Die auf dem Kongress der ESC (European Society of Cardiology) im September 2021 vorgestellte neue ESC-Leitlinie für die Diagnose und Behandlung der akuten und chronischen Herzinsuffizienz beinhaltet einen neuen Therapiealgorithmus mit einer grundsätzlichen Änderung der Behandlungsstrategie.
So setzten die älteren Leitlinien bis 2016 auf eine nacheinander zu applizierende medikamentöse Therapie der chronischen Herzinsuffizienz mit einer zunächst empfohlenen Herauftitrierung auf Zieldosen bzw. maximal tolerierten Dosen. Neuere Studiendaten zeigen jedoch, dass nicht so sehr die eingenommene Dosis des einzelnen Präparats für die Unterschiede in den klinischen Endpunkten im nicht randomisierten Vergleich verantwortlich sind. Daher steht dieses Konzept der Erreichung maximaler Dosen „auf tönernen Füssen“, erklärte Prof. Dr. med. Michael Böhm (Homburg/Saar).
Alle Möglichkeiten ausschöpfen
Dementsprechend empfiehlt die neue Leitlinie [1] einen gleichzeitigen Therapiebeginn mit allen die Prognose verbessernden Substanzen: ACE-Hemmer/Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI), Betablocker, Mineralokortikoid-Antagonisten (MRA) und SGLT2-Inhibitoren (Dapagliflozin oder Empagliflozin). Eine Behandlung mit Präparaten dieser vier Medikamentengruppen soll möglichst gleichzeitig und möglichst früh begonnen werden. Eine langsame Dosistitration oder ein langsames Sequenzieren von Therapien, was zu einem Zeitverlust führt, wird dagegen nicht empfohlen. Bei Überwässerung oder der Gefahr einer Volumenüberlastung sollen auch Diuretika weitergegeben werden.
Eine besondere Bedeutung kommt zudem der Behandlung des Eisenmangels zu, unter dem die Hälfte der Patienten mit Herzinsuffizienz leidet, der die Belastbarkeit reduziert und der auch ohne eine Anämie auftreten kann. Eine intravenöse Substitution von Eisen führt zu einer Verbesserung von Lebensqualität und Belastbarkeit, weswegen in der neuen Leitlinie erstmals das regelmäßige Überprüfen des Eisenstatus grundsätzlich bei jeder Herzinsuffizienz empfohlen wird (Klasse-IC-Empfehlung). Wichtig waren hier die Ergebnisse der AFFIRM-AHF-Studie, welche unter Eisensubstitution eine Abnahme der kardiovaskulären Hospitalisierungsrate und des kardiovaskulären Todes um 20 % zeigten [2]. Dementsprechend wurde die Empfehlung einer Eisentherapie zur Verbesserung von Belastbarkeit und Lebensqualität auf eine Klasse-IIA-Empfehlung umgestellt, wenn diese Patienten entweder ein Serumferritin von < 100 ng/ml aufweisen oder von 110–299 ng/ml mit einer Transferrin-Sättigung von < 20 %, und es wurde eine entsprechende neue Klasse-IIaB-Empfehlung zur Reduktion der Hospitalisierung beschlossen. Erforderlich ist allerdings die intravenöse Eisentherapie, da die orale Eisengabe ineffektiv ist, erklärte Böhm. Er empfahl zwei Infusionen von jeweils 500 mg Eisen im Abstand von einigen Tagen; danach sollten die entsprechenden Laborwerte kontrolliert werden.
McDonagh TA et al., Eur Heart J 2021; 42: 3599–3726
Ponikowski P et al., Lancet 2020; 396: 1895–1904
Vortrag „Herzinsuffizienz“ von Prof. Dr. med. Michael Böhm, 17. DGK-Kardiologie-Update-Seminar (Veranstalter: med update GmbH), Mainz, März 2022