Die ART (Artificial Reproductive Technology) hat sich in den vergangenen Jahren in großen Schritten weiterentwickelt und der Anteil der Kryotransfers steigt weiter an. Dieser Beitrag gibt eine Übersicht zum aktuellen Stand der Reproduktionsmedizin in Deutschland sowie zu Trends und gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Von 1997 bis 2018 wurden in Deutschland 319 119 Kinder nach ART geboren. Im aktuellen Jahrbuch konnten für das Jahr 2019 110 786 Behandlungszyklen erfasst werden [1]. In Europa werden die meisten ART-Behandlungen in Spanien (140 909 Behandlungszyklen) gefolgt von Russland (121 235 Behandlungszyklen) durchgeführt [2]. Die Erfolgschancen nach ART sind international stabil. Nur nach Eizellspende und nach Transfer kryokonservierter Embryonen konnten nach ESHRE (European Society of Human Reproduktion und Embryology) steigende Behandlungserfolge dokumentiert werden. Mit Etablierung der Vitrifikation werden heute Therapien mit Eizellspende zunehmend mit kryokonservierten Eizellen durchgeführt. In Europa meldeten 22 Länder Eizellspendetherapien unter Verwendung kryokonservierter Eizellen. Die Schwangerschaftsrate betrug 43,7 % und die Geburtenrate 29,9 % (ESHRE European National Registries 2016). Am häufigsten werden ICSI-Therapien durchgeführt, der Anteil beträgt in Deutschland 70,5 %. Der elektive Single Embryo Transfer (eSET) mit Kryokonservierung weiterer entwicklungsfähiger Blastozysten ist heute international die optimale Therapie zur Erzielung guter Schwangerschaftsraten bei gleichzeitiger Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften. Die Zwillingsrate in Europa betrug 2016 ca. 15 %. Der Anteil von eSET stieg in Europa von 11 % in 1997 auf 40 % in 2016 an. In Schweden z. B. erfolgte in fast 80 % aller Therapien der SET, die Geburtenraten von Zwillingen nach ART lag unter 5 % [3]. In Deutschland lag 2018 in Frischzyklen die Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer stabil bei 32,2 % und die Geburtenrate pro Embryotransfer bei 23,6 % [1]. Positiv zu werten ist die Abnahme der Anzahl transferierter Embryonen pro Zyklus: im Frischzyklus wurden durchschnittlich 1,7 und im Auftauzyklus durchschnittlich 1,6 Embryonen transferiert. Zum Vergleich wurden im Jahre 1997 noch 2,6 Embryonen im Schnitt übertragen. Der Anteil an Mehrlingen ist in Deutschland erstmalig unter 20 % gesunken. Die Zwillingsraten sind in Deutschland höher als im europäischen Vergleich. Qualitätskriterium der ART ist nicht allein die Schwangerschaftschance, sondern die Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften. In der Praxis hat sich die Durchführung des Transfers am Tag 5 der embryonalen Entwicklung (Blastozystenstadium) mit höherer Implantationsrate zunehmend durchgesetzt. Bei IVF beträgt z. B. die Implantationsrate beim Single Embryo Transfer (SET) an Tag 3 20,4 % und an Tag 5 35,5 % [1] (Abb. 1). Nach SET konnte für IVF/ICSI eine Geburtenrate/Transfer von 26,9 % erzielt werden, nach Double Embryo Transfer (DET) von 30,5 % bei einer Mehrlingsrate von 28,3 % [1] (Abb. 2). Wichtigste Aufgabe betreuender Ärztinnen und Ärzte ist die detaillierte Aufklärung der Paare über Schwangerschaftschance und Mehrlingswahrscheinlichkeit sowie die Risiken der Mehrlingsschwangerschaft für die Schwangerschaft selbst und geborene Kinder. Mit Rückübertragung von zwei Blastozysten verdoppelt sich die Schwangerschaftschance nicht, aber das Mehrlingsrisiko steigt erheblich an.
