Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen sind konfrontiert mit vielen Neuerungen in der Organisation, fachlich immer komplexeren Herausforderungen sowie der Notwendigkeit guter Kooperation der verschiedenen Berufsgruppen zum bestmöglichen Nutzen für die Patienten. Sie sind fachlich gut ausgebildet, sie halten sich mit Fortbildungen auf dem neuesten Stand. Fachliche und emotionale Herausforderungen meistern sie täglich. Trotzdem kann es immer wieder Situationen mit Selbstzweifeln an der eigenen Leistung geben.
Es gibt keinen Beruf, der nicht auch stressfördernde Momente mit sich bringt. Typisch für Pflegeberufe ist, dass immer wieder alle Wahrnehmungs- und Reaktionsebenen gleichzeitig aktiviert werden. Generell wird unterschätzt, wie belastend es sein kann, Leistung unter Zeitdruck zu erbringen. Positive Aspekte des Pflegeberufs (abwechslungsreich, anspruchsvoll etc.) können rasch zur Überforderung führen. Darunter, dass die Pflege in der Öffentlichkeit oft defizitär dargestellt wird, leiden alle Pflegekräfte gleichermaßen. Vergessen wird darüber aber oft, dass eine positive Rückmeldung der Patienten ja für die meisten auch schon ein Stück Lohn ist. Soziale Konflikte unter den Mitarbeitenden, fachliche Konflikte aufgrund unterschiedlicher Sichtweisen und Berufssozialisationen und hierarchische Konflikte können zu stressauslösenden Gegebenheiten führen. Die Ursachen für Stress sind also sehr unterschiedlich, und sehr häufig ist es nicht eine einzelne Situation, die belastend ist, sondern ein komplexes Zusammentreffen mehrerer Situationen.
Sind gestellte Anforderungen über längere Zeit nur schwer zu bewältigen, sollte man Maßnahmen ergreifen, um diese zu ändern, bevor Energie und Kraft aufgebraucht sind. Der erste Schritt sollte im Einzelfall immer eine genauere Analyse der Stressfaktoren sein. Hierbei kann Supervision eine hilfreiche Rolle spielen.
In Supervisionsprozessen geht es immer um:
1. Die handelnden Menschen mit ihren (berufs-)biografischen Vorerfahrungen und ihren beruflichen Beziehungen (z. B. Teamarbeit), die
2. in einem Organisationskontext mit bestimmten Aufbau- oder Ablaufstrukturen, Hierarchien, Projekten und dgl. handeln. Dies tun sie
3. in bestimmten beruflichen Rollen und in bestimmten Positionen, an die unterschiedliche, in der Regel widersprüchliche Erwartungen (Vorgesetzte, Kollegen, Patienten, eigene …) herangetragen werden, und sie tun dies
4. für die Anspruchsgruppen ihrer Arbeit, hier besonders die Patienten. Die Arbeit findet
5. unter bestimmten rechtlichen, gesellschaftlichen und anderen Rahmenbedingungen statt, die berücksichtigt werden müssen bzw. einwirken.
„Die Kunst der Supervision ist, diese Aspekte (Mensch, Organisation, Rollen, Anspruchsgruppen, Rahmenbedingungen) im Blick zu behalten, um über ein vertieftes Verstehen dieser Aspekte und ihres Zusammenspiels zu neuen und vielleicht besseren Handlungsoptionen zu kommen und zu einer Analyse im Kontext eines Stressmanagements beizutragen“, sagt Paul Fortmeier, Geschäftsführer und Verbandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching e. V. (DGSv). „Stressmanagement ist ein Sammelbegriff für Methoden, die Stress verringern und abbauen können. Sie können hilfreich sein, um das Gleichgewicht zwischen Belastung und Entlastung zu halten,“ sagt die Berliner Supervisorin Franziska Misch, Mitglied der DGSv. „Ziel ist es, durch persönliches Stressmanagement belastenden Stress zu verringern bzw. ganz zu vermeiden.“ Das Angebot einer Supervision in Krankenhäusern kann zunächst zu einer Entlastung der Pflegenden führen, wovon die Patienten profitieren (Reduzierung der Gereiztheit beim Personal). Sie unterstützt angemessenes Verhalten gegenüber Patienten und deren Angehörigen und damit den Gesundungsprozess der Patienten. Zugleich helfen Supervisionsprozesse bei der Entwicklung von Empathie im Arbeitsumfeld und können auch strukturverändernd wirken, wenn sie von den oberen Hierarchiestufen unterstützt werden.
