Bei Typ-2-Diabetes richten Behandlerinnen und Behandler den Fokus oftmals nur auf die diabetische Stoffwechsellage. Dabei sind die Pathomechanismen viel komplexer und insbesondere die Nierenfunktion spielt eine wichtige Rolle. Die Kompensation einer sauren Stoffwechsellage mit Bicarbonat bessert beide Faktoren.
Viele, vor allem ältere Personen mit Typ-2-Diabetes (T2D) leiden auch an einer chronischen Nierenfunktionseinschränkung. Das betrifft 20–40 % der Betroffenen [1]. Damit kommt ein bisher bei Diabetes offenbar noch nicht umfassend genug beachteter Ablauf im Stoffwechsel ins Spiel, der sich besonders im Zuge der in westlichen Ländern gewohnten „Westerndiät” abspielt. Früchte, Gemüse und unbearbeitete Kartoffeln als basisch wirkende Lebensmittel werden bei dieser Ernährungsform weniger verzehrt als Lebensmittel mit saurer Wirkung wie Fleisch, Wurst und Fette. Ein Überhang saurer, ausscheidungspflichtiger Stoffwechseläquivalente ist die Folge. Der Verlust an Nierenfunktion aber führt zur Reduzierung der Ausscheidung von Protonen. Zudem sind die Nieren auch für die Wiedergewinnung und Generierung von Bicarbonat (sive Natriumhydrogencarbonat) von zentraler Bedeutung.
Azidose beeinflusst Insulinsensitivität
Bicarbonat ist die wichtigste Puffersubstanz im menschlichen Stoffwechsel. Ein chronisches Defizit führt daher zur chronisch-metabolischen Azidose (cmA). Diese hat auch Auswirkungen auf den Insulin- und damit den diabetischen Stoffwechsel, denn die Insulinresistenz nimmt zu, da die Insulinsensitivität der Körperzellen abnimmt.
Die Nieren, und nicht nur das Pankreas, beteiligen sich am Insulinstoffwechsel. Über die glomeruläre Filtration erfolgt 60 % der Insulinausscheidung
via Primärharn und 40 % über die tubuläre Sekretion [2]. Bei chronischer Nierenfunktionseinschränkung ist die Ausscheidung allerdings reduziert, andererseits kommt es jedoch zu der erwähnten abnehmenden Insulinsensitivität und erhöhten Insulinresistenz.
Mit diesem Problem, im Kontext mit der bei langjährig bestehendem Diabetes mellitus entstandenen Nierenschädigung und dem dadurch veränderten Säure-Basen-Haushalt, befassten sich Bellasi et al. [3]. Sie ermittelten bei 145 nicht insulinabhängigen Diabetespatienten und -patientinnen die Parameter für die Nierenfunktion, weiterhin das glykosylierte Hämoglobin (HbA1C), den Wert des Bicarbonats in der Blutgasanalyse (BGA) als wichtigem Parameter des Säure-Basen-Haushalts sowie den Nüchternglucose- und Insulinspiegel und errechneten daraus den HOMA-IR als Maß für die Insulinresistenz.
Der HOMA-IR ist ein mathematisches, inzwischen computerbasiertes Modell, welches erlaubt, die Insulinsensitivität und die Funktion der β-Zellen des Pankreas zu bestimmen [4]. Die Untersuchung erfordert zwei unterschiedliche Entnahmeröhrchen: 1 ml Serum zur Insulin- und 1 ml NaF(luorid-Citrat)-Blut zur Glucosebestimmung. Vor der Untersuchung ist eine Nahrungskarenz von 12 Stunden einzuhalten. Die Blutentnahme in die zwei Blutröhrchen erfolgt danach früh auf leeren Magen. Zur exakten Ermittlung des HOMA-IR-Werts empfiehlt es sich, den Glucosewert ebenfalls im Labor bestimmen zu lassen. Das Fluorid-Citrat-Gemisch hemmt sofort die nach Blutentnahme einsetzende Glykolyse. Die Glucose-Konzentration bleibt bis zu 48 Stunden bei Raumtemperatur stabil und ermöglicht somit den Transport der Probe in das medizinische Labor.
Bei einem HOMA-IR-Wert < 2 ist eine Insulinresistenz unwahrscheinlich, bei 2 bis 2,4 ist sie möglich, bei 2,5 bis 5 ist sie wahrscheinlich und ein Wert > 5 entspricht dem Durchschnittswert bei T2D.
In der Studie von Bellasi et al. befand sich die chronische Nierenschädigung der Frauen und Männer in den Stadien 3b–4. Der Serum-Bicarbonatspiegel
in der Blutgasanalyse lag zu Beginn der Studie bei < 24 mmol/l. Die Interventionsgruppe nahm Natriumhydrogencarbonat-Tabletten ein. Der Serum-Bicarbonatspiegel wurde im Zuge der einjährigen Behandlung auf Werte zwischen 24 und 28 mmol/l eingestellt und so dosistitriert, dass diese während der Studiendauer in diesem Bereich blieben.
Nach einem Jahr konnte das Bellasi-Team zeigen, dass bei Personen mit T2D und chronischer Nierenfunktionseinschränkung die durchgeführte orale Gabe von Natriumhydrogencarbonat im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zu einer Verbesserung der abgefallenen Insulinsensitivität führte.
Die HOMA-IR-Werte hatten sich in der Interventionsgruppe signifikant verbessert. Gleichzeitig senkte diese Therapie die Serumspiegel von Glucose (Abb.), glykosyliertem Hämoglobin und Insulin. Der Bedarf an antidiabetischer Medikation (Biguanide und Sulfonylharnstoffe) war zu Beginn der Studie in beiden Gruppen gleich gewesen. Am Studienende war er aber in der Interventionsgruppe geringer als in der Kontrollgruppe.
Die Studienergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, bei Menschen mit T2D nicht nur auf die diabetische Stoffwechsellage, sondern auch auf die Nierenfunktion mit der Komplikation cmA zu achten. Eine 2020 online veröffentlichte Befragung von Ärztinnen und Ärzten mit diabetologischer Zusatzqualifikation ergab, dass viele von ihnen diese Problematik als Verantwortungsbereich der Nephrologie sehen [1]. Da aber die rechtzeitige Therapie der cmA nicht nur die Progression der Nierenfunktionseinschränkung verlangsamen kann [5], sondern auch den Diabetesstoffwechsel verbessert [3], gilt es, den Stellenwert der cmA in diabetologischen Fachkreisen zu erhöhen [1]. In der letzten Konsequenz empfiehlt es sich auch, die Hausärzte und Hausärztinnen diesbezüglich zu sensibilisieren.
Der Autor
Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann
Arzt für Innere Medizin/Nephrologie,
Hypertensiologe-DHL® und Rehabilitationswesen
Im Wölftegrund 27
34537 Bad Wildungen
Bildnachweis: privat