Die Stoffwechselgesundheit ist ein wichtiger Faktor für das Risiko für Typ-2-Diabetes (T2D) und kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD). Deren Definition bedarf aber der Optimierung. Über neue Ansätze zur Verbesserung der Vorhersage des Erkrankungsrisikos gab Prof. Dr. med. Norbert Stefan (Tübingen) Auskunft.
Adipositas ist zu einer Epidemie geworden. Wie lässt sich dem Trend entgegenwirken?
In den vergangenen 40 Jahren erhöhten sich die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas sowie die dadurch bedingte Morbidität und Mortalität. Ein hoher BMI sowie Bluthochdruck und ein erhöhter Nüchternblutzucker nehmen voraussichtlich in 2040 unter den 20 weltweit führenden Risikofaktoren für den Verlust von Lebensjahren die ersten drei Plätze ein.
Um der Adipositas-Epidemie entgegenzuwirken – durch präventive Maßnahmen gegen eine Gewichtszunahme oder durch Gewichtsreduktion –, sind zielgerichtete Interventionen unerlässlich, die sich an den individuellen Risiken für durch Adipositas verursachte Erkrankungen orientieren. Dabei ergibt es keinen Sinn, Risiken ausschließlich am BMI festzumachen, da diese bei gegebenem BMI etwa für T2D oder CVD stark variieren können.
Welche Faktoren sollten zudem berücksichtigt werden?
Hilfreich kann hier das Konzept der metabolischen Gesundheit sein, das auf der Kumulation wichtiger Risikofaktoren basiert, was die Identifizierung von Subphänotypen wie normalgewichtigen, stoffwechselkranken Menschen (MUHNW) und adipösen, stoffwechselgesunden Personen (MHO) erlaubt. Beide Typen weisen eine charakteristische Fettverteilung auf und unterscheiden sich in ihrem Risiko für kardiometabolische Erkrankungen.
Was beinhaltet das Konzept der metabolischen Gesundheit?
In den meisten Studien orientiert sich das Konzept der metabolischen Gesundheit an den Kriterien des metabolischen Syndroms (MetS), ist also charakterisiert durch Hypertonie, Hyperglykämie, erhöhte Triglycerid- und niedrige HDL-Cholesterol-Werte sowie abdominale Adipositas. Als metabolisch gesund gilt, wer weniger als 2 dieser Faktoren aufweist. Aber wenn auch der Ansatz in der Allgemeinbevölkerung gut funktioniert, sind akurate Risikoeinschätzungen bei spezifischen Subgruppen, z. B. solchen mit ähnlichen Risikoleveln wie T2D, doch schwierig.
Inwiefern ist die Definition des Konzepts unzureichend?
In den verschiedenen Fachgesellschaften ist das MetS nicht einheitlich definiert. Weitere Kritikpunkte zur so definierten metabolischen Gesundheit lauten u. a., dass häufig auf die Messung des Taillenumfangs verzichtet wird – vielleicht wegen der starken Korrelation mit dem BMI. Außerdem vernachlässigt die Definition anhand des MetS neben dem zulässigen noch die Anwesenheit weiterer kardiometabolischer Risikofaktoren wie Insulin-Resistenz, schwache Insulin-Sekretion und die nicht alkoholische Fettleber-Erkrankung (NAFLD). Und nicht zuletzt wird der transiente Charakter der Zuweisung „metabolisch gesund“ nicht berücksichtigt.
Wie ließe sich das Konzept möglicherweise neu definieren?
Eine von meinem Kollegen Prof. Dr. Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, mir und unseren Teams postulierte Definition basiert anders als die an das theoretische Konstrukt des MetS angelehnten auf der Assoziation empirischer Daten wie kardiovaskulärer Tod und Gesamtmortalität mit metabolischen Risikofaktoren [1].
Im Third National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES III) und der UK Biobank fanden wir die dazu benötigten anthroprometrischen und metabolischen Faktoren mit statistisch signifikanter Assoziation zu kardiovaskulär bedingtem Tod und Gesamtmortalität.
Was ergaben die Analysen bezüglich einer Neudefinition der metabolischen Gesundheit?
Die neue Definition für metabolische Gesundheit basiert hiermit auf Risikofaktoren mit empirischen Unterscheidungsmerkmalen, bestehend aus einem systolischen Blutdruck < 130 mmHg, Fehlen Blutdruck-senkender Mittel, einem Taillen-zu-Hüft-Verhältnis von < 0,95 (Frauen) bzw. 1,03 (Männer) und dem Nichtvorliegen von Diabetes. Dies charakterisiert > 40 % der Individuen mit metabolisch gesunder Adipositas in der NHANES-III-Population. Diese Gruppe wies kein erhöhtes Risiko für kardiovaskulären Tod verglichen mit metabolisch gesunden Normalgewichtigen in NHANES III sowie auch der UK Biobank auf. Und umgekehrt hatten metabolisch Ungesunde unabhängig vom BMI ein erhöhtes Risiko im Vergleich zu metabolisch gesunden Normalgewichtigen.
Können auch kardiometabolische Risikocluster hier sinnvoll sein?
Statistische Anwendungen wie Clusteranalysen können auch (ggf. additiv) zur Stratifizierung kardiometabolischer Risiken herangezogen werden. Ihr Nutzen ist hier allerdings noch ausbaufähig, etwa weil Daten zur Genetik oder zum Fettgehalt der Leber etc. in der Routine nicht zur Verfügung stehen. Außerdem ignorieren Clusteranalysen häufig wichtige kardiovaskuläre Risikofaktoren wie den Blutdruck.
Wie sind die beiden Ansätze zu bewerten?
Mit Blick auf die kardiometabolische Risikostratifizierung scheinen das neu definierte Konzept sowie kardiometabolische Risikocluster etablierten Risiko-Vorhersage-Modellen nicht überlegen. Sie mögen aber nützlich sein für eine bessere Vorhersage kardiometabolischer Risiken in Subgruppen, etwa verschiedener BMI-Kategorien. Für die Kommunikation mit den Patienten ist das Konzept der metabolischen Gesundheit das einfachere, um gemeinsam Therapiestrategien und -zielsetzungen (Blutdruckwerte oder HbA1C) festzulegen.
Cave: Die Zuweisung zu metabolisch gesund bzw. ungesund oder einem kardiometabolischen Risikocluster wird zumeist eine vorübergehende sein.
Der Experte
Prof. Dr. med. Norbert Stefan
Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e. V. Helmholtz München
Universitätsklinikum Tübingen, Innere Medizin IV
nobert.stefan@med.uni-tuebingen.de
1 Stefan N, Schulze MB, Lancet Diabetes Endocrinol 2023; doi.org/10.1016/S2213-8587(23)00086-4
Bildnachweis: privat