridium. Obwohl ungezählte Studien sich der Mikrobiom-Moderation gewidmet haben, lassen klassische Diagnosen noch auf sich warten, wie PD Dr. med. Viola Andresen vom Israelitischen Krankenhaus in Hamburg den aktuellen Wissensstand kritisch zusammenfasste. Zu Vieles bleibe noch im Ungefähren. So gelten Ernährung, Präbiotika, Probiotika, Antibiotika, isokalorische Umstellung, kurzkettige Fettsäuren und nicht zuletzt der „fäkale Mikrobiom-Transfer“ (FMT) als wichtige eubiotische Einflussfaktoren auf die Gesundheit, gelegentlich auch schon als anwendbare therapeutische Methoden. Effekte auf das metabolische Syndrom, die Fettleberbehandlung und die Stimmungsaufhellung will Andresen nicht ausschließen.
Effektives Therapiemanagement
Über die genaue Wirkung der Probiotika ist allerdings so gut wie nichts bekannt, wenn man von allgemeinen Parametern wie Stimmungsanregung und der klassischen Indikation Reizdarmsyndrom absieht. In Metaanalysen wurden wirksame Therapieregimes im Sinne von Standardprogrammen berichtet. Dazu gehört die Prophylaxe gegen Clostridium difficile oder Diarrhoe bei Risikopatienten. Dysbiotisch wirken Alkohol, Ortswechsel (Urlaub), die Darmreinigungen vor einer Rektoskopie sowie Bauchoperationen und Medikamente wie Metformin, Opioide oder Psychopharmaka. Der fäkale Mikrobiom-Transfer zeigt bei Colitis ulcerosa Ansprechraten von etwa 30 %, die bei Clostridium difficile auf 90 % steigen können.
Verkapselten FMT-Präparaten, angereichert mit Antibiotika, könnte nach Andresen die Zukunft gehören. Der autologe Fäkalientransfer hat sich bei akuter myeloischer Leukämie bewährt [1]. Kürzlich wurde die Einführung von „Superspendern“ erprobt, offensichtlich mit Erfolg: Der FMT von jungen, schlanken, vitalen, sportlichen Männern erbrachte Ansprechraten von 89 %. Derartige Effekte sind aber nach Darstellung der Ärztin nicht vorhersehbar. Dennoch bieten auch in Deutschland zahlreiche Kliniken FMT-Präparate für einen „individuellen Heilversuch“ an. Stuhl in Kapselform gibt es bisher nur in den USA. Manche Länder verfügen sogar über eigene Stuhlbänke, bei denen man bestellen kann.
Malard F et al., Nat Comm 2021; 12: 3084
Symposium „Das Mikrobiom und das gastrointestinale Befinden“ (Veranstalter: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG)