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Fokus Naturmedizin

Naturheilkundliche Interventionen

Multimodales Behandlungskonzept bei Reizdarm

Dr. phil. nat. Miriam Neuenfeldt

22.3.2024

Das Reizdarmsyndrom (RDS) hat vielfältige Ursachen und die Symptome können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Demzufolge muss das RDS multimodal behandelt werden. Hierbei bietet die Naturheilkunde verschiedene Therapieoptionen, die patientenindividuell und leitliniengerecht in die Behandlung integriert werden können.

Aufgrund der Heterogenität des Reizdarmsyndroms (RDS) gibt es keine Standardtherapie. Um ein RDS adäquat behandeln zu können, sollte unterschieden werden, ob Obstipation, Diarrhoe oder wechselndes, gemischtes Stuhlverhalten dominieren. Die Therapie des RDS soll laut S3-Leitlinie multimodal erfolgen. Im Sinne der Integrativen Medizin umfasst ein multimodaler Therapieansatz neben konventionellen ­Therapieverfahren naturheilkundliche und komplementäre Selbsthilfestrategien und Module der ­Lebensstilmodifikation, um so ein individuell optimales Therapiekonzept für den einzelnen Patienten oder die Patientin zu gestalten [1].

Initial sollen die individuellen Trigger und externen Faktoren, die mit einer Aggravierung der Symptome einhergehen (z. B. Nahrungsmittel, Medikamente, Schichtarbeit, psychologische Stressoren), identifiziert werden (Abb.). Symptomtagebücher können dabei hilfreich sein. Nachdem Trigger definiert wurden, sollten patientenindividuell ernährungstherapeutische Interventionen (z. B. die Low-FODMAP-Diät) eingesetzt werden [1]. Empfehlenswert für Betroffene sind eine gut verträgliche vollwertige Kost und gutes Kauen. Durch den vorübergehenden Verzicht auf Rohgemüse und Frischgetreidekost lassen sich Blähungen reduzieren. Im Folgenden sollte der Verzehr von frischem Obst und gedünstetem Gemüse gesteigert werden. Bis sich der Darm beruhigt hat, sollten wenige, kleine Mahlzeiten empfohlen werden. Warme Getränke und Gemüsebrühen tragen zur Entspannung bei [2]. Die ernährungstherapeutischen Interventionen können durch komplementäre Verfahren und/oder eine Therapie mit Probiotika ergänzt werden. Psychotherapeutische Verfahren können ebenfalls erfolgreich sein, wenn psychische Konflikte eine Ursache des RDS sind.

Naturheilkundliche Interventionen

Die Naturheilkunde bietet vielfältige Optionen zur Therapie des RDS (Tab.). Da sie unterschiedliche Symptome lindern, bietet sich die Kombination der Verfahren an [1]. So können Entspannungs-Atemübungen Stress reduzieren. Ein dynamisches Muskeltraining von niedriger bis mittlerer Intensität sowie Ausdauertraining (Gehen, Laufen) im aeroben Bereich fördern eine ausgewogene Darmperistaltik. RDS-­Betroffene mit Schmerzen können von einer lokalen Wärmebehandlung, z. B. einem Heublumensack auf Leib und Rücken, profitieren.

Je nach Befund und Zustand des Wärmehaushalts können Güsse, Leibwickel, Fußbäder oder warme Sitzbäder Beschwerden lindern. Auch eine Hydro- und Balneotherapie nach Kneipp kann hilfreich sein [2]. Leitliniengerecht können RDS-Betroffenen zusätzlich viszerale Osteopathie und Darmmassagen angeboten werden [1].

Phytotherapie

Mithilfe der Phytotherapie kann die Behandlung des RDS unterstützt werden. So können ätherische Pflanzenöle bei Blähungen und krampfartigen Beschwerden Linderung verschaffen. Kamillenblüten, Anis-, Fenchel-, Kümmelfrüchte, Ingwerwurzel sowie Pfefferminzblätter und -öl enthalten reichlich ätherisches Öl und können als Tee oder Phytotherapeutika angewendet werden. Sie stehen als Mono- und Kombinationspräparate zur Verfügung, z. B.:

  • Pfefferminz- und Kümmelöl
  • Pfefferminzblätter, Kamillenblüten, Fenchel-, Kümmelfrüchte, Pomeranzenschalen
  • Pfefferminzblätter, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte

Pfefferminzöl sollte in magensaftresistenten Zubereitungen empfohlen werden, da die längere Anwendung des ätherischen Öls in höherer Dosierung zur Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters und eventuell zu Reflux führen kann [2]. Pfefferminzöl hat sich als wirksam zur Behandlung der RDS-Symp­tome Schmerz und Blähungen erwiesen und gilt als etabliertes, potentes Spasmolytikum mit 1A-Wirksamkeitsevidenz beim RDS [1,3].

