Eine Hormonsubstitution bedarf nach den aktuellen Leitlinien [1] immer einer entsprechenden Indikation. In jeder Situation ist hier eine sorgfältige Nutzen- und Risikoabwägung durchzuführen und die Patientin ausführlich über kurz- und langfristigen Nutzen sowie Risiken zu informieren. In besonderen Situationen, z. B. nach Endometrioseoperationen, sind spezifische Anforderungen zu stellen, wie im folgenden Fallbeispiel.
Eine 49-jährige Patientin stellt sich in der Sprechstunde mit ausgeprägten Hitzewallungen (10- bis 12-mal in 24 Stunden) verbunden mit Schweißausbrüchen, zunehmenden Schlafstörungen und damit verbundenen Stimmungsschwankungen vor. Des Weiteren klagt die Patientin auch über eine nachlassende Libido.
Anamnese
Die Patientin hat eine langjährige Vorgeschichte einer Endometriose. Zwei Schwangerschaften traten nach IVF-Behandlungen ein. Aufgrund einer ausgedehnten rektovaginalen Endometriose mit Darmbefall wurde bei der Patientin vor sechs Jahren eine laparoskopische Endometriosesanierung mit Darmresektion und End-zu-End-Anastomose durchgeführt. Bei dieser Operation erfolgte auch eine laparoskopisch suprazervikale Hysterektomie wegen einer Adenomyosis. Die Patientin war danach weitgehend beschwerdefrei und hat postoperativ Dienogest 2 mg täglich bis vor einem Jahr angewendet. Wegen Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen und Brustspannen wurde die Therapie dann beendet. Die Patientin ist seit der laparoskopisch suprazervikalen Hysterektomie blutungsfrei.
Bei der gynäkologischen Untersuchung liegt ein unauffälliger zytologischer Abstrich vor (Pap II). Der Zervixstumpf ist mobil, das Becken palpatorisch frei. Sonografisch zeigen sich unauffällige Ovarien. Der Zervixstumpf hat eine Länge von 2,8 cm ohne Restendometrium. Unterbauchbeschwerden stehen derzeit nicht im Vordergrund.
Zur vasomotorischen Symptomatik gibt die Patientin an, bereits seit zwei Monaten ein pflanzliches Präparat angewendet zu haben, was zu keiner Besserung der Beschwerden führte, sodass jetzt die Frage einer Hormonsubstitution gestellt wird. Die Patientin hat keine weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren (kein Hypertonus, Nichtraucherin, BMI 24). Auch anamnestisch sind keine thromboembolischen Ereignisse bekannt , weder in der Familien- noch in der Eigenanamnese. Die Brustuntersuchungen waren bisher unauffällig. Vor einem Jahr erfolgte die letzte Mammasonografie. Auch hier zeigen sich keine familiären Belastungen. Es wird nach ausführlichem Aufklärungsgespräch mit der Patientin eine Hormonersatztherapie mit Tibolon begonnen.
Therapieverlauf
Die Patientin stellt sich nach drei Monaten zur Kontrolle vor. Bei der Untersuchung findet sich nach wie vor ein unauffälliger Zervixstumpf ohne Restendometrium. Es bestehen keine Blutungen. Die Patientin hat auch keine Unterbauchbeschwerden. Die Hitzewallungen sind rückläufig, lediglich noch zwei- bis dreimal pro Tag. Insgesamt zeigt sich auch eine etwas verbesserte Stimmung und vor allem die Schlafstörungen sind deutlich geringer, auch bedingt durch die rückläufige Anzahl der Hitzewallungen.
Nach sechs Monaten wird die Patientin erneut vorstellig. Sie ist sehr zufrieden mit der Therapie mit Tibolon. Es bestehen keine Hitzewallungen mehr, auch keine Stimmungsschwankungen sowie auch ein insgesamt gutes Schlafmuster. Auch die Libido hat sich gebessert, sodass die Therapie mit Tibolon unter regelmäßigen Kontrollen fortgesetzt wird.
Praktische Empfehlung
Bei einer Patientin mit Endometriose und Zustand nach Hysterektomie ist eine Reaktivierung der Endometriose durch eine Estrogenmonotherapie möglich. Aus diesem Grund wird in diesen Fällen, auch bei Zustand nach Hysterektomie, eine kontinuierlich kombinierte Therapie empfohlen. Bei ausgeprägten Endometriosen ist Tibolon hier von Vorteil. Dies wird auch ausdrücklich in den Empfehlungen der Europäischen Menopausegesellschaft hervorgehoben [2]. Studien haben gezeigt, dass dadurch keine Reaktivierung der Endometriose erfolgt. Im Vergleich zur kontinuierlich kombinierten Therapie schneidet Tibolon hier sogar besser ab und ist daher in derartigen Situationen die sichere Alternative [3].
Tibolon führt zu keiner Reaktivierung der Endometriose [2], ist aber effektiv zur Therapie der vasomotorischen Beschwerden, wie im vorliegenden Fall. Des Weiteren bestehen auch positive Effekte auf den Knochenstoffwechsel und auch günstige Effekte auf die Libido, wobei dies auch immer in der Gesamtkonstellation zu sehen ist: Die Reduktion der Hitzewallungen verbessert die Schlafbedingungen und damit insgesamt das Wohlbefinden. Das trägt sicher auch durchaus zur Libidoverbesserung bei. Nach einer laparoskopisch suprazervikalen Hysterektomie, einer heute vielfach durchgeführten Methode, ist auch zu beachten, dass eine Estrogenmonotherapie hier nur möglich ist, wenn keine Blutungen mehr bestehen bzw. im Zervixstumpf sonografisch kein Restendometrium mehr vorhanden ist.
Prof. Dr. med. Thomas Römer
Chefarzt der Frauenklinik in Köln-Weyertal
Herausgeber des Journals DER PRIVATARZT GYNÄKOLOGIE
Dieser typische Fall zeigt, dass Tibolon immer noch einen berechtigten Stellenwert in der Hormonsubstitution hat. Die spezifischen Vorteile sollten entsprechend genutzt werden. In derartigen Risikosituationen, wo ein Abwägen besteht zwischen einer adäquaten Hormonsubstitution und Vermeidung der Reaktivierung der Endometriose, ist Tibolon besonders wertvoll. Die Patientinnen profitieren auch langfristig im Bereich der Knochengesundheit und haben eine verbesserte Lebensqualität. Tibolon sollte daher in unserem Portfolio der HRT weiterhin Beachtung finden.
1 S3-Leitlinie Peri- und Postmenopause, Reg.-Nr. 015-062
2 Moen MH et al., Maturitas 2010; 67: 94–97
3 Fedele L et al., Maturitas 1999; 32: 189–193
Impressum
Bericht: Prof. Dr. med. Thomas Römer I Redaktion und Konzept: Dr. rer. nat. Reinhard Merz
MiM Verlagsgesellschaft mbH (Neu-Isenburg)
Mit freundlicher Unterstützung der Aristo Pharma GmbH (Berlin)
Bildnachweis: privat