Experten diskutieren die Dedifferenzierung von insulinproduzierenden Betazellen als eine der Ursachen von Diabetes mellitus. Im Mausmodell ließ sich kürzlich mit einer spezifischen Pharmakointervention erstmals eine Redifferenzierung der Zellen in den Langerhans‘schen Inseln des Pankreas erzielen.[1,*]
Bestimmte Bedingungen wie Stress führen dazu, dass Betazellen quasi ihre Identität verlieren und sich in einen weniger differenzierten Zustand zurückentwickeln. Das konnte sowohl in Mausmodellen als auch bei Menschen mit Diabetes beobachtet werden. Dieser Prozess geht mit einer fortschreitenden Dysfunktion der Betazellen einher, sodass diese kein Insulin mehr produzieren und Hyperglykämien resultieren.
Mit medikamentösen Diabetestherapien ließ sich der Funktionsverlust der Betazellen bislang nicht aufhalten. Eine solche Intervention sollte möglichst bei den ersten Anzeichen einer Diabeteserkrankung erfolgen, damit möglichst viele glucosesensitive Betazellen weiterhin Insulin sekretieren und mikro- sowie vaskuläre Komplikationen gar nicht erst auftreten.
Dass eine gezielte Redifferenzierung von Betazellen möglich und ein Ansatz für deren Regeneration ist, konnte ein interdisziplinäres Team unter Federführung des Helmholtz Zentrum München zeigen.1 Sie induzierten Diabetes bei Mäusen mittels Injektion von Streptozotocin (STZ). Dieses Inseltoxin tötet u. a. die endokrinen Betazellen ab und verursacht so schweren Diabetes. Durch die mehrfache Verabreichung von STZ in niedrigen Dosen überlebten einige Betazellen. Diese waren dysfunktional und dedifferenziert, wie eine Einzell-RNA-Sequenzierung nachwies.
Um das Insulindefizit der Mäuse mit Diabetes zu kompensieren, erhielten diese ein lang wirkendes pegyliertes Insulinanalogon (PEG-Insulin) einmal täglich. Dadurch besserten sich die Hyperglykämie sowie die Inselstrukturen und es erhöhten sich die C-Peptid-Level sowie die Anzahl insulinpositiver Zellen. Dieser funktionellen Betazellenregeneration stehen aber dem mit einer Insulintherapie verbundenem Hypoglykämierisiko und die Gewichtszunahme gegenüber. Alternative Therapieansätze sind daher gefragt.
Aufgrund insulintropischer und betazellschützender Effekte in präklinischen Studien kommen das Glukagon-ähnliche Peptid-1 (GLP-1) und Estrogen bereits in der Behandlung des Diabetes zum Einsatz. Studien zeigten, dass chemisch optimierte GLP-1-Analoga wirksam das Management des Glucosespiegels und des Körpergewichts verbessern können. Allerdings ist die Therapie mit unerwünschten onkologischen, mitogenen und gynäkologischen Nebeneffekten verbunden. Um diese Nebenwirkungen zu umgehen, wurde ein stabiles Konjugat aus GLP-1 und Estrogen verwendet. Dieses Konjugat sowie auch GLP-1, Estrogen und PEG-Insulin alleine sowie die Kombination des Konjugats mit PEG-Insulin wurden bei Mäusekohorten daraufhin getestet, ob sie die Funktion der Betazellen wiederherstellen können (Abb.).
Die 100 Tage andauernde tägliche Behandlung mit den Substanzen ergab, dass das Konjugat effizienter als GLP-1 und Estrogen allein den Glucosespiegel senkte und die Insulin- sowie C-Peptidlevel erhöhte. Zudem konnte nur das Konjugat die pankreatischen Inselstrukturen verbessern und die Anzahl der Betazellen erhöhen. Diese Effekte wiesen keinen Zusammenhang mit einer Abnahme von Körpergewicht auf.
Die Kombination des GLP-1/Estrogen-Konjugats mit PEG-Insulin sollte klären, ob sich deren Einzeleffektivität weiter steigern und zudem die Menge des benötigten Insulins reduzieren lassen. Die Triple-Therapie erwies sich als überlegen gegenüber den Einzelkomponenten. Dies zeigte sich sowohl in der Normalisierung der Glykämie und Glucosetoleranz als auch in der Erhöhung des Insulingehalts der Bauchspeicheldrüse und der Anzahl der Betazellen. Im Vergleich zur Insulinmonotherapie resultierten weitere positive Effekte: die Insulindosis konnte um 60 % reduziert werden, das Risiko von Hypoglykämien verringerte sich und auch eine Gewichtszunahme ließ sich besser limitieren.
Diese Ergebnisse und die weiterer Untersuchungen zur Sicherheit einer GLP-1/Estrogen-Behandlung bei Menschen könnten den Weg für klinische Studien ebnen. So käme GLP-1 als Trägerpeptid für Estrogen, aber auch für andere Wirkstoffe infrage, um Betazellen direkt anzusprechen und die Remission von Diabetes zu unterstützen.
Der Autor
Prof. Dr. rer. nat. Heiko Lickert
Helmholtz Zentrum München
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt
Institut für Diabetes und Regenerationsforschung
85764 Neuherberg
[1] Sachs S, Bastidas-Ponce A, Lickert H et al., Nature Metabolism 2020; 2: 192–209, doi: 10.1038/s42255-020-0171-3
* Dies ist die erste Studie, die eine Betazell-Redifferenzierung mit gezielter Pharmakologie nachweisen kann. Sie erfolgte unter Einsatz von modernster Einzelzelltechnologie, Computerbiologie, Pharmakologie und Regenerationsbiologie. Das Forschungsprojekt leitete Prof. Dr. rer. nat. Heiko Lickert gemeinsam mit Prof. Dr. med. Susanna M. Hofmann, Prof. Dr. Dr. Fabian Theis und Dr. rer. nat. Timo D. Müller vom Helmholtz Zentrum München.