- Anzeige -
Allgemeinmedizin

Schwaches Herz

Umsetzung der ESC-Leitlinie Herzinsuffizienz in der klinischen Praxis

Dr. med. Jan Wintrich, Prof. Dr. med. Michael Böhm

2.12.2022

Die Pharmakotherapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion wurde im Zuge der 2021 veröffentlichten Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Kardiologie rigoros überarbeitet. Statt der Stufentherapie wird nun eine Basistherapie aus vier verschiedenen Substanzklassen für alle Patienten empfohlen.

 Die neuen Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur Herzinsuffizienz empfehlen nach Diagnosestellung einer Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFrEF) die Initiierung einer Basistherapie, die sich wie folgt zusammensetzt: 1) ACE-Hemmer (ACEi) oder Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI), 2) Betablocker, 3) Aldosteronantagonist (MRA) und 4) Sodium dependent glucose co-transporter 2-Inhibitor (SGLT2i). Bei ACEi/ARNI-Unverträglichkeiten sollte die Umstellung auf einen Angiotensin-Rezeptor-Antagonist (ARB) erfolgen. Durch den Einsatz von vier unterschiedlichen Substanzklassen können verschiedene pathophysiologische Prozesse adressiert werden, die eine entscheidende Rolle beim Entstehen und Fortschreiten einer Herzinsuffizienz spielen. ACEi, ARB sowie MRA greifen in die Dysregulation der RAAS-Achse ein. Zusätzlich hemmen ARNI den Abbau protektiv wirkender natriuretischer Peptide. Betablocker bewirken eine Reduktion der pathologisch gesteigerten Sympathikusaktivität. Der genaue Wirkmechanismus der SGLT2i ist nicht eindeutig geklärt – diskutiert werden vor allem eine Abnahme der Vor- und Nachlast sowie eine Zunahme der myokardialen Energetik durch gesteigerte Ketonkörperproduktion.

Der Vorteil einer solchen Basistherapie gegenüber der zuvor empfohlenen Stufentherapie konnte unter anderem anhand einer großen Metaanalyse, in die insgesamt 15 880 Patienten mit HFrEF eingeschlossen wurden, eindrücklich belegt werden. Dabei wurde der Therapieeffekt einer maximalen Herzinsuffizienztherapie (ARNI, Betablocker, MRA, SGLT2i) gegenüber einer konventionellen Therapie (ACEi oder ARB und Betablocker) im Hinblick auf den kombinierten, primären Endpunkt (erste Herzinsuffizienzhospitalisierung oder kardiovaskulärer Tod) verglichen. Durch die maximale Herzinsuffizienzbehandlung ließ sich ein signifikanter Überlebensvorteil nachweisen. Durchschnittlich wurde eine zusätzliche Lebenserwartung von 6,3 Jahren erreicht, wenn im Alter von 55 Jahren sofort mit einer maximalen Therapie anstelle einer konventionellen Behandlung begonnen wurde.

Wann mit der Basistherapie beginnen?

Generell stellt die frühzeitige Etablierung einer Vierfachtherapie einen entscheidenden prognostischen Faktor für Patienten mit Herzinsuffizienz dar. Dies betrifft nicht nur Patienten mit einer De-novo-Herzinsuffizienz, sondern auch chronische Herzinsuffizienzpatienten, bei denen aufgrund einer stabilen Symptomatik auf eine weitere Optimierung der Herzinsuffizienztherapie oftmals verzichtet wird. Dementsprechend gilt bei Patienten mit Herzinsuffizienz das Prinzip „Time is prognosis“, welches dem Therapiekonzept „Time is muscle“ im Zuge der Behandlung des akuten Myokardinfarktes mit ST-Streckenhebung durchaus ähnlich ist.

Bei der Etablierung der empfohlenen Basistherapie muss grundsätzlich unterschieden werden, ob eine akute Dekompensation vorliegt oder ob sich der Patient in einem kompensierten Zustand befindet. Beim kompensierten, stabilen Patienten ist der sofortige Beginn der Vierfachtherapie möglich. Bei Patienten mit akuter Herzinsuffizienz stehen zunächst rekompensierende und ggf. kreislaufstabilisierende Therapiemaßnahmen im Vordergrund. Dennoch sollte nach erfolgreicher Rekompensation und hämo­dynamischer Stabilisierung eine frühzeitige Initiierung der Basistherapie angestrebt werden. Idealerweise sollte diese im stationären Rahmen begonnen werden, wodurch die Prognose der Patienten positiv beeinflusst werden kann.

