Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms beeinflusst viele Prozesse im Körper. Und es mehren sich die Zeichen, dass auch die endokrinologische Steuerung beeinflusst wird. Beispiele sind das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS), Übergewicht und Infertilität.
Das Darmmikrobiom spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Estrogenspiegels im Körper. Eine Störung der mikrobiellen Zusammensetzung kann zu einer Unter- oder Überversorgung mit freiem Estrogen führen. Daraus können hormonabhängige Erkrankungen wie Endometriose, Brustkrebs sowie das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) resultieren. PCOS ist mit einer Prävalenz von 8–13 % die häufigste endokrine Erkrankung von Frauen im reproduktionsfähigen Alter.[1] Es wird eine starke erbliche Komponente vermutet, betroffen sind viele endokrine Prozesse wie die adrenale und ovarielle Steroidhormongenese und die Steroidhormonwirkung. Das führt u. a. zu überhöhten Spiegeln männlicher Geschlechtshormone und in der Folge zu betont männlicher Körperbehaarung, Akne, aber auch zu Haarausfall. PCOS ist darüber hinaus auch durch einen chronischen Entzündungs- und Insulinresistenzzustand gekennzeichnet.
Dass das Mikrobiom zu PCOS-assoziierten Symptomen beitragen kann, gilt als gesichert. Das Darmmikrobiom, definiert als das kollektive Genom von Mikroorganismen, die den Magen-Darm-Trakt bewohnen, hat zunächst einmal direkten Einfluss auf die Energieaufnahme und das Körpergewicht. Veränderungen des Darmmikrobioms können mit Adipositas assoziiert sein.[2] Es konnte gezeigt werden, dass ein Stuhltransfer von gesunden Spendern die periphere Insulinsensitivität bei Patienten mit metabolischem Syndrom verbessern konnte.[3] Darüber hinaus zeichnet sich ein Zusammenhang zwischen Darmbakterien, Fettleibigkeit und Wirtsgenetik ab.[4] Im Mausmodell steuern Darmbakterien den systemischen Metabolismus des Wirts über eine Veränderung der Darmepithelbarriere. Dadurch kommt es zu einer Translokation bakterieller Endotoxine in den Blutkreislauf. Das wiederum kann in der Folge die Insulinresistenz und die Lipidspeicherung durch eine Hochregulierung der proinflammatorischen Signalübertragung fördern.
Schon 2012 formulierten Tremellen und Pearce die Hypothese, dass eine durch die Ernährung verursachte bakterielle Dysbiose des Darms über eine solche Endotoxämie auch die chronische Entzündung auslösen könnten, die anschließend zur Insulinresistenz und zur Androgenhypersekretion im Zusammenhang mit PCOS führen, was die normale Follikelentwicklung beeinträchtigt.[5] Berichte über Veränderungen des Stuhlmikrobioms in PCOS-Nagetiermodellen scheinen dieses Modell ebenso zu stützen wie Daten zur Darmpermeabilität bei PCOS-Patientinnen.[6] Dort wird ein Anstieg des Serumzonulins berichtet, eines Reglers der Tight-Junction-Funktion. Somit könnte die DOGMA-Theorie (Dysbiosis of Gut Microbiota) von PCOS alle drei Komponenten des Syndroms erklären: Anovulation / Menstruationsunregelmäßigkeit, Hyperandrogenismus (Akne, Hirsutismus) und die Entwicklung multipler kleiner Ovarialzysten.
