Die intrauterine Entwicklung eines Menschen ist entscheidend für das gesamte weitere Leben. Zentrale Einflussfaktoren sind die Nährstoffversorgung und der maternale Metabolismus. Adipositas und Diabetes, aber auch Stress bei der Mutter erhöhen die Wahrscheinlichkeit für metabolische Erkrankungen des Kindes.
Das Konzept der fetalen Programmierung stammt aus den 1980er-Jahren. David Barker entdeckte damals den Zusammenhang zwischen Geburtsgewicht und dem Risiko, später im Leben einen Herzinfarkt zu erleiden [1]. Das Konzept der fetalen Programmierung beruht darauf, dass die biologischen Signale, die der Fetus über die Plazenta von der Mutter erhält, den Metabolismus und die Lebensbedingungen der Mutter widerspiegeln.
Der Fetus reagiert auf diese Bedingungen während sensibler Perioden der Zellproliferation, -differenzierung und -reifung, was sich in dauerhaften strukturellen und funktionellen Veränderungen niederschlagen kann [2,3]. Dieser Zusammenhang ist molekularbiologisch gut belegt und es sollte das Ziel sein, Therapieentscheidungen in der Geburtshilfe und Pränatalmedizin zukünftig noch viel mehr unter diesem Aspekt zu fällen.
Der maternale Metabolismus verändert sich im Lauf der Schwangerschaft: Zunächst werden vorbereitend Fettspeicher aufgefüllt, und die Insulinsensitivität steigt leicht an, nimmt aber dann im weiteren Verlauf der Schwangerschaft, etwa ab der 20. Woche, deutlich ab [4]. Diese Insulinresistenz geht mit höheren Konzentrationen an Glucose und freien Fettsäuren im Blut einher, was wiederum das fetale Wachstum unterstützt [5].
Pathophysiologie des mütterlichen Metabolismus
Die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter, die an Adipositas oder Diabetes leiden, ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten weltweit angestiegen – etwa 30 % der Frauen im reproduktionsfähigen Alter sind übergewichtig [6,7]. Übergewicht oder Gestationsdiabetes führen zur hyperkalorischen Fehlernährung des Fetus mit nachteiligen Folgen, die gleichen Langzeitwirkungen hat eine neonatale Überernährung [8].
Ein Überangebot an Glucose führt zu einer regelrechten „Glucosemast“ und manifestiert sich durch unphysiologische DNA-Methylierungsmuster, etwa im Bereich des Promotors des Insulinrezeptors mit Hyperinsulinismus beim sich entwickelnden Kind. Es kann zur zentralen Resistenz gegenüber Insulin und Leptin kommen [9].
Mittlerweile kennt man auch die biochemischen Hintergründe dieses Phänomens. Das nutritive, metabolische und hormonelle Milieu, in dem sich der Fetus entwickelt, scheint sich regelrecht „einzuprägen“. Die beschriebenen Faktoren können durch epigenetische Modifikationen wie dauerhafte DNA-Promotor-Methylierungen, Histonacetylierungen u. a. deutlichen Einfluss auf das Expressionsprofil nehmen [10,11].
In einer Reihe von Studien wurden die Einflüsse mütterlicher metabolischer Parameter auf die Entwicklung des zentralen und des autonomen Nervensystems des Feten untersucht. Dabei konnten verschiedene Zusammenhänge zwischen dem Metabolismus und der fetalen Hirnreifung nachgewiesen werden. So beeinflusst eine Insulinresistenz der Mutter die Latenz der fetalen Gehirnreaktion, v. a. im postprandialen Zustand (Abb. 1). Diabetische Schwangerschaften und Schwangerschaften ohne Risikofaktoren unterschieden sich bezüglich der Spontanaktivität des fetalen Gehirns. Auch das maternale Gewicht hat auf die funktionelle Konnektivität des sich entwickelnden Gehirns offensichtlich einen Einfluss [4].
Auch auf die fetale Herzaktivität können solche Faktoren einen ungünstigen Einfluss haben. Bei mütterlicher Adipositas war die fetale Herzrate im Vergleich zu Feten normalgewichtiger Schwangerer erhöht, bei hoher Gewichtszunahme fand sich eine reduzierte Herzratenvariabilität. Auch bei Insulinresistenz war die Herzrate im Nüchternzustand erhöht [4].
Stress und Gifte als Regulatoren
Inzwischen wissen wir, dass ein Fetus bereits auf akustische Reize reagiert und dass sich das Seelenleben der Mutter auf seine ganze spätere Entwicklung auswirkt [10]. Die Hippocampus-Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HHPA) reguliert den Cortisol-Level. Ein perinataler Disstress unterschiedlichster Genese (psychosozial, infektiös, Glukokortikoidapplikation) wurde klinisch-epidemiologisch und experimentell als Risikofaktor dauerhaft erhöhter Stressvulnerabilität identifiziert [12]. Im sich entwickelnden HHPA-System kommt es zunächst zu perinatalem Hypercortisolismus, Nebennierenhypertrophie und neuronalen Dysplasien in hypothalamischen Regelzentren [13]. Zugleich werden in Genen von zentralnervös-regulierenden Neuropeptiden und Rezeptoren (z. B. Glukokortikoidrezeptor) expressionsrelevante epigenomische DNA-Methylierungsmuster induziert [12]. Konsequenz ist eine perinatal erworbene, nachfolgend persistierende zentrale Glukokortikoidresistenz.