Wie in randomisierten, placebokontrollierten Studien gezeigt, ist die Therapie mit einem ARNI (PIONEER-HF) und mit Empagliflozin (EMPULSE) bereits kurzfristig nach Hospitalisierung ohne Sicherheitsbedenken möglich und mit einer signifikanten Abnahme kardiovaskulärer Endpunkte assoziiert. Zum Studieneinschluss musste bei den Patienten eine hämodynamische Stabilität für die vergangenen 6 (PIONEER-HF) bzw. 24 Stunden (EMPULSE) vorliegen. Eine ähnliche Studie zum kurzfristigen Beginn von Dapa­gliflozin nach Hospitalisierung befindet sich aktuell noch in der Rekrutierungsphase (DICTATE-AHF, NCT04298229). Darüber hinaus belegen Daten des GREAT-Registers eine signifikante Reduktion der 90-Tage-Mortalität bei Beginn einer oralen Herzinsuffizienztherapie mittels ACEi oder ARB, Betablocker und MRA vor Entlassung der Patienten aus der stationären Behandlung. Falls die Komplementierung der Vierfachtherapie aufgrund von Unverträglichkeiten oder Ähnlichem bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem stationären Umfeld nicht umsetzbar ist, sollte diese innerhalb von vier Wochen vervollständigt werden.

ACE-Hemmer oder ARNI – was wann zuerst?

Gemäß der aktuellen ESC-Leitlinien 2021 wird die Therapie mit einem ACEi (Klasse I, Level A) sowie mit einem ARNI (Klasse I, Level B) zur Reduktion von Herzinsuffizienzhospitalisierungen und Gesamtsterblichkeit bei Patienten mit HFrEF empfohlen. Eine Umstellung auf einen ARNI sollte bei allen Patienten erfolgen, die trotz einer Vierfachtherapie mit einem ACEi oder ARB Symptome einer Herzinsuffizienz aufweisen. Hierbei sollte auf einen Zeitabstand von 36 Stunden geachtet werden, um das damit verbundene Komplikationsrisiko eines Angioödems zu minimieren. Bei ACEi-naiven Patienten mit De-novo-Herzinsuffizienz kann zudem der umgehende Beginn einer ARNI-Therapie erwogen werden ­(Klasse IIb, Level B). Unter anderem konnte in der PIONEER-HF-Studie gezeigt werden, dass sich die Behandlung mit einem ARNI bei Herzinsuffizienzpatienten mit und ohne vorliegende ACEi-Therapie hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit nicht relevant unterscheidet. In diesem Zusammenhang sollte aber auf eine ausreichende Stabilität des Blutdrucks und der Nierenfunktion (eGFR ≥ 30 ml/min/1,73m2) geachtet werden.

Die ARB-Therapie wird für alle HFrEF-Patienten empfohlen, die eine ACEi- oder ARNI-Behandlung nicht vertragen (Klasse I, Level B). Hierdurch kann die Hospitalisierungsrate und kardiovaskuläre Mortalität signifikant reduziert werden. Im Gegensatz zu ACEi und ARNI konnten für ARB aber keine signifikanten Effekte auf die Gesamtsterblichkeit belegt werden.

Nach Beginn der Vierfachtherapie – auf was ist zu achten?

Innerhalb von ein bis zwei Wochen nach Beginn der Herzinsuffizienztherapie bzw. nach Entlassung der Patienten aus der stationären Behandlung sollte eine erste Nachuntersuchung geplant werden. Hierbei sollte die bestehende Herzinsuffizienztherapie auf Verträglichkeit und Vollständigkeit überprüft werden. Erst nach vollständiger Implementierung der Vierfachtherapie wird die Titration der Substanzen auf die jeweilige Zieldosis bzw. maximal tolerierte Dosis empfohlen, welche typischerweise in 2-Wochen-Intervallen erfolgt. Zu den häufigen Nebenwirkungen der Vierfachtherapie zählen insbesondere Hypotonien, Hyperkaliämien und die Abnahme der exkretorischen Nierenfunktion.

