Krebserkrankungen entwickeln sich teilweise zu einer chronischen Erkrankung. Das ist unter anderem in der kontinuierlichen Weiterentwicklung der antitumorösen Therapien begründet. Für die Patienten heißt das aber auch, dass sie beispielsweise eine orale Antitumortherapie dauerhaft einnehmen müssen.
Die Bereitschaft, Tabletten konsequent einzunehmen, sinkt mit zunehmenden Nebenwirkungen sowie der steigenden Anzahl an Medikamenten. In der Folge hält sich der Patient nicht an die Vorgaben. Andere Einflussfaktoren darauf sind:
• patientenbezogen das Alter und Geschlecht, der sozioökonomische Status, Ängste, persönliche Eigenschaften und Krankheitstheorien, Wissen und Motivation sowie körperliche und mentale Einschränkungen,
• krankheitsbezogen das Stadium der Erkrankung, Komorbiditäten, Symptomlast,
• behandlerbezogen die Entfernung zur Praxis/Einrichtung, Wartezeiten, Zeitdruck, Vertrauen, Patienten-Arzt- bzw. Pflege/MFA-Verhältnis, Kommunikationsqualität,
• therapiebezogen die Komplexität des Therapieregimes, Polypharmazie, Behandlungsdauer
• und systembezogen die Arzneimittelversorgung, -bewilligung und -finanzierung sowie Unterstützungsangebote oder Hilfsmittelbereitstellung.
Mit sich verändernden Rollen aller am Therapieprozess Beteiligten, aber vor allem der Patienten, wurde primär für chronische Erkrankungen das Modell der partizipativen Entscheidungsfindung (PEF) entwickelt. Dieses eignet sich besonders für Krebserkrankungen, da die komplexen Behandlungsstrategien mit den jeweiligen Nebenwirkungen sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten haben. Bei der PEF ändert sich die Einbindung der Patienten deutlich. Eine grundlegende Technik dabei ist, erst zu verhandeln, dann zu behandeln. Die Patienten haben damit die Chance, Teilverantwortung für sich zu übernehmen, aktiv zu werden und damit dem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins entgegenzuwirken. Die geteilte Entscheidung und Verantwortung fördert die Selbstwirksamkeit der Patienten und damit auch die Therapiemotivation (Adhärenz) und Therapietreue (Compliance). Voraussetzung dafür ist, dass der Patient beteiligt werden möchte und dazu in der Lage ist. Ärzte wie auch Pflegende/MFAs sollten PEF in einer patientenzentrierten Kommunikation umsetzen. Das meint ein Abwenden von „Sie müssen die Tabletten zweimal täglich im Zwölfstunden-Abstand einnehmen. Das sollte nicht so schwer sein…“, hin zu einer inneren Haltung der Anerkennung, Wertschätzung und aufmerksamen Zuhörens. Die Weltgesundheitsorganisation definiert Adhärenz als das Ausmaß, in dem das Verhalten einer Person mit den Empfehlungen übereinstimmt, die mit einem Arzt oder einem anderen professionellen Versorger vereinbart wurden. Es betrifft demnach nicht nur die korrekte und zuverlässige Medikamenteneinnahme, sondern ebenso das empfohlene Verhalten, z. B. Hautpflege, Infektionsprophylaxe oder Bewegung. Pflegende oder MFAs führen oft im Rahmen des Supportivmanagements Schulungen und Beratungen zu relevanten Themen durch. Diese edukativen Maßnahmen haben in der Onkologie zur Verbesserung der Adhärenz einen besonderen Stellenwert und werden seit Jahren weiterentwickelt. Die methodischen (z. B. Gesprächstechniken, Beratungsprozess) und kommunikativen
Die WHO definiert Adhärenz als das Ausmaß, in dem das Verhalten einer Person mit den Empfehlungen übereinstimmt, die mit einem Arzt oder anderen professionellen Versorger vereinbart wurden.
