- Anzeige -
Haut & Psyche

Das juckt mich gewaltig!

Serie Haut & Psyche Psychische Folgen juckender Genitalerkrankungen

Dr. phil. Dipl.-Psych. Judith A. Bahmer

16.8.2024

Genitaler Juckreiz ist nicht nur unangenehm oder sogar schmerzhaft – er zählt auch zu den schambehafteten Themen, die selbst in der Partnerschaft nicht immer angesprochen werden. Zu den Auslösern, aber auch Folgen der Beschwerden zählen psychische Störungen – und manchmal sind auch somatische Erkrankungen ursächlich.

Neben den in der letzten Ausgabe diskutierten sexuell übertragbaren Erkrankungen haben auch nicht infektiöse genitale Hauterkrankungen psychische Auswirkungen. Wichtigstes Symptom ist Juckreiz, der im Genitalbereich besonders quälend ist. Ursächlich kommen vor allem das atopische Ekzem und allergische Kontaktekzeme in Betracht, meist von Duft- und Konservierungsstoffen in Cremes und Salben ausgelöst, gelegentlich auch eine Psoriasis. Nicht selten ist auch eine Schädigung der empfindlichen Genitalhaut durch übertriebene Hygienemaßnahmen. Gelegentlich kommt es, ausgelöst durch scheuernde Kleidung und verstärktes Schwitzen, auch bei hautgesunden Menschen zu genito-analem Juckreiz.

Von besonderer psychotherapeutischer Relevanz sind die seltenen, aber extrem belastenden Autoimmunkrankheiten Lichen planus und Lichen sclerosus, die beide auffällig häufig mit psychischen Störungen assoziiert sind. Dabei lässt sich die Frage, ob die psychische Alteration Ursache oder Folge der genitalen Erkrankung ist, oft nicht beantworten. Außer über Juckreiz klagen Patientinnen über genitale Missempfindungen oder Schmerzen (Vulvodynie), auch ohne sichtbare Haut- oder Schleimhautveränderungen.

Juckende Genitalerkrankungen haben starke negative Auswirkungen auf die Lebensqualität und psychische Gesundheit. Bekannt ist, dass Stress Juckreiz auslösen und verstärken kann.

Umgekehrt beeinträchtigen Genitalbeschwerden das seelische Gleichgewicht mit der Folge von Depression, Angststörungen, sozialer Unsicherheit, Störung des Sexuallebens sowie der partnerschaftlichen Beziehung.

Hohe psychische Krankheitslast belegt

In einer neuen dänischen Studie wurde gezeigt, dass Patientinnen mit Lichen sclerosus im Vergleich zu einer Kontrollgruppe und unabhängig von der Lokalisation der Hautveränderungen ein signifikant höheres Risiko für Angstzustände, depressive Störungen und Schlafstörungen aufweisen. Das Autorenteam schließt daraus, dass für die Versorgung von Patientinnen mit Lichen sclerosus eine psychologische Untersuchung, in einem Teil der Fälle eine sich anschließende Psychotherapie, unerlässlich sei. Eine aktuelle schwedische Studie, in der fast 2 000 Patientinnen mit Lichen sclerosus mit einer Kontrollgruppe verglichen wurden, ergab für die Lichen-sclerosus-Patien­tinnen doppelt so häufig affektive Störungen und dreimal so häufig Schlafstörungen.

In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass Frauen mit chronischem genitalem Juckreiz häufiger an depressiver Verstimmung und Depression leiden als gesunde Frauen. Auch Menschen, bei denen das Ekzem oder die Psoriasis im Genitalbereich lokalisiert ist, leiden häufiger unter Angst und Depression als solche mit juckenden Veränderungen an anderen Körperstellen.

Woher der Juckreiz kommt – verschiedene Ansätze

Welche psychophysiologischen Mechanismen juckende Genitalveränderungen auslösen und unterhalten können, ist bisher nur teilweise verstanden. Angenommen wird eine Kombination aus habituellen Einwirkungen (Kratzen), biochemischen (Entzündung) und neurologischen (erhöhte Nervenerregbarkeit) Störungen, sowie psychologische Faktoren (Persönlichkeit, intrapsychische Konflikte und Resilienz).

Von psychoanalytischer Seite wurde postuliert, dass körperliche Beschwerden Ausdruck unbewusster seelischer Konflikte seien. Pruritus wäre in diesem System Symbol intrapsychischer, aus den frühen Lebensphasen stammender Spannungen und Konflikte. Dem Bewusstsein nicht zugänglich, manifestieren sich diese stattdessen auf der körperlichen Ebene. Verhaltenspsychologische Theorien gehen hingegen davon aus, dass Emotionen, Gedanken und Erleben Empfindungen wie Juckreiz modulieren und so einen Teufelskreis initiieren: Stress verursacht Juckreiz, und Juckreiz verursacht Stress, was in den Juckreiz-Kratz-Teufelskreis mündet.

Das nebenstehende Fallbeispiel zeigt, dass psychodynamische Konflikte und psychische Beschwerden nicht rein psychisch bedingt sein müssen, sondern auch  Teil einer multifaktoriellen, psychosomatischen Erkrankung mit überwiegend somatischer Genese sein können.

Den passenden therapeutischen Weg finden

Eine Ursachen-zentrierte psychotherapeutische Beratung oder Therapie ist neben der obligaten dermatologischen Behandlung genitaler Erkrankungen dann sinnvoll, wenn Patientinnen und Patienten schwer belastet, in ihrer psychosozialen Teilhabe oder ihrer Lebensqualität eingeschränkt oder von einer psychischen Erkrankung bedroht sind.

Die Wahl des psychotherapeutischen Ansatzes hängt davon ab, welche emotionalen Faktoren zur Entstehung oder Aufrechterhaltung des Juckreizes beitragen. Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) zielt ­darauf ab, negative Gedankenmuster und unangemessene Reaktionen auf den Juckreiz zu identifizieren und zu modifizieren. Patientinnen und Patienten lernen, stressverstärkende Gedanken zu erkennen und diese durch positive und realistischere Denkmuster zu ersetzen. Unterstützt wird dies durch Techniken zur Stressreduktion wie Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training und Meditation. Im Zuge der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) lernen die Betroffenen, Symptome und die durch sie ausgelösten Gefühle zu akzeptieren, statt diese loswerden zu wollen, da dies eher symptomverstärkend wirkt. Ziel ist es, ein möglichst zufriedenes Leben mit der Erkrankung führen zu können.

In der psychoanalytischen oder tiefenpsychologisch fundierten Therapie wird versucht, unbewusste, intra­psychische Konflikte aufzudecken und über deren Bearbeitung die Konfliktspannung und damit die Somatisierung zu reduzieren. Das tiefere Verständnis innerer Dynamiken kann helfen, Erleben und Verhalten selbstbestimmt zu modulieren und so dysfunktionale Routinen aufzubrechen. Um soziale Unsicherheit, Scham und Hemmungen zu bearbeiten, kann auch eine Gruppentherapie hilfreich sein. Hier lernen Betroffene, mit ihren Beschwerden und Problemen von anderen akzeptiert, unterstützt und angenommen zu werden. In Ausnahmefällen, wenn die Erkrankung auch Partnerin oder Partner betrifft, kommt eine Paartherapie zur Verbesserung von Kommunikation, Unterstützung und Sexualität in Betracht.

Die Autorin

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster

psycheundhaut@gmail.com

Literatur bei der Autorin

Weitere Artikel aus dieser Serie finden Sie hier

Bildnachweis: privat

Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt