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Sonderredaktion

Individuelle Aspekte der Hormonersatztherapie (HRT) Teil 2

Pharmakologische Aspekte der Tibolon-Therapie

Tibolon ist ein synthetisches Steroid zur Hormonsubstitution. Neben der Behandlung klimakterischer Beschwerden kann es auch positive Effekte auf die sexuelle Appetenz und Erregbarkeit zeigen. Tibolon ist indiziert zur Anwendung bei postmenopausalen Frauen, bei denen die Menopause mehr als ein Jahr zurückliegt.

Im Klimakterium fallen die Estrogen- und Gestagenspiegel ab, während die Gonadotropinproduktion aufgrund des zunehmend fehlenden Rückkopplungsmechanismus ansteigt. Zur Linderung der Beschwerden wird die Hormonersatztherapie (HRT) angewendet. Die verschiedenen Einsatzszenarien auf Basis der aktuellen Leitlinien hatten wir Ihnen in der ersten Ausgabe dieser Serie vorgestellt.

Eine besondere Rolle kommt dabei der Monotherapie mit Tibolon zu, einem gewebeselektiven synthetischen Steroid (STEAR = Selective Tissue Estrogenic Activity Regulator). Chemisch gesehen handelt es sich um ein synthetisches 19-Nortestosteron-Derivat (17-Hydroxy-7ɑ-methyl-19-nor-17ɑ-pregn-5(10)-­en-20-in-3-on). Eine strukturelle Ähnlichkeit besteht zu Norethisteron.

Komplexer Wirkmechanismus

Das pharmakodynamische Profil setzt sich zusammen aus der Wirkung von Tibolon selbst sowie der Wirkung der drei Hauptmetabolite [1]. Nach oraler Verabreichung wird Tibolon bereits im Intestinum und der Leber in großem Umfang durch Reduktion der Carbonyl-Gruppe zu 3-ɑ-OH-Tibolon und 3-ß-OH-Tibolon umgewandelt. Diese beiden Metabolite haben eine überwiegend estrogenartige Wirkung auf die thermoregulatorischen Zentren im Gehirn, auf die Knochen sowie auf die vaginale Schleimhaut. Dadurch werden klimakterische Beschwerden wie Hitzewallungen verbessert.

Schaubild: Metabolisierung von Tibolon


Auf das Endometrium und das Brustgewebe wirkt Tibolon dagegen nicht stimulierend. Im Endometrium entsteht durch Shift der 5(10)-Doppelbindung der dritte Metabolit, das Δ4-Isomer. Er weist hauptsächlich gestagene und androgene Wirkungen auf [1,2]. Im Endometrium steht die gestagene Wirkung im Vordergrund, die dort eine ungewünschte proliferative Stimulation unterbindet [3]. Im Brustgewebe zeigt Tibolon einen antiestrogenen Effekt, die Proliferationsrate sinkt, die Zelldifferenzierung und Apoptose sind erhöht [4] (Abb.). Bedingt durch die schwach androgene Wirkung kommt es u. a. zu einer Senkung des Sexualhormon-bindenden Globulins (SHBG).

Tibolon und seine Metaboliten werden überwiegend mit dem Stuhl ausgeschieden (60–65 %). In einer doppelblinden, randomisierten Studie mit über 400 postmenopausalen Frauen wurde die Wirksamkeit von Tibolon vs. kombinierter Hormontherapie (2 mg Estradiolvalerat plus 1 mg Norethisteron) verglichen. Beide Therapieregime haben dabei sowohl Hitzewallungen als auch Scheidentrockenheit (urogenitale Atrophie) effektiv gebessert [5].

Therapie sexueller Störungen

Die randomisierte, doppelblinde Multicenterstudie LISA (Livial International Study in sexual dysfunction After menopause) [6] überprüfte, welche zusätzlichen Effekte Tibolon bei postmenopausalen Frauen mit sexuellen Störungen entwickelt. Rund 400 Frauen im Durchschnittsalter von 55,8 Jahren erhielten ­­­2,5 mg Tibolon oder eine transdermale kontinuierlich- kombinerte Estrogen/Gestagen-Therapie (E2/NETA). Primäre Studienendpunkte waren Änderungen im Female Sexual Function Index (FSFI) in den Wochen 12 und 24. Tibolon bewirkte eine signifikant stärkere Verbesserung der FSFI-Subskalen sexuelle Erregung, sexuelles Verlangen und sexuelle Befriedigung als E2/NETA. Auch andere Studien bestätigen diese Wirkung [7-9].

Da sich im Klimakterium die Serumendorphinspiegel deutlich verringern, sind auch depressive Verstimmungen in dieser Phase ein häufiges Symptom. ­Tibolon hebt die Serumendorphinspiegel und konnte in einer doppelblinden Cross-over-Studie mit ­256 postmenopausalen Frauen die Stimmung signifikant verbessern [10]. Das Standardwerk „Sexualmedizin in der Gynäkologie” [11] fasst die Wirkungen von Tibolon wie folgt zusammen:

  • Tibolon verbessert die allgemeine Stimmung von postmenopausalen Frauen.
  • Tibolon steigert die sexuelle Appetenz und das sexuelle Verlangen bei postmenopausalen Frauen.
  • Tibolon verstärkt die sexuellen Phantasien und verbessert die sexuelle Erregbarkeit bei postmenopausalen Frauen.
  • Tibolon verbessert die vaginale Lubrikation.
  • Tibolon steigert das sexuelle Vergnügen.
  • Tibolon steigert die Koitusfrequenz.
  • Tibolon erhöht die sexuelle Befriedigung und das sexuelle Wohlbefinden.

1) Fuchs B, Pharmaz Z 2002; im Internet: www.pharmazeutische-zeitung.de/inhalt-47-2002/pharm2-47-2002/
2) Fachinformation Tibolon Aristo, Stand 9/2020
3) Tang B et al., J Steroid Biochem Molec Biol 1993; 45: 345–351
4) Gompel A et al., Gynecol Endocrinol 1997; 11 Suppl 1: 77–79
5) Hammar M et al., Brit J Obstet Gynaecol 1998; 105: 904–911
6) Nijland EA et al., J Sex Med 2008; 5: 646–656
7) Doeren M et al., Fertil Steril 2001; 75: 554–559
8) Laan E et al., Climacteric 2001; 5: 28–41
9) Palacios S et al., Maturitas 1995; 22: 155–161
10) Tax L et al., Maturitas 1987; Suppl 1: 3–13
11) Ahrendt HJ, Friedrich C, Sexualmedizin in der Gynäkologie, Springer 2015

Impressum

Redaktion und Konzept: Dr. rer. nat. Reinhard Merz
MiM Verlagsgesellschaft mbH (Neu-Isenburg)
Mit freundlicher Unterstützung der Aristo Pharma GmbH (Berlin)

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