Betrachtet man die gute Ergebnisqualität der Behandlungszyklen mit SET, die bei Nutzung des „Deutschen Mittelweges“ möglich sind, besteht weiterhin die dringende Notwendigkeit nach einem Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland. Die Leopoldina veröffentlichte 2019 ihre Stellungnahme „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung“(Auszug): Seit der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes 1990 hat sich die Reproduktionsmedizin rasant weiterentwickelt und neue diagnostische und therapeutische Maßnahmen für die Kinderwunschbehandlung zur Verfügung gestellt, in deren Zentrum immer die Gesundheit der Beteiligten und insbesondere der Kinder stehen muss. Um die Geburt eines Kindes zu erreichen, gleichzeitig aber Mehrlingsschwangerschaften zu vermeiden, sollte das zukünftige Fortpflanzungsmedizingesetz gemäß dem internationalen Stand der Wissenschaft zulassen, aus einer größeren Anzahl von Embryonen denjenigen mit den besten Entwicklungschancen auszuwählen und zu übertragen (eSET). Zu prüfen ist eine Verknüpfung der Kostenübernahme mit einer möglichst niedrigen Zahl der transferierten Embryonen in Abhängigkeit vom Alter der Frau und der Anzahl bisheriger erfolgloser Versuche [4]. Das Embryonenschutzgesetz stammt von 1990 und erfasst viele neue reproduktionsmedizinische Entwicklungen nicht und wird dem gesellschaftlichen Wandel und der Vielfalt heutiger Familienformen nicht mehr gerecht.
Das mittlere Alter der behandelten Patientinnen und Patienten ist erneut gestiegen und betrug für Frauen 35,5 Jahre und für Männer 38,9 Jahre [1]. Während die klinische Schwangerschaftsrate bis zum 30. Lebensjahr bei ca. 40 % liegt, nimmt diese bereits ab dem 31. Lebensjahr langsam, aber kontinuierlich ab. Im 36. Lebensjahr liegt sie bei knapp 35 %, im 42. Lebensjahr um 15 % pro Embryotransfer. Schwangerschaften ab dem 45. Geburtstag sind eine Rarität – in Deutschland wurde eine einzige Geburt nach homologer ART dokumentiert. Wichtig bleibt weiterhin die Aufklärung auch von uns Frauenärztinnen und Frauenärzten über die Bedeutung des Alters für die Realisierung des Kinderwunsches. Neben der abnehmenden Schwangerschaftschance ist dabei auch die altersabhängig steigende Abortrate zu beachten. Sie liegt ab dem 40. Lebensjahr über 30 %.
Die ESHRE veröffentlichte 2019 die Guideline „Ovarian Stimulation for IVF/ICSI“ [5]. Die kontrollierte ovarielle Überstimulation zur Eizellentnahme erfolgt standardmäßig mit FSH und GnRH-Antagonisten. Die Stimulation im GnRH-Antagonisten-Protokoll ermöglicht u. a. durch individuelle Induktion der finalen Eizellreifung mit GnRH-Agonisten die Vermeidung des ovariellen Überstimulationssyndroms.
GnRH-Trigger und Freeze-All-Konzepte gehören zu den wichtigsten Weiterentwicklungen für die Erhöhung der ART-Sicherheit. Stimulationsstart in der Lutealphase oder Doppelstimulationen in einem Zyklus sind heute möglich, spielen in der Routine aber keine Rolle. Die Anwendung kann z. B. bei fertilitätsprotektiven Maßnahmen erwogen werden. Neue Stimulationsprotokolle zielen auf die Minimierung der zu injizierenden Präparate und auf Kostenreduktion. Orale Gestagene, z. B. Dydrogesteron, werden während der gesamten Stimulationszeit kontinuierlich gegeben, um einen LH-Anstieg unter der Stimulation zu verhindern. Nachteil ist die notwendige Kryokonservierung und Durchführung des Transfers in einem Folgezyklus. Vorliegende Studien zeigen gleiche Eizellzahlen und Schwangerschaftsraten. Aufgrund der aktuellen Studienlage und der Notwendigkeit der Kryokonservierung wird von der ESHRE die Stimulation mit Progesteron für die Routine nicht empfohlen. Auch der Einsatz von Wachstumshormonen, DHEA oder Testosteron zur Verbesserung des ovariellen Ansprechens bei poor respondern wird aufgrund der aktuellen Studienlage nicht routinemäßig empfohlen. Die Gabe von Progesteron in der Lutealphase nach Eizellentnahme/Transfer ist immer indiziert. Am häufigsten wird Progesteron für diese Indikation vaginal supplementiert. Die Anwendung erfolgt mindestens bis zum Schwangerschaftstest. Nach ESHRE Guideline kann auch die orale Anwendung von Dydrogesteron 30 mg/Tag empfohlen werden (Quality of evidence +++ von ++++ möglichen). Vorliegende Studien zeigen gleiche Schwangerschaftsraten bei hoher Patientinnenzufriedenheit. Beachtet muss jedoch die noch limitierte Datenlage zur Sicherheit, da sich Dydrogesteron strukturell vom natürlichen Progesteron unterscheidet. Erste Untersuchungen zeigen keine erhöhte Fehlbildungsraten bei geborenen Kindern.