Heilpflanzen mit ätherischen Ölen, die gleichzeitig die Verdauungssäfte anregen, sind Kurkuma oder Schafgarbe. Bei nervös bedingten Beschwerden ist eine Kombination von ätherischen Ölen mit sedativ wirksamen Heilpflanzen wie Baldrian, Hopfen bzw. Melisse sinnvoll. Leinsamen und Flohsamen wirken aufgrund der enthaltenen Schleimstoffe reizmildernd, schleimhautschützend und stuhl­regulierend. Sie ­eignen sich für RDS-Erkrankte mit einem Wechsel zwischen Diarrhoe und Obstipation und sollten mit ausreichend Flüssigkeit eingenommen werden.

Ist Diarrhoe das vorherrschende Symptom, können Heilpflanzen mit Gerbstoffen angewendet werden, z. B. Tormentillwurzelstock, Eichenrinde oder getrocknete Heidelbeeren. Bei funktionellen und motilitätsbedingten Beschwerden kann die bittere Schleifenblume lindernd wirken. Die Heilpflanze wird u. a. mit Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmel, und Süßholzwurzel (STW-5) kombiniert [2]. Die phytotherapeutischen Kombinationen STW-5 und STW-5-II (Iberis amara, Süßholzwurzel, Kamillenblüte, ­Kümmelfrüchte, Melissen- und Pfefferminzblätter) können leitliniengerecht zur Schmerzreduktion eingesetzt werden [4]. Außerdem können Präparate mit Berberin Schmerzen sowie Diarrhoe lindern und den globalen RDS-Symptomkomplex verbessern. Die Kombination aus grüner Minze, Zitronenmelisse und Koriander kann Schmerzen und Blähungen vermindern. Zudem können Phytotherapeutika mit Capsaicin, Fumaria (Erdrauch), Aloe vera, Johanniskraut oder Ingwer individuell ins Behandlungs­konzept integriert werden. Eine ayurvedische Kombination aus Curry, Granatapfel und Kurkuma wird in der S3-Leitlinie zur Therapie des RDS ebenfalls aufgeführt [1]. Weiterhin werden heiße Kümmelölauflagen ­empfohlen. Studien zeigen, dass diese den globalen RDS-Symptomkomplex verbessern können [5].

Mikrobielle Therapie

Leitliniengerecht können ausgewählte Probiotika in der Behandlung des RDS eingesetzt werden. Dabei kann die Wahl des Stamms nach der Symptomatik erfolgen, und es muss differenziert werden, für welche probiotischen Spezies bzw. Stämme sowie deren Kombinationen bei welcher Patientengruppe Wirksamkeit in kontrollierten Studien nachgewiesen werden konnte. Die grundsätzliche Wirksamkeit von Probiotika wurde in mehreren prospektiven, randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) belegt. Signifikante Verbesserungen wurden sowohl für die typischen Einzelsymptome des RDS (u. a. Schmerzen, Blähungen, Stuhlfrequenz und -konsistenz) als auch für die Lebensqualität und die allgemeine Zufriedenheit der Studienteilnehmenden berichtet [1].

Univ.-Prof. Dr. med. Jost Langhorst
Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde
Stiftungslehrstuhl für Integrative Medizin der Universität Duisburg-Essen
Sozialstiftung Bamberg, Klinikum am Bruderwald

www.sozialstiftung-bamberg.de

Zur naturheilkundlichen Behandlung des Reizdarmsyndroms

Abhängig von den führenden Symptomen wird das Reizdarmsyndrom leitlinienkonform mit einem multimodalen Therapiekonzept behandelt. Initial stelle ich die Ernährung auf den Prüfstand. Spezielle Auslassdiäten setze ich allenfalls sehr gezielt ein, denn die Patienten und Patientinnen sollen sich vielseitig ernähren. Dazu empfehle ich eine pflanzenbasierte Vollwertkost als Basis. Bei RDS-Betroffenen, die überwiegend unter Verstopfung leiden, ist zudem die Steigerung der Bewegung im Alltag ein wichtiger Faktor. Des Weiteren wenden wir in unserem Hause entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren an und entwickeln mit den Patienten und Patientinnen naturheilkundliche Selbststrategien.

