Seit dem Antritt der neuen Bundesregierung ist auch das Gesundheitsministerium in neuer Hand. Hier hat jetzt Prof. Karl Lauterbach das Sagen und aus Sicht von uns Frauenärzten stellt sich die Frage: Welche Veränderungen wird es in der Gesundheitspolitik geben und welchen Einfluss wird das auf die Frauenheilkunde haben?
Die Liste der Vorhaben ist lang. Eine moderne sektorenübergreifende Gesundheitspolitik soll es geben und man will Lehren aus der Pandemie ziehen. Was natürlich insbesondere die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege betrifft. Weitere Schwerpunkte sollen die Digitalisierung im Gesundheitswesen sein – vor allem die Beschleunigung von elektronischer Patientenakte und E-Rezept –, die Verlagerung unnötig stationärer Behandlungen in den ambulanten Bereich, eine sektorenübergreifende Vergütung durch Hybrid-DRG sowie die Sicherstellung der Versorgung in strukturell unterversorgten Regionen über Zweitpraxen und MVZ.
Neben den vielen allgemeinen Punkten zur Gesundheitsversorgung wird im Koalitionsvertrag auch explizit die Geburtshilfe aufgegriffen. Interessant ist der Abschnitt, in dem das Nationale Gesundheitsziel „Gesundheit um die Geburt“ mit einem Aktionsplan umgesetzt werden soll. Hier findet sich explizit die Aussage zur Evaluierung möglicher Fehler zu finanziellen Anreizen von Kaiserschnitten. Die Koalition möchte einen Personalschlüssel für eine 1:1-Betreuung durch Hebammen während wesentlicher Phasen der Geburt einführen. Der Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle und Vergütung zur ambulanten Geburtsvorsorge und Nachsorge für angestellte Hebammen in Kliniken soll gestärkt werden. Während viele andere Projekte einen gewissen Realitätssinn haben, sind die Aspekte zur Geburtshilfe sehr kritisch zu sehen. Der Anstieg der Sectiorate ist nicht auf finanzielle Anreize zurückzuführen. Ich kann mich in meiner 30-jährigen geburtshilflichen Tätigkeit nicht erinnern, dass ein Kaiserschnitt aus finanziellen Überlegungen indiziert wurde. Der Anstieg beruht u. a. darauf, dass die Ausbildung in der Geburtshilfe durch die Arbeitszeitmodelle schwieriger geworden ist. Je unerfahrener der Geburtshelfer, desto höher ist oft die Sectiorate. Dazu kommt, dass die Schwangeren immer älter werden und Risikofaktoren wie Adipositas zunehmen. Das führt zu mehr pathologischen Geburtsverläufen, wie sie auch dem Beitrag in diesem Heft entnehmen können.
Geradezu utopischer erscheint das Ziel einer 1:1-Betreuung in den Kreißsälen, wo wir heute in der stationären Geburtshilfe schon erhebliche Probleme haben, vakante Hebammenstellen zu besetzen. Auch wenn in Zukunft vermehrt ausgebildet wird, kann das Problem in dieser Legislaturperiode mit Sicherheit nicht gelöst werden. Hier werden Anreize für eine bessere Vergütung der Geburtshilfe auch im personellen Bereich nötig sein, sonst wird es weiterhin Engpässe geben und weitere geburtshilfliche Abteilungen, die ja unter 1 000 Geburten meist defizitär arbeiten, werden geschlossen. Es ist erfreulich, dass das Problem erkannt wurde, allerdings darf man sehr gespannt sein, welche konkreten Lösungen hier gefunden werden.
Die Situation in der Geburtshilfe ist ja auch durch die Corona-Pandemie nochmals schwieriger geworden und bindet zusätzliche personelle und räumliche Kapazitäten, was sich jedoch nicht in einer adäquaten Vergütung niederschlägt. Wir haben uns im aktuellen Heft diesem Thema noch einmal angenommen und mit Prof. Dr. med. Ekkehard Schleußner, den Direktor einer großen geburtshilflichen Universitätsklinik und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pränatalmedizin, als Autor gewinnen können. Die Corona-Pandemie, jetzt bereits in der fünften Welle, wird in den nächsten Monaten sicher noch weitgehend die Aufmerksamkeit und Kraft im Gesundheitswesen binden.
Zu den Lehren aus der Pandemie gehört, dass eine grundlegende Optimierung unseres an sich gut funktionierenden Gesundheitswesen notwendig ist. Viele Problematiken scheinen erkannt und man darf gespannt sein, was in den nächsten fünf Jahren hiervor wirklich gelöst und umgesetzt werden kann. Es ist erfreulich, dass der Stellenwert der Geburtshilfe mit im Fokus stehen soll und wir hoffen, Ihnen mit unserem aktuellem Heft zu Kinderwunsch, Schwangerschaft und Geburtshilfe dazu ein interessantes Update zu geben. Bleiben Sie gesund!
Ihr
Prof. Dr. med. Thomas Römer
Herausgeber
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