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Gynäkologie

Vaginalflora und kindliches Mikrobiom

Die ersten Bakterien eines Babys

Das Paradigma des sterilen Mutterbauchs wackelt. Mehrere aktuelle Veröffentlichungen geben Hinweise darauf, dass das kindliche Mikrobiom sich schon im Mutterleib bilden könnte. Allerdings gibt es auch Ergebnisse in die genau umgekehrte Richtung – eine hochinteressante wissenschaftliche Kontroverse.

Lange galt es als gesichert, dass die erste Kolonisierung von Neugeborenen mit Mikroorganismen während der Geburt im Vaginalkanal erfolgt, den Mikroben der Vagina und auch des Darmes ausgesetzt ist.[1] Die Darmflora von Neugeborenen ist geprägt von Bakterien der Gattungen Lactobacillus, Prevotella und Sneathia und ähnelt dem vaginalen Mikrobiom.

Die Kaiserschnitt-Kinder

Bei Kindern, die per Kaiserschnitt auf die Welt kommen, fällt diese Art der Kolonialisierung weg. Sie kommen mit weniger Mikroorganismen in Kontakt. Ihr erster Kontakt erfolgt mit dem Mikrobiom der Haut. In ihrer Darmflora werden hauptsächlich Staphylococcus und Propionibacterium Spezies gefunden – eine Komposition, die an die Hautflora erinnert.[2] In ihren ersten zwei Lebensjahren haben sie eine geringere Artenvielfalt in ihrem gastro­intestinalen Mikrobiom als vaginal entbundene Kinder.[3] Es erfolgt außerdem eine spätere Besiedelung mit Bakterien der Gattung Bacteroides. Der Geburtsmodus bestimmt demnach, welche Bakteriengattungen das Neugeborene besiedeln. Und tatsächlich fand man eine Reihe von Unterschieden bei Kindern, die vaginal oder per Sectio zur Welt kamen. So haben Kaiserschnitt-Babys einer dänischen Studie zufolge ein höheres Risiko, bestimmte immunbedingte Krankheiten zu entwickeln als Vaginalgeburten.[4] Die adjustierte Analyse ergab für die G1 der Sectio-Kinder gegenüber den vaginal Geborenen eine Risikoerhöhung für Asthma um 23 %. Auch für systemische Bindegewebserkrankungen (11 %), juvenile Arthritis (10 %), entzündliche Darmerkrankungen (20 %), Immundefekte (46 %) und Leukämie (17 %) war die Wahrscheinlichkeit erhöht. In der Zwischenzeit gibt es neue Daten, die allerdings immer noch keine eindeutige Aussage zulassen. Einerseits gibt es Hinweise, dass der Fetus bereits in utero mit Bakterien in Kontakt kommt. Im Mausmodell wurden markierte Enterococcus-faecium-Bakterien schwangeren Mausen verabreicht und konnten anschließend im Mekonium der neugeborenen Mäuse nachgewiesen werden.[5] Eine skandinavische Studie von 2018 kommt zu einem anderen Schluss. Dort wurden Proben von Fruchtwasser aus noch intakten Fruchtblasen mit dem aus geplatzten Blasen verglichen. In der Gruppe mit intakter Fruchtblase war die Konzentration an bakteriellem Erbgut niedrig, in der Gruppe mit geplatzter Fruchtblase um mehr als das 10-Fache höher. Eine Untersuchung dieser Bakterien zeigte, dass sie von der Vaginalflora stammen und z. T. mit intrauterinen Infektionen zusammenhängen.[6] Nach Meinung der Autoren kommen die meisten Bakterien also doch erst nach dem Blasensprung in Kontakt mit dem Kind.


Bakterien im Fruchtwasser

In einem Essay hat Nature 2018 die verschiedenen Argumente zusammengetragen.[7] Explizit ging der Beitrag auf mehrere Forschergruppen ein, die Bakterien im Fruchtwasser entdeckt hatten.[8-10] In einer der Untersuchungen war die bakterielle DNA in Mekonium auf dieselben Gattungen zurückzuführen, die auch im Fruchtwasser gefunden wurden. Zudem enthielt Stuhl von Frühgeborenen andere Mikroben als der von termingerecht geborenen Säuglingen.[10] Die Autoren stellten die Hypothese auf, manche Bakterienstämme könnten im fötalen Gastrointestinaltrakt zur Produktion von Entzündungsfaktoren führen, die als Auslöser der Frühgeburt fungieren, und Wissenschaftler konnten im Fruchtwasser von Frühgeborenen mehrere dieser Faktoren nachweisen. Nach ihrer Auffassung ist das noch kein Beweis – genauso, wie ein Bakterium noch kein Mikrobiom ist. Aber ein Teil des Puzzles sind solche Entdeckungen allemal. Um der immensen wissenschaftlichen Bedeutung der Frage gerecht zu werden, sind aktuell mehrere große Forschungsprojekte unterwegs. Sollte sich nämlich zeigen, dass die Bakterienbesiedelung ein ganz normaler – vielleicht sogar entscheidender – Faktor schon während der Schwangerschaft ist, ließen sich eventuell Möglichkeiten finden, die Zusammensetzung der Bakterien in der Gebärmutter zu beeinflussen und immunvermittelte Krankheiten bereits im Vorfeld zu vermeiden. Red.

[1] Han YW et al., Infect Immun 2004: 72: 2272–2279
[2] Martin R et al., PLoS ONE 2016; 11: e0158498
[3] Fox C et al., Fertil Steril 2015; 104: 1358–1363
[4] Sevelsted A et al., Pediatrics 2015; 135: 1
[5] Dominguez-Bello MG et al., Nat Med 2016; 22: 250–253
[6] Rehbinder EM et al., Americ J Obstet Gynecol 2018; 219: 289.e1-289.e12
[7] Willyard C, Baby’s first bacteria. Nature 2018; 553: 264–266
[8] Collado MC et al., Sci Rep 2016; 6: 23129
[9] DiGiulio DB, Semin Fetal Neonatal Med 2012; 17: 2–11
[10] Ardissone AN et al., PLoS ONE 2014; 9: e90784

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