Der Begriff Sterilität beschreibt das Unvermögen schwanger zu werden. Am häufigsten finden sich mehr oder weniger relevante Ursachen bei beiden Partnern. Eindeutige Ursache auf Seiten der Frau oder des Mannes bzw. das Fehlen einer Ursache (Idiopathische Sterilität) sind dagegen eher selten.
80 % aller Schwangerschaften treten in den ersten sechs Zyklen ein, jedoch muss die Altersabhängigkeit der Fertilität beachtet werden: Die Abnahme der Fertilität einer Frau beginnt ab dem 30. Lebensjahr und am Ende des vierten Lebensjahrzehnts besteht bereits eine deutliche eingeschränkte Fertilität. Sie ist bei Frauen Ende der 30iger im Vergleich zu Frauen in den 20igern um rund die Hälfte reduziert. Neben der quantitativen Abnahme wird auch die Eizellqualität durch das Alter negativ beeinflusst, der Anteil von Oozyten mit Aneuploidien steigt. Eine Hauptursache sind Störungen in der Formation und Funktion des Spindelapparats. Auch die Wahrscheinlichkeit von Erkrankungen, die die Fertilität reduzieren – wie Myome, Endometriose, Adenomyose und tubare Fehlfunktionen –, nimmt mit dem Alter deutlich zu.[1]
Die Realisierung des Kinderwunsches verschiebt sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in ein immer höheres Lebensalter der Frau. Das durchschnittliche Alter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes beträgt aktuell in Deutschland 29,6 Jahre.[2] Auch das mittlere Alter bei Kinderwunschbehandlung steigt kontinuierlich an (Abb. 1).[3] Die Abklärung von Sterilitätsfaktoren ist indiziert, wenn nach einem Jahr bei regelmäßigem Geschlechtsverkehr zum Zeitpunkt der Ovulation eine Schwangerschaft nicht eingetreten ist. Individuell wird je nach Alter auch eine frühzeitigere Diagnostik empfohlen: So empfiehlt die American Society for Reproductive Medicine ASRM bei Frauen > 35 Jahren die Diagnostik einzuleiten, wenn nach sechs Monaten keine Schwangerschaft eingetreten ist. Bei Frauen ab 40 Jahren sollten Diagnostik und Therapie unmittelbar veranlasst werden.[4] Unabhängig vom Alter wird eine Abklärung bei anamnestisch vorhandenen Sterilitätsfaktoren empfohlen wie
• Oligo- und Amenorrhoe,
• anamnestisch bekannte uterine/tubare Faktoren,
• Endometriose Stadium III und IV,
• bekannte oder vermutete andrologische Subfertilität.
Ziel der Beratung ist es, die Ursachen der ungewollten Kinderlosigkeit zu erkennen und individuell angemessene, an den Bedürfnissen des Paares orientierte therapeutische Maßnahmen vorzuschlagen. Dabei gilt es, ein Übertherapieren zu vermeiden; andererseits dürfen notwendige Schritte nicht zu spät eingeleitet und so die Aussichten auf eine erfolgreiche Therapie verschlechtert werden. Erster Schritt ist die Erfassung aller anamnestischen/allgemeinen Faktoren beider Partner:
• Dauer des unerfüllten Kinderwunsches
• Vorausgehende Schwangerschaften
• Medikamenteneinnahme
• Vorausgehende operative Eingriffe/Erkrankungen
• Angaben zum Geschlechtsverkehr, sexuelle Dysfunktionen
• Zyklusanamnese
• Erfassung von Symptomen endokrinologischer Dysfunktionen
• Familienanamnese
• BMI
• Blutdruck und Puls
Die Diagnostik beider Partner sollte gleichzeitig eingeleitet werden. Die Abklärung weiblicher Sterilitätsursachen umfasst u. a. die allgemeine und Zyklusanamnese zur Erfassung von Risikofaktoren, die gynäkologische Untersuchung einschließlich vaginalem Ultraschall und die Abklärung auf das Vorhandensein einer Chlamydieninfektion. Wichtig sind die Überprüfung des Impfstatus und die Beratung über Faktoren, die die Fertilität negativ beeinflussen, wie Rauchen, Alkohol, Unter- und Übergewicht (Abb. 2).1 Auch notwendige Dauermedi-