Eine relevante Reduktion des Blutdrucks ist insbesondere unter einer ARNI-Therapie zu erwarten, welche verglichen mit Valsartan etwa doppelt so stark ausgeprägt ist. Gleichzeitig belegen Daten der PARADIGM-Studie, dass sich das absolute Risiko bei HFrEF-Patienten mit einem Blutdruck < 100 mmHg nach vier Monaten ARNI-Therapie im Gegensatz zu denen mit einem Wert > 100 mHg verdoppelt. Da sich die Therapieeffekte in beiden Gruppen jedoch nicht relevant unterscheiden, lässt sich gerade bei HFrEF-Patienten mit Hypotonie unter laufender ARNI-Therapie eine stärkere absolute Risikoreduktion erreichen. Um die Verträglichkeit zu optimieren, sollte daher generell auf die Beurteilung des Volumenstatus der Patienten geachtet werden, um ggf. die Diuretikadosis anzupassen. Des Weiteren sollten nicht zwingend notwendige vasodilatorische Therapien reduziert bzw. beendet werden.

Ferner spielt beim Auftreten von Hypotonien die Symp­tomatik der Patienten eine wesentliche Rolle. Asymptomatische Hypotonien bedürfen in aller Regel keiner Therapieänderungen. Leichter Schwindel und Benommenheit sind häufig passager nach Therapiebeginn zu beobachten, worüber die Patienten entsprechend aufgeklärt werden sollten.

Außerdem ist im Zuge des medikamentösen Eingriffs in die RAAS-Achse mittels ACEi, ARB, ARNI sowie MRA das Risiko für Hyperkaliämien erhöht. Wenn möglich, sollte daher beispielsweise auf die Einnahme kaliumreicher Nahrungsmittel sowie kaliumsparender und nephrotoxischer Medikamente verzichtet werden. Zusätzlich stehen Kalium bindende Medikamente wie Patiromer und Natrium-Zirkonium-Cyclosilikat zur Verfügung.

Eine Abnahme der Nierenfunktion stellt eine weitere Nebenwirkung der Herzinsuffizienztherapie dar. Hier ist ebenfalls auf einen ausgeglichenen Volumenhaushalt und das Meiden nephrotoxischer Medikamente zu achten. Darüber hinaus zeigt sich nach Beginn einer SGLT2i-Therapie typischerweise eine vorübergehende, kurzzeitige Abnahme der eGRF mit rascher Stabilisierung. Langfristig ist die SGLT2i-Behandlung mit nephroprotektiven Eigenschaften assoziiert.

Bedeutung der personalisierten Medizin

Nach Implementierung der evidenzbasierten, prognoserelevanten Basistherapie bei allen HFrEF-Patienten erfolgt die Titration der Substanzen sowie die Therapieoptimierung individuell nach Patientencharakteristika. Zur weiteren Anpassung stehen etwa Ivabradin, Hydralazin/Isosorbiddinitrat und Digoxin zur Auswahl, die auch in den ESC-Leitlinien 2016 aufgeführt waren. Die aktuellen ESC-Leitlinien berücksichtigen nun zusätzlich den Einsatz des löslichen Guanylatzyklasestimulators Vericiguat.

In der randomisierten, placebokontrollierten VICTORIA-Studie führte die Therapie mit Vericiguat bei 5 050 HFrEF-Patienten zu einer signifikanten Reduktion des kombinierten primären Endpunkts, bestehend aus erstmaliger Herzinsuffizienzhospitalisierung oder kardiovaskulärem Tod. Dabei ist hervorzuheben, dass 41 % der eingeschlossenen Patienten Symptome einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz (NYHA III und IV) aufwiesen und einem entsprechend hohen absoluten Risiko ausgesetzt waren. Daher empfehlen die Leitlinien die Therapie mit Vericiguat bei HFrEF-Patienten im klinischen Stadium NYHA II–IV, bei denen eine Verschlechterung der Herzinsuffizienz trotz bereits etablierter Basistherapie nachzuweisen ist.

Entsprechend eines Konsensusdokuments der „Heart Failure Association“ der ESC können HFrEF-Patienten anhand von Blutdruck, Herzfrequenz sowie Komorbiditäten (chronische Niereninsuffizienz und Vorhofflimmern) charakterisiert werden. Hierdurch können verschiedene „Patientenprofile“ unterschieden werden, an die sich die Anpassung der Herzinsuffizienz­therapie orientieren kann (Abb.).

Der Autor

Dr. med. Jan Wintrich
Klinik für Innere Medizin III –
Kardiologie, Angiologie und
internistische Intensivmedizin
Universitätsklinikum des Saarlandes
Homburg/Saar

jan.wintrich@uks.eu

Der Autor

Prof. Dr. med. Michael Böhm
Klinik für Innere Medizin III –
Kardiologie, Angiologie und
internistische Intensivmedizin
Universitätsklinikum des Saarlandes
Homburg/Saar

michael.boehm@uks.eu

Bildnachweis: privat

Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt