Bis vor 30 Jahren wurde dem Wachstumshormon(GH)-Mangel (GHD) im Erwachsenenalter keine pathologische Bedeutung beigemessen. Mittlerweile beschreiben zahlreiche Studien differenziert das klinische Bild dieses Syndroms, zu dem auch eine erhöhte Morbidität und Mortalität gehören.
Früher wurden erwachsene Patienten mit Hypophysenvorderlappen(HVL)-Insuffizienz lediglich mit L-Thyroxin, Cortison sowie Geschlechtshormonen substituiert. Das Therapiemanagement beim Wachstumshormonmangel erfolgt inzwischen nuancierter, da hier eindeutige Charakteristika etabliert werden konnten:
Signifikante Unterschiede bestehen zwischen Patienten mit GHD seit Kindheit (CO) und denen im Erwachsenenalter (AO) bezüglich Pathogenese und ihrer natürlichen Anamnese. Bei CO-Patienten herrschen viel häufiger idiopathische Ursachen des GH-Mangels vor. AO-Patienten haben diverse Hypophysenpathologien (Adenome, Operationen, Hypophysitiden, Medikamente wie Checkpoint-Inhibitoren u. a.) als Ursache. CO-Patienten sind kleiner als AO-Patienten und haben weniger Magermasse. Adipositas und Osteoporose treten häufiger bei AO- als bei CO-Patienten auf.
Die Diagnose des GHD im Erwachsenenalter erfolgt mittels eines Insulin-Hypoglykämietests. GHRH(Growth Hormone Releasing Hormone)- und Arginin-Test können auch verwendet werden, haben aber Pitfalls.
Hormonersatztherapie
Die Effekte der GH-Substitution bei HVL-Insuffizienz sind beeindruckend. Unter der Gabe kommt es zu einem dosisabhängigen Anstieg von IGF-1 (Insulin-like growth factor 1) und IGF-BP3 (Insulin-like growth factor-binding protein 3) sowie von Serum-Osteocalcin. Weiterhin führt die Substitution zu einer signifikanten Abnahme der Summe der Hautfaltendicken, des prozentualen Körperfetts, insbesondere des zentralen Körperfetts, und einem Anstieg der Magermasse. Die Veränderung der Körperzusammensetzung (Körperfett) kann am besten mit der Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DXA) gemessen werden (Abb.).
Darüber hinaus kommt es aber auch zu einem Anstieg der Muskelkraft und Muskelmasse sowie zu einer signifikanten Steigerung der Herzleistung und des Herzminutenvolumens. Bei den Lipidwerten zeigt sich eine intermittierende Senkung des Gesamtcholesterins bei deutlicher Senkung des VLDL-Cholesterins und ca. 50%iger Steigerung des mittleren HDL-Cholesterins von erniedrigten Werten in Normalbereiche. Zudem ist eine deutliche dosisabhängige und reversible Verbesserung der Lebensqualität, Steigerung der Knochenumbauparameter und Verbesserung der Knochendichte zu beobachten.
Nebenwirkungen bei der Wachstumshormonsubstitution sind dosisabhängig und reversibel. Unter den hohen Dosen sind unerwünschte Wirkungen besonders der Wasserretention (Arthralgien, Myopathien oder Myalgien, Ödeme etc.) häufig zu beobachten. Das Neuauftreten oder Rezidive von Hypophysen- oder ZNS-Tumoren sind bisher in keiner Studie vermehrt nachgewiesen worden. Auch eine verstärkte Inzidenz von neu aufgetretenen Neoplasmen ist bisher nicht dokumentiert. Dennoch ist das Vorhandensein eines Karzinoms oder die anamnestische Angabe eine Kontraindikation für eine Wachstumshormonsubstitution.
Worauf zu achten ist
Im frühen Kindheitsalter steht der Minderwuchs im Vordergrund, hier werden Zentimeter gemessen, wonach sich dann die Dosis des Wachstumshormons richtet. Kommen die Patienten in die Pubertät und wird eine zusätzliche Geschlechtshormonsubstitution entweder notwendig sein oder endogen eintreten, führt dies zu einer Reifung der Knochen. Sind die Epiphysenfugen geschlossen, ist der Knochenmineralsalzgehalt immer noch erniedrigt, da die Knochenmineralisation vermindert ist. Die maximale Spitzenknochenmasse im Leben eines Menschen (peak bone mass) ist noch nicht erreicht. Wichtig ist, dass das Osteoid noch calzifiziert. Erforderlich ist daher, die Körperzusammensetzung zu messen, die Lebensqualität mittels eines Fragebogens zu erfassen und zu sehen, ob vorzeitige Altersprozesse wie kardiovaskuläre Erkrankungen oder Osteoporose bestehen.
Im Erwachsenenalter wird bei jedem Patienten die Dosierung des Wachstumshormons mittels Serum-IGF-1 kontrolliert und titriert. Als Sicherheitsparameter sollte man u. a. das HbA1C, die Serumglucose kontrollieren und den Blutdruck messen.
Der Autor
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christian Wüster
Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, Osteologe DVO
Ärztlicher Leiter des Hormon- und Stoffwechselzentrums Prof. Wüster MVZ GmbH Mainz
Literatur beim Autor
Bildnachweis: privat, Prof. Dr. med. Dr. h. c. Christian Wüster (Mainz)