kationen müssen auf ihre Eignung für eine Schwangerschaft überprüft werden. Bei 15 % der infertilen Paare besteht eine ovarielle Dysfunktion. Oligo- und Amenorrhoe, klinische Zeichen des Hyperandrogenismus (Akne, Hirsutismus) und Galaktorrhoe sind die wichtigsten klinischen Faktoren. Die Hauptursachen für eine ovarielle Dysfunktion sind PCOS, Über- und Untergewicht, Hyperprolaktinämie, Schilddrüsenfehlfunktionen und exzessiver Sport. Die Zyklusanamnese ist der wichtigste Part. Die meisten Frauen mit ovulatorischen Zyklen geben regelmäßige Zyklen zwischen 21 und 35 Tagen an. Dabei werden auch interzyklische Variationen von fünf Tagen als physiologisch angesehen. Bei Frauen mit regelmäßigem Zyklus ist das Vorhandensein endokrinologischer Sterilitätsursachen unwahrscheinlich. Die Messung der Basaltemperaturkurve wird heute nicht mehr als Ovulationskontrolle der ersten Wahl eingestuft. LH-Tests sind dagegen geeignet, um ein Selbstmonitoring zu Hause durchzuführen. Die Ovulation kann ein bis zwei Tage vorausgesagt werden.
Eine Serumbestimmung von Progesteron ist die sicherste Methode zum Nachweis der Ovulation. Die Bestimmung kann z. B. eine Woche vor der zu erwartenden Regelblutung durchgeführt werden. Beachtet werden muss, dass die Progesteronsekretion des Corpus luteum pulsatil erfolgt und somit Schwankungen unterliegt. Die Höhe des Progesteronspiegels hat keinen Zusammenhang mit der „Qualität“ der Corpus-luteum-Phase. Wichtigstes Symptom der Corpus-luteum-Insuffizienz sind prämenstruelle Zusatzblutungen bzw. eine verkürzte zweite Zyklushälfte. Die sekretorische Leistung des Corpus luteum basiert in erster Linie auf der Qualität des präovulatorischen Follikels, sodass Zeichen einer gestörten zweiten Zyklushälfte als Folge einer Follikelreifungsstörung zu sehen sind. Das Zyklusmonitoring mit vaginalem Ultraschall ist nur notwendig, wenn die Ovulation durch andere, einfachere Methoden nicht nachgewiesen werden kann. Wie bereits erwähnt, ist bei regelmäßigen Zyklen eine endokrine Sterilitätsursache selten. Die endokrinologische Diagnostik wird individuell in Abhängigkeit von anamnestischen und klinischen Fakten indiziert. Die endokrinologische Basisdiagnostik erfolgt am effektivsten am Zyklusanfang. Mit Bestimmung der Gonadotropine FSH und LH, Estradiol, Prolaktin, der Androgene und TSH können die häufigsten endokrinologischen Sterilitätsursachen wie PCOS, andere Hyperandrogenämien, die Hyperprolaktinämie, Schilddrüsenfehlfunktionen und eine Ovarialinsuffizienz erkannt werden (Abb. 3).
Eines der ersten klinischen Anzeichen des „Alterns der Ovarien“ sind kürzere Zyklen, bedingt durch eine frühere Rekrutierung des dominanten Follikels mit früherer Ovulation. Endokrinologisch finden sich leicht erhöhte FSH-Spiegel (z. B. FSH > 8 – 15 U/l) und höhere Estradiolserumspiegel (z. B. > 50 pg/ml) am Zyklusanfang. Typisch sind mögliche Variationen von Zyklus zu Zyklus. Das Anti-Müller-Hormon (AMH) ist der beste hormonale Marker für die Bestimmung der ovariellen Reserve. Die Bestimmung kann zyklusunabhängig erfolgen. AMH ist ein hoch spezifischer und sensitiver Marker für die Diagnose des PCOS. Bei PCOS ist AMH zwei- bis dreifach erhöht und ein Marker für die Schwere der Erkrankung. AMH ist im Rahmen der Reproduktionsmedizin ein wichtiger Wert für die Individualisierung der Therapie und Vermeidung von Therapiekomplikationen. Eine zu erwartende poor response oder no response bei ovarieller Stimulation kann vor Therapiestart diagnostiziert werden. Patientinnen mit Überstimulationsrisiko können identifiziert werden. AMH ist jedoch für eine Vorhersage im Sinne des Eintretens einer Schwangerschaft ungeeignet.[5] Gynäkologische Untersuchung und sonografische Beurteilung der weiblichen Genitalorgane sind Basisuntersuchungen im Rahmen der Sterilitätsdiagnostik. Eine detaillierte Diagnostik mit vaginalem Ultraschall muss vor Veranlassung invasiver Diagnostik erfolgen. Uterusanomalien, Adnextumoren u. a. Pathologien können so diagnotiziert, Endometrium und Follikelwachstum überwacht werden. Die Bestimmung des AFC (Antral Follicle Count) gibt Auskunft über die ovarielle Funktionsreserve. Der Postkoitaltest ist in seiner Aussagekraft fraglich und variabel und wird heute zur Diagnostik nicht mehr empfohlen.