Wo kann man ansetzen, um mit dem individuellen Stresserleben und den eigenen Empfindungen besser umgehen zu können? „Wichtig ist, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, um selbst etwas zu verändern“, so Franzizka Misch. „Es geht erst einmal um eine Haltung dem Stresserleben gegenüber: Das sind die Voraussetzungen, um überhaupt an dem Thema Stress in der Supervision arbeiten zu können. Inwieweit erlaube ich anderen Menschen, mit meinen Grenzen umzugehen?“ Es geht auch um das Thema Werte: Welche Werte sind mir bei der Arbeit wichtig? Was möchte ich mindestens erreicht haben, um zufrieden zu sein? Auch das Thema Selbstwert spielt eine Rolle. Was bin ich bereit, über ein bestimmtes Maß hinaus für andere Menschen zu geben oder nicht zu geben? Nach dem Motto: Ich, als Krankenschwester, gebe den anderen sehr viel, das ist meine Aufgabe. Ich erwarte aber (meist unbewusst) auch von anderen Menschen, dass sie mir geben, was ich brauche. Kommt nicht, was ich mir erhoffe, fühle ich mich häufig ohnmächtig. „Andererseits kommt auch viel zurück und der Kontakt zu den Patienten gibt sehr viel“, sagt Misch. „Wenn ein gutes Gespräch stattgefunden hat oder wenn jemand von einer Krankheit wieder geheilt werden konnte, baut es den Pflegenden auf. Nicht jeder Patient wird sich bei der Schwester oder dem Pfleger bedanken. Das ist auch gar nicht notwendig“, so die Expertin. „Aber ein Lob, das manchmal kaum kommuniziert wird, kann auch durch die Arbeitserfolge selbst abgeholt werden: Ich bin ein Teil dessen, was gut gelungen ist. Auch ein Arbeitsschritt in der Supervision ist es, sich die Antworten auf folgende Fragen bewusst zu machen: Wie groß ist die Leistung des Teams, was habe ich individuell dazu beigetragen und wie wertvoll ist es für eine Frau, die Brustkrebs hat, nach Hause zu gehen, weil sie wieder gesund ist?“ Zudem ist es Sache der Supervision, im harten Alltagsleben bisher übersehene Ressourcen sichtbar werden zu lassen. „Jeder sollte für sich selber schauen, was er an Lob und Wertschätzung braucht und wie er sich das im Sinne der Selbstermächtigung selber holen kann“, sagt Misch.
Supervision kann dazu beitragen, stressende Konflikte wahrzunehmen, sie anzusprechen und einen angemesseneren Umgang damit zu finden. Wichtig ist, dass die Parteien miteinander im Gespräch sind. Da bietet Supervision Schulungscharakter, um Konfliktdynamiken besser zu verstehen. Zum Beispiel wenn einem Konflikt, der sehr persönlich erscheint, unterschiedliche Arbeitsauffassungen zugrunde liegen, die aus einer unterschiedlichen beruflichen Sozialisation erklärt werden können. Oder wenn sich bestimmte Konflikte nicht wieder auflösen, sondern sich eher festsetzen, und alle lernen müssen, damit zu leben – und erfahren, dass sie dies auch können. Supervision kann dazu beitragen, unterschiedlichen Sichtweisen und Meinungen mit mehr Gelassenheit zu begegnen, ohne den anderen „korrigieren“ zu müssen. Ein häufiger Konfliktauslöser ist der Termindruck. Im Team kann es zu Auseinandersetzungen kommen, weil mit dem Druck unterschiedlich umgegangen wird. Dann geht es in der Supervision darum, die Problematiken zu reflektieren und Regeln zu vereinbaren. Auch unangenehme Dinge müssen angesprochen werden, wie: „Ich kann meine Arbeit nicht schaffen!“. Dann sollte man herausfinden, welche Gründe dafür vorliegen könnten (z. B. mangelnde Arbeitsorganisation, objektiv überfordernde Aufgabenstellung oder tieferliegende Gründe wie hohe eigene Ansprüche, Perfektionsvorstellungen). Es gibt Pflegekräfte, die schon so erschöpft und ausgebrannt sind, dass Supervision nicht mehr hilfreich ist. „Hier sollte man darüber reden, wenn auffällt, dass jemand nicht mehr leistungsfähig ist und sich vielleicht im Umgang mit Patienten unangemessen verhält. Dann versucht man, der Sache auf den Grund zu gehen, um herauszufinden, was man tun kann“, sagt Franziska Misch. „Wenn der Stress überhandnimmt, ist es ratsam, sich genau anzuschauen, in welchen konkreten Situationen Gefühle der Belastung und Überlastung auftauchen. Wann Trauer, Ärger oder Zorn aufsteigen – um dann zu analysieren, welche Einflussfaktoren es gibt: persönliche oder organisatorische, ob die Arbeit mit Patienten belastet oder ob Rahmenbedingungen das Leben schwer machen. Erst wenn diese Zusammenhänge klarer beleuchtet sind, sollte über geeignete Maßnahmen oder Interventionen nachgedacht werden“, ist Paul Fortmeier überzeugt.
