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Allgemeinmedizin

Azidotische Stoffwechselsituation

Metabolische Azidose frühzeitig mit Bicarbonat therapieren

Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann

1.2.2024

Eine chronische Nierenerkrankung (CKD) führt häufig zu einer azidotischen Stoffwechselsituation, die in eine chronisch-metabolische Azidose (cmA) mündet. In der Praxis ist die cmA nicht nur unterdiagnostiziert, sondern erfährt auch zu selten alkalisierende Gegenmaßnahmen. Und so schreitet die Progression der CKD voran.

Bei der chronischen Nierenkrankheit verläuft die nachlassende Nierenfunktion lange Zeit symptomfrei bis symptomarm, führt aber zu einer andauernden Reduktion der Ausscheidung saurer Äquivalente, die im Zuge endogener Stoffwechselvorgänge anfallen. Da die Protonenexkretion auch für die Wiedergewinnung und Generierung von Bicarbonat als der bedeutendsten Puffersubstanz von zentraler Bedeutung ist, sinkt nun der Serum-Bicarbonatspiegel. Im Körper zirkulieren vermehrt Säureäquivalente, der Säure-Basen-Status rutscht in den „Azidosekeller”. Das wiederum hat allgemein negative Folgen, auch für die Nierenfunktion selbst. So befördert der nun entstandene azidotische Stoffwechselzustand seinerseits im Sinne eines Circulus vitiosus die weitere Verschlechterung der Nierenfunktion. Zeigt sich die cmA in der Blutgasanalyse (BGA), dann handelt es sich aber schon nicht mehr nur um eine harmlose Änderung von Laborwerten.

Wie sieht es in der Praxis aus – erfährt die cmA die Aufmerksamkeit, derer sie bedarf? Eine aktuelle Untersuchung weist auf große Lücken bezüglich Diagnose und Behandlung der cmA hin. In dieser retrospektiven Kohortenstudie wurden auf Basis dreier großer Gesundheitsdatenbanken 96 184 CKD-Erkrankte erfasst [1]. Alle Personen wiesen innerhalb des kontrollierten Zeitraums von 28 bis 365 Tagen zweimal hintereinander eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) < 60 ml/min/1,73m2 Körperoberfläche (KOF) und zweimal ein Serum-Bicarbonat von 12 bis < 22 mmol/l auf (Referenzbereiche: GFR 90 ml/min/1,73m2 KOF [im Alter physiologisch etwas darunter], Serum-Bicarbonat 22 bis 26 mmol/l). Es bestand bei den erfassten Personen also eine eingeschränkte Nierenfunktion mit Azidose.

Obwohl eine klare azidotische Stoffwechselsituation vorlag, fand sich die dokumentierte Diagnose „cmA” in diesen 3 Datenbanken nur bei 44,7 bzw. 20,9 bzw. 20,9 % der Betroffenen. Und  lediglich 17,6 bzw. 8,7 bzw. 15,3 % erhielten eine alkalisierende Therapie in Form von Natriumbicarbonat [1].

Ein hoher Anfall saurer Äquivalente im Zuge des Stoffwechsels kann auch durch die in westlichen ­Industriestaaten übliche Ernährungsweise bedingt sein. Ferner sind viele alte Menschen von einer CKD betroffen, die durch länger bestehende „vorbereitende” Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Hypertonie und Gefäßerkrankungen (KHK) getriggert wurde. Auch Adipositas erhöht das Azidoserisiko. Eine ­Kohortenstudie über einen mittleren Beobachtungszeitraum von etwa 53 Monaten mit mehr als 96 000 eingeschlossenen Personen wies im Vergleich bei denen mit erhöhtem BMI eine signifikant erhöhte Inzidenz der cmA nach [2].

Einfache Behandlung mit Bicarbonat

Zum Grundsatz bei der CKD-Therapie sollte eine frühzeitig begonnene Alkalisierung gehören. Das ist wegen der zahlreichen negativen Auswirkungen etwa auf den Ernährungszustand, den Knochenstoffwechsel, auf kardiovaskuläre Ereignisse, das Wachstum (bei Kindern) sowie wegen der Schädigung der Nieren mit nachfolgender Progression der CKD dringend notwendig. Neu ist das aber nicht.

Die Behandlung der cmA ist ganz einfach – mit oralem Natriumbicarbonat. Bei simpel gepressten Natriumbicarbonat-Tabletten oder -Pulver ist die Bioverfügbarkeit zu ungenau. Zur gezielten Therapie der cmA eignen sich hinsichtlich gastrointestinaler Neben- und Wechselwirkungen am besten magensaftresistente Bicarbonatpräparate mit einer Freisetzungskinetik, die erst im Dünndarm erfolgt. Die Langzeitbehandlung damit ist faktisch auch blutdruckneutral und lässt sich daher gut mit Antihypertensiva kombinieren [3].

Eine Alkalisierung des Stoffwechsels ist auch durch eine Ernährungsumstellung zu erreichen, was obendrein die Compliance verbessern könnte. So kann eine vegetarisch dominierte Ernährung durch die erhöhte Zufuhr alkalisierender Nährstoffe (Gemüse, Obst, Samen, Kerne, Nüsse) schon primär zur Reduktion der Säurebelastung beitragen. In einer Vergleichsstudie von Placebo, Natriumbicarbonat und einer auf Gemüse und Obst basierten Ernährung hat letztere sogar am besten bezüglich der Progressionsverzögerung der CKD abgeschnitten [4].

Die Kontrolle der Nierenfunktion mittels Urintests und Blutentnahmen sowie die frühzeitige Enttarnung der zunächst noch symptomfreien bis symptomarmen cmA und die frühzeitige Einleitung der einfachen Therapie mit magensaftresistenten Bicarbonatpräparaten kann viele Menschen bei besserer Lebensqualität vor Dialysepflicht und nachfolgendem Warten auf eine, derzeit leider rare, Transplantatniere bewahren.

Der Autor

Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann
Arzt für Innere Medizin/Nephrologie,
Hypertensiologe-DHL® und ­Rehabilitationswesen
Im Wölftegrund 27
34537 Bad Wildungen

1 Whitlock RH, Nephrol Dial Transplant 2023; 38: 1477
2 Lambert DC, Kidney Med 2021; 3: 498
3 Susantitaphong P, Am J Nephrol 2012; 35: 540
4 Goraya N, Am J Nephrol 2019; 49: 43

Bildnachweis: privat

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