Im Vorfeld jeglicher Operationsindikation im Rahmen der Sterilitätsdiagnostik muss die nicht-invasive Diagnostik abgeschlossen sein. Zur Abklärung der tubaren Funktion stellen die Chromolaparoskopie und Hysteroskopie heute den Standard dar. Die Überprüfung der Tubenfunktion ist indiziert, wenn bei der Frau keine endokrinologischen Sterilitätsursache diagnostiziert werden konnte. Vor Durchführung der Chromolaparoskopie und Hysteroskopie muss die Zeugungsfähigkeit des Partners nachgewiesen sein. Auch bei klinischem Verdacht auf Endometriose, Myome mit möglicher Beeinflussung der Fertilität, Chlamydieninfektion oder Verdacht auf Uterusfehlbildung ist die Durchführung der Chromolaparoskopie und Hysteroskopie indiziert. Neben der Diagnostik soll eine Operation bei Kinderwunschpatientinnen die Voraussetzungen für eine Konzeption, Implantation und komplikationslose Schwangerschaft optimieren. Ziel einer Operation ist die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden. Im Gesamtkonzept ist auch das Alter zu berücksichtigen. Eine operative Therapie bei Tubenpathologie wird bei Frauen unter 35 Jahren ohne zusätzliche endokrine/andrologische Faktoren empfohlen. Präoperativ muss die erneut notwendige „Wartezeit“ bis zum Schwangerschaftseintritt besprochen werden. Die Endometriose ist eine der häufigsten Sterilitätsursachen der Frau und sollte in der Ursachenabklärung immer mit berücksichtigt werden. Auch bei fehlender klinischer Symptomatik kann Endometriose eine Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch sein. Ziel bei intraoperativer Endometriosediagnose ist die komplette endoskopische Endometriosesanierung und Verbesserung der Konzeptionschance. Bei isoliertem Verdacht auf intrauterine Pathologien wie Adhäsionen, Polypen oder submuköse Myome ist heute zur Abklärung einer Operationsnotwendigkeit die Office-Hysteroskopie ohne Narkose möglich.[1,4,6]
Auch beim Mann können Risikofaktoren für eine Einschränkung der Zeugungsfähigkeit anamnestisch erfasst werden: Wichtig ist u. a. die anamnestische Eruierung folgender Faktoren:
• Z. n. Maldescensus testis
• Z. n. Mumps
• Vorausgehende Infektionen, Verletzungen u. a.
• Exogene Noxen: Genussgifte, Anabolika, Chemikalien
• Medikamente
Die andrologische Abklärung beinhaltet die körperliche Untersuchung, die Sonografie, Erhebung des Hormonstatus und das Spermiogramm. Bei der allgemeinen körperlichen Untersuchung werden Habitus, Fettverteilung, Entwicklung der Muskulatur, Behaarung und die Brust (Gynäkomastie?) beurteilt. Der Genitalstatus beinhaltet die Untersuchung des Penis, die Palpation der Hoden, Nebenhoden und Samenleiter. Die körperliche Untersuchung wird durch die sonografische Untersuchung des Skrotalinhalts ergänzt, um z. B. Neoplasien auszuschließen. Bei 0,5–1 % der Männer mit Fertilitätsstörungen wird ein Hodentumor diagnostiziert. Die Bestimmung von FSH, Testosteron, Prolaktin und gegebenenfalls TSH wird empfohlen.
