Mit der fortschreitenden Digitalisierung werden Telemedizin und Künstliche Intelligenz (KI) immer wichtiger und verändern die medizinische Diagnose und Behandlung. Im Folgenden werden die Möglichkeiten und Fortschritte der Telemedizin und KI bei der Diagnose und Überwachung chronischer Wunden beleuchtet.
Chronische Wunden, oft assoziiert mit Diabetes mellitus bzw. Gefäßerkrankungen, stellen weltweit eine erhebliche Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Eine frühzeitige und korrekte Diagnosestellung in Kombination mit einer effektiven Überwachung sind entscheidend, um Betroffene bestmöglich zu versorgen und unnötige Kosten zu verhindern. Bestehende Versorgungskonzepte sind zwar wirksam, werden aber oft durch eine limitierte Zugänglichkeit sowie Kontinuität beeinträchtigt.
Niedrige Hürden ermöglichen rasche Versorgung
Insbesondere bei chronischen Wunden kann die Telemedizin schon heute einen großen Mehrwert aufzeigen. Patientinnen und Patienten können niederschwellig Bilder ihrer Hautveränderung an spezialisierte Fachpersonen übermitteln, ohne lange Warte- und Anfahrtszeiten. Dies reduziert die Hürden zu einer frühzeitigen und korrekten Diagnosestellung. Erste Behandlungsempfehlungen können durch medizinisches Fachpersonal online ausgesprochen werden und bei Bedarf die Vorortanbindung an ein spezialisiertes Zentrum erfolgen.
Die asynchrone Store-and-forward-Telemedizin, bei der Patientinnen und Patienten Fotos ihrer Wunden einsenden, bietet viele Vorteile. Nicht nur bei der Erstdiagnose bzw. Triage von Betroffenen kann die Teledermatologie unterstützen, vielmehr können teledermatologische Verlaufskontrollen eine enge Anbindung an das medizinische Fachpersonal ermöglichen und so frühzeitig allfällige Therapieanpassungen erfolgen. Auch können unnötige, in der Regel limitierte Vororttermine vermieden und Betroffene nur bei entsprechender Notwendigkeit in die Sprechstunde einbestellt werden. Diese neuen Wege der Kommunikation eignen sich zwischen Patientinnen und Patienten und dem ärztlichen Personal, aber auch zwischen verschiedenen Berufsgruppen (z. B. Pflegepersonal, Wundexpertinnen und -experten) bzw. interdisziplinär (z. B. Endokrinologie, Dermatologie).
Einfache Überwachung des Heilungsverlaufs dank mobiler App
Neben der reinen Kommunikation im Sinne der Telemedizin bieten bereits heutzutage technisch gestützte Applikationen (mobile Apps) sowohl Betroffenen als auch medizinischem Fachpersonal Unterstützung im klinischen Alltag. So können Systeme, basierend auf vordefinierten Algorithmen oder einer Künstlichen Intelligenz, anhand von zuvor aufgenommenen Bildern Wunden analysieren, Wundgrenzen präzise identifizieren und verschiedene Gewebetypen segmentieren (Abb.). Dies beschleunigt nicht nur den Diagnoseprozess, sondern bietet auch eine quantitative und qualitative Grundlage für die objektive Überwachung des Heilungsverlaufs.
Über die Segmentierung und Identifizierung verschiedener Gewebetypen, z. B. Granulationsgewebe oder Nekroseareale, können automatisiert Therapieempfehlungen (z. B. Durchführung eines Wunddebridements) ausgesprochen werden. Solche Systeme zur Unterstützung von Entscheidungsprozessen finden zunehmend Präsenz im klinischen Alltag. Entsprechende Algorithmen analysieren die Patientendaten inklusive der Krankengeschichte und integrieren Details zu Wundmerkmalen. Sowohl das medizinische Fachpersonal als auch die Betroffenen selbst erhalten so in Echtzeit auf Daten basierende Einblicke bzw. Auswertungen für eine adäquate Diagnostik und effektive Therapie.
Über die unmittelbare Entscheidungsunterstützung hinaus können KI-gesteuerte mobile Applikationen gewisse Vorhersagen zum Krankheitsverlauf unter entsprechenden Therapien treffen – basierend auf historischen Patientendaten vergleichbarer Kohorten. Dieser Übergang von einem reaktiven zu einem vorausschauenden, präventiven Ansatz optimiert bzw. personalisiert Behandlungsoptionen und kann zu einer beschleunigten Wundheilung beitragen.
Jenseits der traditionellen Gesundheitsversorgung bieten sowohl die Telemedizin als auch durch Künstliche Intelligenz gestützte mobile Applikationen eine ergänzende Möglichkeit für Betroffene und medizinisches Fachpersonal in der Wundversorgung. Trotz der vielen Möglichkeiten muss stetig gewährleistet werden, dass die Versorgung für alle zugänglich und effektiv ist. Die Einbeziehung der Patientinnen und Patienten bei der Gestaltung digitaler Services ist dabei von großer Bedeutung, um sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wird.
Der Experte
Dr. med. Christian Greis
derma2go Deutschland GmbH
80801 München
Dr. med. Christian Greis ist Gründer des Unternehmens derma2go AG und leitet als Oberarzt am Universitätsspital Zürich die Sprechstunde für Teledermatologie. Die derma2go AG bietet die digitale Versorgung dermatologischer Patienten von der Prävention über die Diagnosestellung und Behandlung bis zur Nachsorge von Hauterkrankungen an – in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
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