Die Bedeutung der Kryokonservierung im Zuge der ART nimmt kontinuierlich zu. Im Jahr 2019 wurden 30 666 Kryozyklen in Deutschland durchgeführt. Kryozyklen machen > 30 % aller Therapien aus. Auch die Schwangerschaftschance im Kryozyklus nimmt kontinuierlich zu. Die Anzahl der Geburten aus Auftauzyklen betrug 2018 in Deutschland 5 499, das entspricht 30,4 % der Geburten nach ART. Die Zahlen verdeutlichen die hohe Relevanz der Kryokonservierung im Zuge der ART. Die Verfahren der Kryokonservierung sind heute etabliert, die Überlebenswahrscheinlichkeit beim Prozess des Einfrierens und Auftauens > 95 %. Der zweite wichtige Faktor für die Schwangerschaftschance ist die Durchführung des Transfers bei optimalen Implantationsvoraussetzungen im „window of implantation“. Das Zeitfenster für die Implantation wird im natürlichen Zyklus durch den LH-Anstieg definiert und beginnt am dritten oder vierten Tag nach der Ovulation. Medikamentös kann das Zeitfenster durch Ovulationsinduktion oder Progesterongabe festgelegt werden. Es werden drei Varianten der Vorbereitung des Kryotransfers unterschieden:
• true natural cycle frozen embryo transfer (tNC-FET)
• modified natural cycle frozen embryo transfer (mNC-FET)
• artificial cycle frozen embryo transfer (AC-FET)
Voraussetzung für den Transfer im natürlichen Zyklus ist das Vorhandensein eines regulären ovulatorischen Zyklus. Bei Patientinnen mit Oligo- und Amenorrhoe erfolgt der Kryotransfer im Substitutionszyklus. Im natürlichen Zyklus wird der LH-Anstieg durch Blut- oder Urin-Tests festgestellt und der Transfertag festgelegt (tNC-FET). Im mNC-FET erfolgt das Ultraschallmonitoring in der späten Follikelphase. Bei Nachweis eines dominanten Follikels von 16– 20 mm wird die Ovulation mit hCG induziert und der Transfer terminiert. Vorliegende Studien lassen offen, ob ein Lutealphasensupport im natürlichen Zyklus die Schwangerschaftschance erhöht. Im artifiziellen oder Substitutionszyklus (AC-FET) wird Estradiol oder Estradiolvalerat ab Zyklusanfang substituiert. Nach Ultraschallkontrolle des Endometriums erfolgt die Zugabe von Progesteron und Planung des Transfers. Mit Start der Progesterongabe wird der Transfertag festgelegt. Der Substitutionszyklus ermöglicht eine flexible Planung des Transfers bei reduziertem Monitoringaufwand. Die Estrogen- und Progesterongabe müssen jedoch bis zur 12. SSW fortgesetzt werden. Die Estrogengabe kann oral oder transdermal erfolgen, die Progesterongabe erfolgt bevorzugt vaginal. Eine Cochrane-Analyse von 2017 fand keine Evidenz, eine Variante der Vorbereitung für den Kryotransfer bei Frauen mit regulärem Zyklus in Bezug auf die Schwangerschaftschance zu bevorzugen [6]. Auch eine Metaanalyse 2018 bestätigt gleiche Schwangerschaftschancen für NC-FET und AC-FET [7]. Nach aktuellen Untersuchungen besteht in Schwangerschaften nach Substitutionszyklen jedoch ein erhöhtes Risiko für hypertensive Schwangerschaftserkrankungen. Als ursächlich wird das Fehlen des Corpus luteum im programmierten Zyklus angesehen, da das Corpus luteum auch vasoaktive Substanzen wie Relaxin and Vascular Endothelial Growth Factor produziert [8]. Bei Frauen mit regulärem Zyklus und insbesondere bei vorausgehenden hypertensiven Erkrankungen muss dieser Aspekt berücksichtigt werden.
