Die selektive Inaktivierung seneszenter Zellen durch sogenannte Senolytika ist eines der Hype-Themen der Anti-Aging-Medizin. Wir stellen den wissenschaftlichen Hintergrund vor und sprechen mit dem Präsidenten der Deutschen Anti-Aging-Gesellschaft über mögliche klinische Anwendungen.
Die Anti-Aging-Medizin beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem alten Menschheitstraum, nicht nur länger zu leben, sondern auch mit weniger Alterserscheinungen und Krankheiten das hohe Alter zu erreichen. Diesem Ziel ist man womöglich einen Schritt näher gekommen. Ein aktueller Beitrag von James Kirkland von der Mayo Klinik in Rochester (USA), hochrangig publiziert in Nature Medicine, lässt zumindest aufhorchen.[1] Sein Team hatte bereits vor einigen Jahren das Konzept der seneszenten Zellen entwickelt.[2,3] Über die Jahre sammeln sich Fehler in ihrem Erbgut an, irgendwann funktionieren sie nicht mehr richtig und werden in eine Art Ruhezustand versetzt. Damit entgehen Sie sowohl der Apoptose als auch den Zellen des Immunsystems, die solche Zellen ansonsten eliminieren.
Das Problem: Die seneszenten Zellen sind nicht wirklich stoffwechselneutral, sondern sezernieren Botenstoffe, die dazu beitragen, einen Körper langsam aber sicher altern zu lassen. Sie akkumulieren mit dem Alter in vielen Geweben und sind an der Pathologie bei mehreren chronischen Erkrankungen beteiligt. Im Tiermodell verzögert, verhindert oder lindert die Bekämpfung solcher seneszenter Zellen durch genetische oder pharmakologische Ansätze mehrere altersbedingte Phänotypen, chronische Erkrankungen, geriatrische Syndrome und den Verlust physiologischer Resilienz. Dazu gehören Herzfunktionsstörungen, vaskuläre Hyporeaktivität und Verkalkung, Diabetes mellitus, Lebersteatose, Osteoporose. Und was passiert, wenn man diese Zellen einfach aus dem Körper entfernt? Kirkland und seine Kollegen sind dieser Frage im Mausmodell nachgegangen. Sie setzten dabei auf sogenannte Senolytika, die selektiv die Apoptose alternder Zellen induzieren. Die Forscher verabreichten 24 bis 27 Monate alten Mäusen – in menschlichen Dimensionen wären das Seniorinnen und Senioren mit einem Alter von 75 bis 90 Jahren – einen senolytischen Wirkstoffmix. Behandelte Tiere lebten 36 % länger als Vergleichsmäuse, waren dazu in ihren letzten Lebensmonaten in den Disziplinen Laufgeschwindigkeit, Muskelstärke und physische Ausdauer genauso gut wie diese. Sie waren auch nicht häufiger krank. Die Forscher postulierten daraus, nicht nur die „Life Span“ der Tiere verlängert zu haben, sondern auch die „Health Span“ – die gesunde Lebenszeit.
Die getesteten Substanzen, der Proteinkinaseinhibitor Dasatinib und das Flavonoid Quercetin schalten jene biochemischen Signalmoleküle stumm, die zuvor dafür gesorgt haben, dass die Zellen weiterleben, obwohl sie inaktiv und kaputt sind. Da die Signalwege in intakten Zellen deaktiv sind, bleiben sie von der Wirkung der Senolytika verschont und nur alte Zellen sterben. So zumindest die Theorie. Dabei scheint es so zu sein, dass immer nur eine bestimmte Gruppe von seneszenten Zellen betroffen ist. In Kirklands Untersuchung waren es Fettzellen. Dass die verwendeten Wirkstoffe Desatinib und Quercetin ansonsten in der Onkologie eingesetzt werden, ist kein Zufall. Denn die Programme, die seneszente Zellen davor bewahren, zu sterben oder von der Immunabwehr entdeckt zu werden, sind auch in Krebszellen sehr aktiv – und daher ein guter Angriffspunkt.
Ganz so simpel wie im Mäuseversuch darf man sich eine tatsächliche Anwendung der Senolytika in naher Zukunft aber nicht vorstellen. Studien am Menschen werden Herausforderungen mit sich bringen, zum Beispiel eine sehr lange Studiendauer. Wenn es um harte Endpunkte wie Lebensdauer und gesunde Lebensdauer geht, kommen da schnell ein paar Jahrzehnte zusammen. Fieberhaft arbeitet man daher derzeit an Surrogat-Parametern, mit deren Hilfe sich ein positiver Effekt messen lässt, zum Beispiel an Komorbiditäten. Derzeit testet die Mayo Klinik die beiden verwendeten Substanzen an Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz als Spätfolge eines Diabetes. Die Studie soll klären, ob es diesen Patienten hilft, wenn deren alternde Fettzellen aus dem Körper entfernt werden. rm
Das Interview
Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk ist
Gynäkologe in Nürnberg und
Präsident der Deutschen Gesellschaft
für Anti-Aging Medizin (GSAAM).
Prof. Kleine-Gunk, Sie kommen gerade vom 2. Anti Aging Wold Summit in China. Wie wurden Senolytika dort diskutiert?
Das Thema Senolytika nahm in China einen großen Raum ein. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass mit James Kirkland der führende Senolytika-Forscher anwesend war. Abgesehen davon sehen in der Tat die meisten Experten inzwischen deren Einsatz als einen der vielversprechendsten Ansätze der Anti-Aging-Medizin.
Ist es wirklich so einfach, dass man durch das Eliminieren seneszenter Zellen das Altern zumindest verlangsamt?
Nein, so einfach ist es sicher nicht. Im wesentlichen stammen die Ergebnisse über Senolytika aus Mäuseversuchen. Was sich davon auf den Menschen übertragen lässt, muss noch gezeigt werden. Und natürlich sind seneszente Zellen nur ein Teil des Alterungsprozesses. Selbstverständlich müssen auch die anderen Alterungsfaktoren in Angriff genommen werden. Altern ist ein multifaktorielles Geschehen und lässt sich nicht durch „eindimensionale Ansätze“ behandeln.
Wann sehen Sie eine klinische Anwendung bei uns in Deutschland?
In Deutschland arbeiten einige biotechnologische Start-up-Firmen ebenfalls mit Senolytika. Diese Arbeiten werden u. a. von Michael Greve, einem wichtigen Investor im Anti-Aging-Bereich, unterstützt. In der Forschung ist Deutschland also aktuell schon mit dabei, bis zur klinischen Anwendung wird es aber sicher noch dauern.
[1] Xu M et al., Nature Medicine 2018; 24: 1246–1256
[2] Zhu Y et al., Aging Cell 2015; 14: 644–658
[3] Kirkland JL, J Am Geriatr Soc 2017; 65: 2297–2301
Bildnachweis: privat