Auch für maternalen Nikotinabusus konnte eine fetale Programmierung für Adipositas und Typ-2- Diabetes in der Nachkommenschaft gezeigt werden. Tierexperimentelle Studien deuten auf einen Einfluss auf die Inselzellfunktion des Feten und das fetale Fettgewebe mit Dysregulation von Genexpressionsmustern hin [14]. Die Exposition gegenüber „endokrinen Disruptoren“ kann ebenfalls den epigenetischen und mikrostrukturellen Entwicklungsprozess beeinträchtigen [15].
Telomere und Lebenszeit
Das Telomersystem ist wichtig für die Funktionalität von Zellen und steht mit dem Risiko für eine ganze Reihe altersbedingter Erkrankungen in Verbindung. Es ist schon länger bekannt, dass verkürzte Telomere und eine schnellere Verkürzungsrate der Telomere sowohl mit kürzerer Lebensdauer als auch mit einem früheren Beginn und schnellerem Fortschreiten von altersbedingten Erkrankungen assoziiert sind [2].
Vergleichsweise neu ist dagegen das Konzept der fetalen Programmierung des Telomersystems. Demnach ist die Telomerlänge bei der Geburt ein wichtiger Aspekt der Integrität des Telomersystems über die komplette Lebensspanne [2]. Weitere Faktoren, die hier eine Rolle spielen, sind die Geschwindigkeit der Telomerverkürzung über die Zeit und die Aktivität des Enzyms Telomerase, das der Telomerverkürzung entgegenwirkt.
Stressbelastung während der Schwangerschaft kann mit verkürzter Telomerlänge der Nachkommen sowohl bei der Geburt als auch im frühen Erwachsenenalter assoziiert sein. Die mütterliche Folatkonzentration in der frühen Schwangerschaft hat wiederum einen protektiven Effekt auf die fetale Telomerlänge [2]. Folat ist essenziell für den Aufbau der fetalen DNA-Struktur und epigenetischer Marker, die beide wiederum die Telomerlänge beeinflussen. Die Tatsache, dass der Fetus in Bezug auf Folat komplett von der Versorgung durch die Mutter abhängig ist, erklärt diesen Befund.
Daher können Faktoren, die Einfluss auf die initiale Telomerlänge im frühen Leben haben, das Risiko für altersbezogene Erkrankungen im späteren Leben beeinflussen. Insgesamt scheinen also frühe Störungen des fetalen Stoffwechsels für viele spätere Störungen zu prädisponieren, die ihrerseits wiederum Pathogenesefaktoren multipler Funktionsstörungen und Erkrankungen sein können (Abb. 2).
FAZIT:
Störungen im maternalen Metabolismus können die Entwicklung des zentralen und autonomen Nervensystems beim Kind beeinflussen. Und Adipositas der Schwangeren hat einen unabhängigen Effekt auf jugendliches Körpergewicht. Diese Erkenntnis hat eine hohe präventive Relevanz. Die Risiken für eine Adipositas im Vorschulalter bereits frühzeitig zu erkennen, könnte eine zukünftige Präventionsstrategie unterstützen [16]. Je mehr wir über vorgeburtliche Prägung wissen, desto besser können wir die Krankheiten der Kinder verhindern. Entscheidend ist es, den Lebensstil in (und vor) der Schwangerschaft entsprechend anzupassen. Da kindliches Gehirn und Stoffwechsel aber auch in den ersten Lebensmonaten noch sehr flexibel sind, trägt auch diese Zeit entscheidend bei. Dabei ist Stillen in jeder Hinsicht die beste Ernährungsform für Neugeborene und kann das langfristige Übergewichtsrisiko um etwa 30 % senken [17].
1 Barker DJ et al., Lancet 1986; 8489: 1077–1081
2 Entringer S et al., Gynäkologe 2020; 427–432
3 Entringer S et al., Psychoneuroendocrin 2015; 62: 366–375
4 Schleger F et al., Diabetologe 2020; 16: 647–653
5 Lain KY et al., Clin Obstet Gynecol 2007; 50: 938–948
6 Mensink GB et al., Bundesgesundheitsbl 2013; 56: 786–794
7 www.euro.who.int/en/health-topics/noncommunicable-diseases/diabetes/data-and-statistics. Zugriff 07.12.2021
8 Plagemann A et al., Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2012; 26: 641–653
9 Yoo YY et al., Diabetes Care 2014; 32: 734–739
10 Gerhard I, Privatarzt Gynäkol 2020; 11(1): 34–35
11 Plagemann A, Monatsschr Kinderheilkd 2016; 164: 91–98
12 Wu Y et al., Endocrinol 2014; 155: 1751–1762
13 Plagemann A et al., Endocrin Regulat 1998; 32: 77–85
14 Somm E et al., Endocrinol 2008; 149: 6288–6299
15 Gerhard I et al., Privatarzt Gynäkol 2019; 10(4): 44–45
16 Louwen FF, Gynäkol 2014; 47: 655–659
17 Harder T et al., Am J Epidemiol 2005; 162: 397–403