Seit der Gesundheitsreform 2004 müssen gesetzliche versicherte Paare mindestens die Hälfte der Kosten einer Kinderwunschbehandlung selbst tragen. Unverheiratete gesetzlich versicherte Paare erhalten keine Unterstützung von Seiten der GKV. Kosten für die Kryokonservierung im Zuge der ART zählen nicht zum Leistungskatalog der GKV. Für eine Kostenbeteiligung an bis zu drei Behandlungszyklen IVF oder ICSI im GKV-Bereich müssen u. a. diese Bedingungen erfüllt sein:
• Das Paar, das die künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen will, muss verheiratet sein und es dürfen nur Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden.
• Anspruch auf Leistung zur künstlichen Befruchtung besteht nur für Versicherte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben. Der Anspruch besteht nicht für weibliche Versicherte, die das 40. Lebensjahr und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Die angegebenen Altersgrenzen müssen für beide Partner in jedem Behandlungszyklus (Zyklusfall) zum Zeitpunkt des ersten Zyklustages im Spontanzyklus, des ersten Stimulationstages im stimulierten Zyklus bzw. des ersten Tages der Down-Regulation erfüllt sein.
• Für die Therapie muss ein Behandlungsplan erstellt und genehmigt werden.
Einige gesetzliche Kassen übernehmen einen höheren Anteil der Kosten für die künstliche Befruchtung als vorgeschrieben. Die Satzungsleistungen einer Krankenkasse können sich jedoch jederzeit ändern. Zusätzlich fördern manche Bundesländer die Kinderwunschbehandlung, um die Paare finanziell zu entlasten. Mit einem Zuschuss zu den Behandlungskosten unterstützen z. B. der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen Paare, die ungewollt kinderlos bleiben. Das Ziel dieser finanziellen Unterstützung liegt darin, den Zugang zur Reproduktionsmedizin für alle Paare mit unerfülltem Kinderwunsch zu erleichtern. Die Unterstützung kann unabhängig vom Versicherten- und Verheirateten-Status beantragt werden. Die finanzielle Unterstützung vom Land ist absolut positiv zu werten, hat jedoch eine weitere Zunahme der Bürokratie und Zeitverzögerung bis zum Therapiestart zur Folge. So kann die Bearbeitungszeit von Bewilligungsanträgen aktuell aufgrund des hohen Antragsaufkommens ca. sechs Wochen betragen [9]. Vorrangig werden Auszahlungsanträge mit dem Aktenzeichen 2019 bearbeitet. Für den Bewilligungsantrag muss der genehmigte Behandlungsplan der Kasse vorliegen und die Therapie darf erst nach Bewilligung starten. Jeder Therapieversuch muss beim Land separat beantragt werden. Die Kostenübernahme im PKV-Bereich richtet sich nach dem „Verursacherprinzip“, d. h., Kosten werden erstattet, wenn beim Versicherten eine Krankheit vorliegt.
Die Autorin
PD Dr. med. Dolores Foth
MVZ PAN Institut GmbH
Interdisziplinäres Kinderwunschzentrum
Zeppelinstr. 1 | 50667 Köln
1 www.deutsches-ivf-register.de
2 www.eshre.eu/Annual-Meeting/Vienna-2019/Media/2019-Press-releases/EIM
3 De Geyter C et al., Human Reprod 2018; 33: 1586–1601
4 www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2019_Stellungnahme_Fortpflanzungsmedizin_Kurz_web_02.pdf
5 www.eshre.eu/Guidelines-and-Legal/Guidelines/Ovarian-Stimulation-in-IVF-ICSI
6 Ghobara T et al., Cochrane Database Syst Rev 2017; 7: CD003414
7 Groenewoud ER et al., Fertil Steril 2018; 109: 768–774
8 Singh B et al., Fertil Steril 2020; 113: 252–257
9 www.bezreg-muenster.de/de/gesundheit_und_soziales/kinderwunsch/index.html, Stand: 13.01.2021
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