Um eine standardisierte Beurteilung zu gewährleisten, müssen die Analysen entsprechend den Empfehlungen der WHO vorgenommen und die Standards zur Qualitätssicherung eingehalten werden. In dem WHO-Laborhandbuch zur Untersuchung und Aufarbeitung des menschlichen Ejakulates (5. Auflage7) sind alle empfohlenen Labormethoden beschrieben. Zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse muss eine sexuelle Karenzzeit von mindestens zwei bis maximal sieben Tagen eingehalten werden. Das Ejakulat wird in unmittelbarer Nähe des Andrologischen Labors in einem geeigneten Raum in sterile standardisierte Ejakulatgefäße gewonnen. Eine Gewinnung zu Hause wird nicht empfohlen, da es durch den Transport der Probe mit den unvermeidbaren Temperaturschwankungen zu einer signifikanten Verschlechterung der Ejakulatparameter kommen kann. Bei häuslicher Gewinnung der Probe ist ein körperwarmer Transport notwendig. Die Ejakulatanalyse beginnt vorzugsweise nach 30 Minuten, aber nicht länger als eine Stunde nach der Ejakulation. Das Volumen sollte mindestens 2 ml betragen. Die Farbe ist grau-opal. Der pH-Wert beträgt > 7,2. Die Verflüssigungszeit ist
In der aktuellen Neufassung der WHO-Empfehlungen werden schnelle/lineare progressive Beweglichkeit (frühere Kategorie a) und langsame/träge progressive Beweglichkeit (frühere Kategorie b) nicht mehr differenziert (Abb. 4). Die angegebenen Referenzwerte wurden in mehreren prospektiven Querschnittstudien mit Analyse von Proben fertiler Männer generiert. Fertilität wurde als Schwangerschaft der Partnerin innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung einer Kontrazeption definiert. Die untere 5%-Perzentile wurde als Referenzgrenzwert festgelegt. Ejakulatparameter sind hoch variabel, sowohl zwischen verschiedenen Männern als auch zwischen Einzelproben eines Individuums. Zur Diagnostik werden mindestens zwei Spermiogramme empfohlen. Ejakulatparameter, die im 95%-Referenzbereich liegen, garantieren nicht per se eine Fertilität. Männer, deren Ejakulatwerte unterhalb der beschriebenen Grenzen liegen, sind nicht per se infertil. Die Ejakulatwerte eines Mannes müssen immer in Zusammenhang mit den Gesamtbefunden des Paares beurteilt werden. Die WHO-Werte zum Spermiogramm beinhalten keine Angaben zu definierbaren Ejakulatbefunden, aus denen sich eine Indikation für spezifische Maßnahmen der assistierten Reproduktion ableiten lassen. Die Diagnose Azoospermie muss durch zwei Spermiogramme und eine Untersuchung im zentrifugierten Ejakulat (Extended Sperm Search) bestätigt werden.
Störungen der Fertilität können auch hereditäre Ursachen haben. Das Spektrum genetischer Veränderungen reicht dabei von Chromosomenaberrationen über Mikrodeletionen bis zu monogenen Erkrankungen. Bei anamnestischem Verdacht (Familienanamnese) auf hereditäre Ursachen muss die genetische Beratung und weiterführende Diagnostik erfolgen. Bei deutlicher Einschränkung in den Spermiogrammparametern wird die Chromosomanalyse (Karyotyp) und Untersuchung auf Mikrodeletionen des Y-Chromosoms (Azoospermiefaktoren AZF) empfohlen.[6,7,8]
Fazit für die Praxis
Die Diagnostik bei unerfülltem Kinderwunsch erfolgt individualisiert unter Berücksichtigung der Paarsituation. Therapieempfehlungen werden nach Abschluss der Diagnostik individuell festgelegt, unter Berücksichtigung der Befunde beider Partner, des Alters und der Dauer des unerfüllten Kinderwunsches.
Die Autorin
PD Dr. med. Dolores Foth
MVZ PAN Institut GmbH
Interdisziplinäres Kinderwunschzentrum
Zeppelinstr. 1 | 50667 Köln
Literatur bei der Autorin