Zusätzlich zu einer ressourcenorientierten Beratung ergänzen wir die Behandlung patientenindividuell um Phytotherapie oder Probiotika. So hat sich zum Beispiel Pfefferminze in Form von magensaftresistenten Kapseln bewährt. Personen mit Krämpfen empfehle ich Pfefferminze und Kümmelöl, gern in Kombination, bei Verstopfung Flohsamen mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr. Sind Diarrhoe und/oder Blähungen die Hauptsymptome, kann die Kombination aus Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle oder Heilerde Linderung verschaffen. Die Leitlinie zur Therapie des RDS empfiehlt auch das Kombinationspräparat STW-5, das u. a. die bittere Schleifenblume enthält. Zusätzlich empfehle ich bei Durchfall, Schmerzen bzw. Blähungen als Selbsthilfestrategie dreimal täglich ein bis zwei Tassen Kräutertees, z. B. mit Fenchel, Kümmel, Schafgarbe, Blutwurz, Pfefferminze und/oder Kamille, jeweils in Bioqualität. Die innere Anwendung von Phytotherapeutika kann durch Externa wirkungsvoll unterstützt werden. So können Kümmelauflagen das enterische Nervensystem entspannen und zeigen entblähende Wirkung. Auch die Anwendung eines Heublumensacks kann auf Basis der enthaltenen Cumarine Linderung verschaffen. Zur vegetativen Umstimmung empfehle ich neben der externen Anwendung von ätherischen Ölen Kneippsche Güsse und kalte Leibwickel.

Verstopfung, Blähungen und Bauchschmerzen ­können durch Probiotika mit Lactobacilli, Bifidobakterien bzw. speziellen E. coli gelindert werden. Probiotika können auch gegen Diarrhoe angewendet werden, wenn das RDS durch Antibiotika­therapien ausgelöst wurde.

Bei Verstopfung, Blähungen und Schmerzen setzen wir zudem Kolonmassagen ein und geben den Betroffenen Anleitung zu Ausstreichungen als Hilfe zur Selbsthilfe. Stehen psychosoziale Faktoren im Vordergrund, kann eine begleitende Psychotherapie sinnvoll sein. Generell behandele ich das RDS integrativ und kombiniere die naturheilkundlichen Verfahren auch mit synthetischen Medikamenten, wenn das nötig und sinnvoll ist. Ziel ist es, patientenindividuell multimodal unter Verwendung der notwendigen Therapien zu behandeln, um RDS-Patienten  und -Patientinnen die Rückkehr in ein normales ­Leben zu ermöglichen.

Die zahlreichen möglichen Triggerfaktoren sollten zu Beginn der RDS-Therapie identifiziert und die Behandlung patientenindividuell zusammengestellt werden. Aufgrund der Komplexität des RDS müssen Betroffene multimodal behandelt werden. Hierbei bietet die Naturheilkunde verschiedene Therapieoptionen. Zu naturheilkundlichen Interventionen wie Yoga, verschiedenen Phytotherapeutika und Probiotika liegen RCT vor, die positive Effekte beim RDS zeigen. Daher können diese Maßnahmen leitliniengerecht in die Behandlung integriert werden.

  1. Layer P et al., Z Gastroenterol 2021; 59: 1323–415
  2. Schmiedel V, Augustin M, Leitfaden Naturheilkunde – Methoden, Konzepte und praktische Anwendung, 7. Auflage, Elsevier Verlag München 2017, ISBN: 978-3-437-55143-7
  3. Alammar N et al., BMC Complement Altern Med 2019; 19: 21
  4. Madisch A et al., Aliment Pharmacol Ther 2004; 19: 271–9
  5. Lauche R et al., Digestion 2015; 92: 22–31

Bildnachweis: Oleksand (gettyimages); privat

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