Eine Pilotstudie von 2017 analysierte das Mikrobiom von 24 PCOS-Patientinnen und 19 gesunden Kontrollen anhand der 16S rRNA.[2] Das Mikrobiom von PCOS-Patientinnen zeigte dabei im Vergleich zu Kontrollen eine geringere Diversität und eine veränderte phylogenetische Zusammensetzung. Die Patientinnen zeigten zudem Veränderungen bei einigen, aber nicht allen Markern der Darmbarrierefunktion und der Endotoxämie. Die Autoren diskutierten folgende Hypothese: Da die PCOS-Patientinnen und die Kontrollgruppe keinen signifikanten Unterschied im Body-Mass-Index (BMI) aufwiesen, könnte es sich um einen milden metabolischen Phänotyp mit nur geringfügig höheren Indizes für Insulinresistenz und Dyslipidämie handeln, der sich jedoch im Darmmikrobiom dieser Patientinnen widerspiegelt. Da sowohl PCOS als auch das Darmmikrobiom offensichtlich einen genetischen Faktor haben, könnten dieselben genetischen Faktoren, die für PCOS prädisponieren, auch die Etablierung eines metabolisch nachteiligen Darmmikrobioms fördern, das den PCOS-Phänotyp weiter antreiben würde. Diese Ergebnisse müssten mit einer größeren Kohorte, einschließlich schwererer PCOS-Phänotypen mit Adipositas (BMI > 30) und manifestem Typ-2-Diabetes sowie einer ausgeprägteren Hyperandrogenämie bestätigt werden.
Im reproduktionsfähigen Alter tritt bei PCOS-Patientinnen häufig das Leitsymptom Infertilität in den Vordergrund. Neben dem Darmmikrobiom kann dabei aber auch das vaginale Mikrobiom eine wesentliche Ursache für die Infertilität sein. Eine Hypothese besagt, dass bei solchen Frauen möglicherweise eine chronische Endometritis vorliegt. Doch obwohl die Histologie eindeutig eine chronische Entzündung zeigt, lassen sich mittels Biopsie und Kultur keine Keime nachweisen. Das vaginale Mikrobiom wird durch das Vorhandensein von Bakterien der Gattung Lactobacillus definiert und verändert sich typischerweise während des Menstruationszyklus, abhängig von Faktoren wie Vaginalhygiene, sexueller Aktivität und der Verwendung von Intimprodukten. Rund um den Estradiolpeak beim Eisprung und den Anstieg des Progesterons in der mittleren Lutealphase ist die Zusammensetzung stabiler.[7]
Ferner wurden Unterschiede bei schwangeren und nicht schwangeren Frauen in Bezug auf Stabilität und Zusammensetzung des Vaginoms gezeigt, was Auswirkungen auf reproduktive Vorgänge nahelegt.[8] So wurden bakterielle Vaginosen mit geburtshilflichen Komplikationen wie Frühgeburten in Verbindung gebracht. Der Uterus selbst wurde klassisch als steriles Organ angesehen. Erst mikrobiologische Untersuchungen von Endometriumproben aus der Hysterektomie und aktuelle molekularbiologische Untersuchungen zeigten, dass der Uterus sehr wohl besiedelt ist.[9,10] Eine differenzierte Untersuchung der endometrialen Mikrobiota mithilfe der 16S-rRNA-Genpyrosequenzierung konnte schließlich zeigen, dass sich das Mikrobiom des Uterus bei den meisten Frauen vom Mikrobiom der Vagina unterscheidet.