Die Belastung im Krankenhaus ist sehr groß. Wenn es nicht gelingt, zwar Empathie zu zeigen, aber sich andererseits auch abzugrenzen, ist die Arbeit – insbesondere in der Onkologie – sehr schwer. Hier hat man mit Erkrankten zu tun, die aus dem „normalen“ Leben herausgerissen worden sind, die Sorge um sich und die Familie haben und deren Selbstkonzepte ins Wanken geraten sind (Leistungsfähigkeit, Stärke, Unabhängigkeit usw.), die mit Angst vor Tod, Sterben, Hilflosigkeit usw. konfrontiert sind. „Diese Patienten sollten Menschen um sich haben, die Mitgefühl zeigen können“, so Franzizka Misch. „Nur wenn ich für mich selber Mitgefühl habe, kann ich auch mit anderen Mitgefühl haben. Nur wenn ich gut für mich selbst sorge, kann ich auch gut für andere sorgen.“ Die Selbstfürsorge spiele darum im Stressmanagement eine entscheidende Rolle, sagt Misch. „Wichtig ist die Auseinandersetzung mit mir selbst. Das setzt voraus, die Verantwortung für mich selbst zu übernehmen und nicht länger bei den anderen zu suchen, was diese für mich tun können, sondern bei mir selbst anzufangen: Was setzt mich unter Druck? Das ist mein Erleben, das sind meine Gefühle. Meiner Kollegin geht es vielleicht ganz anders.“
Wenn Supervision in der Onkologie stattfindet, wird darüber gesprochen, wie es den Patienten geht und wie es mir mit dem Kontakt zu ihnen geht. Es geht beispielsweise auch darum, wie wir uns als Team gut aufteilen können, wenn wir Patienten haben, die stark pflegebedürftig sind. Wenn zum Beispiel jemand Hilfe braucht und wir sie nicht in der Form zukommen lassen können, wie die Person sie benötigt. Das ist ein Konflikt im Team und ein klassischer Stressauslöser. Dann muss im Team beraten und diskutiert werden, wie damit gut umgegangen werden kann. Ein Diskussionsthema wäre, was wir im Team realistischerweise mit den Personen, die im Dienst sind, leisten können, ohne dass wir bald so erschöpft sind, dass wir die nächsten drei Wochen ausfallen. Wichtig ist, das Team zu sensibilisieren, gemeinsame Lösungen zu finden, statt jeden Tag den Helden zu spielen. Die Frage, die sich am Ende eines schweren Tages stellt, ist die: Bin ich zufrieden mit meiner Arbeit, habe ich meine Arbeit richtig gemacht oder war ich latent aggressiv meinen Kollegen oder den Patienten gegenüber? Der tägliche Umgang mit Tod und Sterben auf onkologischen Stationen führt zu erheblichen Belastungen, denen unter psychohygienischen Aspekten mit Supervision begegnet werden kann. Supervision steht im Kontext anderer psychosozialer Behandlungsformen. Die psychosoziale Betreuung von onkologischen Patienten und die Supervision im therapeutischen Team sind in der heutigen Zeit als Notwendigkeit aufzufassen, um eine patientengerechte medizinische und psychologische Versorgung dieser hochbelasteten Patientengruppe zu gewährleisten. „Ideal ist es, wenn die Supervision fest etabliert ist, und wenn man als Supervisor zwei bis drei Jahre etwa drei monatliche Stunden Zeit hat, individuell arbeiten zu können“, sagt die Supervisorin Franzizka Misch.
Literatur bei der Autorin