(z. B. Abholen, wo der Patient steht, Empathie) Fähigkeiten der Pflegenden/MFAs sind neben dem Fachwissen und der eigenen Haltung (z. B. Patientenbeteiligung) wichtige Faktoren in der Patientenedukation. Ressourcenorientierung und salutogenetische Leitgedanken sind Grundelemente des Empowerments, welches u. a. das Ziel hat, Kompetenzen zur Situationsbewältigung zu entwickeln (z. B. Problemlösung, Selbstvertrauen). Ressourcenorientiertes Arbeiten bedeutet nicht, Defizite zu verleugnen, sondern sie zu betrachten und dem Patienten zu helfen, jene Fähigkeiten und Fertigkeiten wahrzunehmen, die bei der Problemlösung hilfreich sind. Dies ist wichtig, da sich Patienten sonst nicht wahrgenommen fühlen und ihre Probleme noch mehr betonen. Leitfragen können sein:
• Wann haben Sie das Problem nicht? Was ist der Unterschied in Situationen, in denen das Problem vorkommt oder nicht?
• Was müsste geschehen, damit die Ausnahmen häufiger vorkommen?
• Woran würden Sie merken, dass es Ihnen besser geht? Woran würde es Ihre Umgebung merken?
• Was haben Sie schon alles getan, um das Problem zu lösen?
• Was machen Sie, damit Ihr Problem nicht noch größer wird?
Die Adhärenz lässt sich fördern indem die Eigenaktivität und Selbstbestimmung der Patienten unterstützt werden, damit sie so wenig wie möglich Hilflosigkeitserfahrungen machen. Die Förderung des Selbstwirksamkeitsgefühls wird durch direkte positive Erfahrungen, Beobachtung guter Modelle, Ermutigung und Wahrnehmung eigener Lebendigkeit gestärkt. Konkret meint das: Impulse für Entscheidungen wahrnehmen und unterstützen, Entscheidungsspielräume eröffnen, Recht auf Irrtum und Risiko zugestehen (Lernerfahrungen ermöglichen), Entscheidungen mittragen, Zutrauen in Patienten entwickeln und vermitteln, Entscheidungen nicht einfordern, keinen Druck ausüben, Unterstützung anbieten, Rückmeldungen geben und anfangs Empfehlungen aussprechen. Zur Förderung können sich Helfer folgende Orientierungsfragen stellen:
• Ist notwendiges Wissen vorhanden? Wenn nicht, erforderliche Infos geben
• Ist notwendiges Können vorhanden? Wenn nicht, Schulung, Anleitung, Verhaltensübungen
• Ist ausreichende Motivation vorhanden? Wenn nicht, Förderung z. B. durch kognitive Therapietechniken (z. B. operantes Lernen, motivierende Gesprächsführung)
• Ist mein eigenes Behandlungsvorgehen patientengerecht (Eigenreflexion)? Wenn nicht, ggf. Vereinfachung
• Was wird benötigt? Genaue Instruktionen z. B. mit Infoblättern, Therapiepässen, Erinnerungs-Apps, Selbstbeobachtungstagebücher
Nichtansprechen der Therapie, Terminunregelmäßigkeiten oder Unpünktlichkeit können Indizien für fehlende Adhärenz oder Compliance sein. Hier gilt es, die Patienten vorwurfsfrei und ohne Druck direkt anzusprechen, z. B. „Viele Patienten vergessen vor allem abends, die Tabletten einzunehmen. Ist Ihnen das einmal oder mehrmals in der vergangenen Woche passiert? Oder wie ist das bei Ihnen?“ Adhärenz fördern bedeutet eine Grundhaltung für das gesamte Team und ist eine gemeinschaftliche Aufgabe aller am Therapieprozess Beteiligten.
Die Autorin
Susanne Kelber
Universitätsklinikum Frankfurt
Universitäres Centrum für Tumorerkrankungen / UCT Tagesklinik
Studium Medizinpädagogik
KOK-Vorstandsmitglied
Seminarleitung der Fortbildungsreihe für Medizinische Fachangestellte in der Onkologie von Medac
Bildnachweis: privat