[11] Die Autoren haben das endometriale Mikrobiom als LD (Lactobacillus-dominiert) oder NLD (nicht Lactobacillus-dominiert) definiert. Bei den meisten Frauen war das Endometrialemikrobiom im Verlauf des Zyklus stabil, Hormone scheinen keinen Einfluss auf die bakterielle Besiedlung zu haben. Diese Klassifizierung ermöglichte die Diagnose der „mikrobiologischen Gesundheit des Endometriums“ von IVF-Patientinnen und deren Korrelation mit ihrem reproduktiven Ergebnis. Eine NLD-Mikrobiota korrelierte im Vergleich zu Probanden mit einer LD-Endometrium-Mikrobiota stark mit unerwünschten Ergebnissen (Abb. 1): Bei einem LD-Mikrobiom im Uterus gelang die Implantation zu 60,7 %, bei einem NLD-Mikrobiom nur zu 23,1 %. Die Schwangerschaftsrate verringerte sich bei einem NLD-Mikrobiom von 70,6 auf 33,3 % und der Anteil von Lebendgeburten ging von 58,8 auf 6,7 % zurück. Auf welche Weise die Bakterien ohne erkennbare Infektion die Fruchtbarkeit reduzieren, ist nicht bekannt. Bei Frauen mit PCOS hat auch das Körpergewicht einen signifikanten Einfluss auf den Erfolg reproduktionsmedizinischer Maßnahmen – so schließt sich der Kreis. Übergewichtige Frauen mit PCOS haben im Vergleich zu normalgewichtigen eine um 69 % niedrigere Chance auf eine Schwangerschaft, auch die Geburtenrate liegt 71 % niedriger. Eine nachhaltige Gewichtsreduktion vor einer gewünschten Schwangerschaft kann diese Werte deutlich verbessern.[12]
Last but not least könnte die Modulation des Mikrobioms eine interessante zukünftige therapeutische Anwendung sein. Schon lange ist bekannt, das vom Mikrobiom des Darms produzierte Produkte („Estrobolom“) zum Estrogen-Metabolismus beitragen.[139 Durch die von ihnen produzierte ß-Glucuronidase wird Estrogen dekonjugiert, welches anschließend im enterohepatischen Kreislauf zurückgewonnen wird und als freies Estrogen zur Gesamtestrogenmenge des Körpers beiträgt (Abb. 2). Die Zusammensetzung und damit die funktionelle Aktivität des Estroboloms kann sowohl durch Wirtsfaktoren als auch durch andere Einflüsse verändert werden.[13] Eine ungünstige Ernährung und ein ungesunder Lebensstil können das Estrobolom stören. Es wurde ebenfalls festgestellt, dass Antibiotika und hormonelle Kontrazeptiva den Bakterienhaushalt beeinflussen. Die Beziehung zwischen Darmmikrobiom und Steroidhormonen ist dabei wechselseitig.[14] Beim Menschen ist die Datenlage bezüglich Gender-Unterschieden des Darm-Mikrobioms unstimmig. Unbestritten ist dagegen, dass es unterschiedliche angeborene und adaptive Immunantworten zwischen Männern und Frauen gibt. Das führt u. a. dazu, dass Frauen besser gegen virale Infektionen geschützt sind – was aktuell auch für SARS-CoV-2-Infektionen berichtet wird –, dafür häufiger unter Autoimmunerkrankungen leiden als Männer. Ob in diese Interaktion zwischen Geschlechtshormonen, Immunsystem und Umweltfaktoren auch das Mikrobiom beteiligt ist, wird aktuell erforscht.
[1] Aziz R et al., J Clin Endocrin Metabol 2005; 90: 4650–4658
[2] Lindheim L et al., PLOS one; doi: 10.1371/journal.pone.0168390
[3] Vrieze A et al., Gastroenterol 2012; 143: 913–916
[4] Goodrich JK et al., Cell 2014; 159: 789–799
[5] Tremellen K et al., Med Hypothjeses 2012; 79: 104–112
[6] Zhang P et al., Eur J Endocrinol 2015; 172: 29–36
[7] Gajer P et al., Sci Transl Med 2012; 4: 132ra52
[8] Ravel J et al., PNAS 2011; 108 suppl: 4680–4687
[9] Moller BR et al., Acta Obstet Gynecol Scand 1995; 74: 216–219
[10] Mitchell CM et al., Americ J Obstet Gynecol 2015; 212: 611.e1–9
[11] Moreno I et al., Americ J Obstetr Gynecol 2016; 215: 684–703
[12] Keck C et al., Gynäkologe 2019; 52: 644–653
[13] Kwa M et al., J Natl Cancer Inst 2016; 108: djw029
[14] Verhasselt HL, Gynäkol Geburtsh 2019; 24: 28–35